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Hoffnungsvoller Maskenmann. Herthas Niklas Stark (links) hofft am Samstag im Länderspiel gegen Weißrussland auf seine ersten Minuten in der Nationalmannschaft – dann wahrscheinlich neben Abwehrkollege Jonathan Tah.

© imago images/Revierfoto

EM-Qualifikation gegen Weißrussland: Ohne Eckpfeiler, aber wohl mit Niklas Stark von Hertha BSC

In der Defensive des deutschen Nationalteams fehlt die Stammbesetzung. Niklas Stark von Hertha BSC trainiert wieder - trotz gebrochener Nase.

Wenn es stimmt, dass Stürmer besonders sensible Wesen und deshalb in hohem Maße von ihren Stimmungen abhängig sind, dann kommt auf die Viererkette der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am Samstag eine besondere Herausforderung zu. Denis Laptev, der Stürmer der weißrussischen Nationalmannschaft, dürfte seiner Arbeit im Moment einigermaßen euphorisiert nachgehen. In der heimischen Liga steht er mit Dinamo Brest kurz vor dem Gewinn der ersten Meisterschaft der Vereinsgeschichte, und in der Torjägerliste der Wyschejschaja Liha rangiert er mit elf Treffern auf Platz vier.

In Angst und Schrecken müssen die deutschen Verteidiger trotzdem nicht verfallen. Laptev, 28 Jahre alt, wird am Samstag in Mönchengladbach sein 22. Länderspiel bestreiten. Seine bisherige Torausbeute liegt bei exakt: null. Die Deutschen könnten also vermutlich auch ihre zweite Abwehrreihe aufbieten, ohne dass es gravierende Konsequenzen haben dürfte.

Bundestrainer Joachim Löw wird genau das tun, wenn auch nicht aus freien Stücken, sondern weil die Umstände sind, wie sie sind. Auch im letzten Länderspielblock des Jahres mit den EM-Qualifikationsspielen gegen Weißrussland und Nordirland (Dienstag in Frankfurt am Main) ist er wieder zur Improvisation gezwungen. Neun Spieler fehlen ihm wegen Verletzungen, und am schlimmsten ist erneut die Defensive betroffen.

„Gefühlt haben wir immer jemand anderen in der Innenverteidigung“, sagt Mittelfeldspieler Joshua Kimmich. „Mal schauen, wer fit ist.“ Auch dieses Mal muss der Bundestrainer auf eine komplette Viererkette verzichten, und man kann sich die Reihe der Verletzten mit Thilo Kehrer, Niklas Süle, Antonio Rüdiger und Marcel Halstenberg – von rechts nach links – eher als Stammbesetzung vorstellen als die, die am Samstag gegen Weißrussland auflaufen wird.

„Jeder, der hier dabei ist, hat die Qualität zu spielen und ist zurecht dabei“, sagt Kimmich. Doch in einer Viererkette mit Lukas Klostermann, Jonathan Tah und Niko Schulz kommt allein Matthias Ginter auf eine Erfahrung von mehr als zehn Länderspielen. Auf der Bank sitzen zudem Robin Koch (ein Länderspiel) vom SC Freiburg und Niklas Stark (null).

Stark hat am Donnerstag erstmals mit der Nationalmannschaft in Düsseldorf trainiert. Zum Schutz seiner gebrochenen Nase trug er eine Gesichtsmaske. Der Innenverteidiger von Hertha BSC ist bereits zum fünften Mal in diesem Jahr von Löw berufen worden, auf sein Debüt in der Nationalelf aber wartet er bis heute. In den ersten sechs Spielen blieb Stark jeweils über 90 Minuten auf der Ersatzbank sitzen, und als ihm der Bundestrainer im Oktober einen Einsatz zugesagt hatte, war er zunächst krank und dann verletzt.

Im Verein waren Starks Leistungen zuletzt nicht so, dass die Einladung zur Nationalmannschaft zwingend geboten gewesen wäre – aber das ist eben auch eine Frage des Angebots. Der Freiburger Koch wurde im Oktober kurzfristig nachnominiert, als ein noch größerer Mangel an gelernten Abwehrspielern bestand. Kaum jemand hatte ihn zu diesem Zeitpunkt auf dem Zettel; jetzt aber ist er wieder dabei, und Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, sagt über Koch: „Er hat sich sehr souverän eingefügt.“

"Es gibt keinen Spieler, der heraussticht"

Der Werdegang des Freiburgers steht sinnbildlich für die Probleme der deutschen Verteidigung – aber auch für Chancen, die die aktuelle Personalsituation jedem Einzelnen bietet: Die EM ist möglich. Torhüter Manuel Neuer sagt über die Besetzung der Abwehr, „dass wir noch ein bisschen auf der Suche sind“. Mit dem am Kreuzband verletzten Süle fehlt der Verteidigung „ein Spieler, auf den wir stark gebaut haben“, gibt Bierhoff zu. Der Münchner war als Eckpfeiler für die letzte Reihe vorgesehen, ohne ihn gibt es derzeit keinen natürlichen Abwehrchef.

Von den aktuell zur Verfügung stehenden Verteidigern käme am ehesten Matthias Ginter für diese Rolle in Frage. Der 25-Jährige führt mit seinem Verein Borussia Mönchengladbach im Moment nicht nur die Tabelle der Bundesliga an, er besitzt mit 28 Länderspielen auch die größte Erfahrung aller deutschen Innenverteidiger, hat zudem bereits den WM-Titel, den Confed-Cup und Olympia-Silber gewonnen. Neben Toni Kroos ist er der letzte verbliebene Feldspieler aus dem aktuellen Kader, der schon bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien dabei war.

Ginter genießt bei Bundestrainer Löw große Wertschätzung. Seit der verkorksten WM in Russland besitzt er einen Stammplatz – wenn auch auf wechselnden Positionen. Rechter Verteidiger, Dreierkette, Viererkette: Ginter erledigt seine verschiedenen Aufgaben in der Regel unaufgeregt, allerdings ist er anders als Süle keiner für die große Geste. Gerade in der exponierten Rolle des sogenannten Abwehrchefs sieht das Publikum am liebsten kernige Typen wie Süle, die im Zweifel mal richtig dazwischenhauen.

Auch deshalb gibt es jeden Monat aufs Neue große Aufregung, wenn Löw Mats Hummels wieder nicht nominiert hat, obwohl Löw schon im März verkündet hat, dass er Hummels generell nicht mehr nominieren werde. Der Verzicht auf den Dortmunder, den viele weiterhin für den besten deutschen Innenverteidiger halten, hat nicht nur sportliche, sondern auch atmosphärische Gründe.

Hummels wäre durch sein Alter, durch seine Erfolge, aber auch durch seine Art unangefochtene Führungsperson in einer Mannschaft, die im Umbruch ist und ihre Hierarchie erst noch finden muss. „Es gibt keinen Einzelspieler, der heraussticht“, sagt Bierhoff über die Situation in der Abwehr. „Wir sollten uns nicht auf eine Person fokussieren, sondern darauf, dass das ganze Gebilde funktioniert.“

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