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Kati Witt, 53, hat als Eiskunstläuferin bei Olympia 1984 und 1988 Gold gewonnen

© imago

Eiskunstlauf-Idol Katarina Witt: „Unser Sportsystem formt keine Weltklasse“

Im Interview spricht die ehemalige Olympiasiegerin über ihre deutschen Nachfolger, gesunde Konkurrenz und Eishockey mit Gummiring.

Frau Witt, am Sonntag ist die Eiskunstlauf-EM in Minsk zu Ende gegangen, bei der die Deutschen eher auf den hinteren Plätzen lagen. Nur die Berliner Paarläufer Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert kamen auf Platz sechs.

Ein sechster Platz ist doch gar nicht so schlecht! In unserer Sportart, in der wir Deutsche in der Vergangenheit eine große Tradition und Leistungsdominanz hatten, sind wir aber schon lange nicht mehr verlässlich in der Weltspitze dabei.

Die deutschen Olympiasieger Aljona Savchenko und Bruno Massot waren nicht am Start, weil sie laut einiger Experten lieber „lukrative Wettkampfferien bei Holiday on Ice” machen. Zu Recht?
Das sollte man ihnen aber doch von Herzen gönnen. Aljona Savchenko hat lang genug dem Wettkampfsport die Treue gehalten. Sich zu entscheiden, mit dem Profisport ihr Geld zu verdienen, finde ich nachvollziehbar. Und wie ich schon bei Olympia sagte, kommt Aljona von der ukrainischen Eislauf-Schule und Bruno Massot von der französischen. Beide waren also nicht wirklich repräsentativ für unsere Eislauf-Ausbildung. Eiskunstlauf ist eine Sportart, in der man in sehr jungem Alter Höchstschwierigkeiten lernen muss. Aber unser Sportsystem, so wie es jetzt ist, ist nicht zu 100 Prozent dafür gemacht, Weltklassesportler für die Zukunft zu formen.

Wo liegt Ihrer Meinung nach die Verantwortung für die Sporterziehung: bei den Eltern, den Schulen oder den Vereinen?
In einer Mischung aus allem. Kinder haben einen großen Bewegungsdrang und den sollte man nie einschränken. Gerade auch Schulsport sollte nicht immer das erste Fach sein, das gestrichen wird. Es gibt genügend Untersuchungen, die belegen, wie viel besser geistige Leistungen sind, wenn Kinder sich sportlich betätigen.

1979 standen Sie selbst bei einer DDR-Meisterschaft mit 13 Jahren zum ersten Mal auf einem Podium.
Tja, und mit 13 ist gerade eine US-amerikanische Läuferin jüngste Meisterin überhaupt geworden, mit zwei dreifachen Axeln im Kürprogramm. So gewaltig hat sich unser Sport entwickelt. Als ich damals bei den DDR-Meisterschaften das erste Mal auf dem Treppchen stand und sah, wie ich mir meinen Erfolg nach Kinder- und Jugendspartakiaden selbst erarbeitet hatte, war das ein tolles Gefühl. Damit qualifizierte ich mich für meine erste Europameisterschaft 1979.

Kunst auf Eis. Bei bei den Olympischen Winterspielen von Calgary 1988 gewann Katarina Witt mit ihrer Kür als „Carmen“ die Goldmedaille.
Kunst auf Eis. Bei bei den Olympischen Winterspielen von Calgary 1988 gewann Katarina Witt mit ihrer Kür als „Carmen“ die Goldmedaille.

© Roland Scheidemann/dpa

Wann sind Sie eigentlich das letzte Mal Schlittschuh gelaufen?
Vor sechs Jahren. Danach habe ich aber die Schlittschuhe weggepackt und nie wieder herausgeholt.

Warum?
Wenn du einmal etwas perfekt auf so hohem Niveau gemacht hast, dann bist du einfach nicht glücklich, wenn du nur Schlittschuhlaufen gehst. Aber es ist ein toller Freizeitsport.

Wie genau verfolgen Sie das Eiskunstlaufen noch?
Natürlich habe ich mir die Europameisterschaft im Eiskunstlaufen angeschaut, ob nun im Fernsehen oder im Internet. Ich muss aber gestehen, dass mich gerade eher die Handball-WM gepackt hatte. Was für ein toller Sport, der es verdient, mehr wahrgenommen zu werden.

1988 haben Sie mit dem Leistungssport aufgehört und sind seit 2003 Schirmherrin des Eishockey-Förderprojekts „Kick on Ice” der Laureus-Stiftung in Berlin, wo Sie auch leben. Haben Sie selbst schon einmal Eishockey gespielt?
Ja, wir haben früher manchmal Eishockey gespielt, allerdings in einer abgemilderten Version, also ohne Puck und richtigen Schläger, weil das in meiner aktiven Zeit zu gefährlich war. Es wäre ja schön blöd gewesen, das ganze Jahr zu trainieren und sich dann mit dem Puck auszuknocken. Wir hatten dafür einen Stock mit einem Gummiring, den man dann übers Eis geschoben und abgeschossen hat.

Und wann genau war das?
In meiner Teenagerzeit, das ist also schlappe 40 Jahre her. (lacht)

Die Laureus-Stiftung, deren Gründungsmitglied Sie sind, hat sich seit 1999 Werte wie Disziplin, Teamgeist, Zielstrebigkeit und Selbstbewusstsein auf die Fahne geschrieben. Haben diese heute noch dieselbe Bedeutung wie damals?
Natürlich, diese Werte sind immer noch aktuell und werden tatsächlich gelebt, nicht nur im Sport. Ich freue mich, dass wir in Berlin ein Eissport-Projekt haben, auch wenn es kein Eiskunstlauf beinhaltet. Die Jugendlichen erleben hier einen unheimlichen Zusammenhalt, sie sind zu einer eigenen Familie geworden. Eishockey ist ein Mannschaftssport und man merkt, dass es hier diesen wichtigen Zusammenhalt gibt, gerade unter den Mädchen und jungen Frauen. Das hilft ihnen extrem für ein gesünderes Selbstbewusstsein. Wenn man zeigen kann, was man drauf hat, und sich durchsetzen kann, nimmt man sehr viel mit ins Leben.

Wie war das damals bei Ihnen?
Durch den Sport habe ich Erfahrungen gesammelt, dich mich bis heute begleiten. Disziplin etwa. Pünktlich zu erscheinen. Auch auf eine Autorität wie den Trainer zu hören und Verlässlichkeit. Diese Werte habe ich selbst über den Sport vermittelt bekommen und in mein späteres Leben übertragen. Heute sind sie vielleicht noch wichtiger, weil die Vielfältigkeit der Ablenkungen noch mehr geworden sind. Abhängen, shoppen, chatten, liken, schminken – das kannten wir so gar nicht. Die Öffentlichkeit durch das Internet ist viel intensiver und zum Teil ist der Erfolgsdruck auf Teenager und Jugendliche größer.

Sport hatte einen anderen Stellenwert als heute.
Allgemein sollte Sport einfach bei Kindern zum täglichen Leben dazugehören. Gerade durch die Digitalisierung und Automatisierung werden wir alle ein wenig fauler. Mit den Smartphones ist die Ablenkung jedoch unheimlich groß. Man will überall dabei sein, das merke ich ja selbst durch Facebook und Instagram. Manche Jugendliche spüren aber bei uns endlich, dass sie, wenn sie das Handy mal zur Seite legen, auch eine gute Zeit haben können. Es geht nicht unbedingt um Leistungen, sondern um das gemeinschaftliche Erleben. Und auf dem Eis sind die Kids auf Augenhöhe.

Ist Erfolg nicht auch eine Motivation?
Natürlich ist er das. Und der Erfolg ist da, wenn sie zum Beispiel bei ihren Turnieren gewinnen. Das ist eine gesündere Form der Konkurrenz, eine wünschenswertere als: Wer hat die neuesten Turnschuhe, hippsten Klamotten oder meisten Follower?

Ihre ehemalige Trainerin Jutta Müller sagte einmal, es gäbe für sie nichts Schöneres, als mit Kindern zu arbeiten. Auch bei Ihnen hat man das Gefühl, dass Ihnen Kinder viel bedeuten.
Für mich ist das eine Form des Zurückgebens von schönen Erinnerungen und Begebenheiten, die ich selbst durch den Sport erlebt habe. Ich hatte ja auch Spaß mit meinen Trainingskameraden und hoffe, dass die Kids hier ähnlich schöne Momente haben. Es sind damals Freundschaften entstanden, die man für den Rest des Lebens mitnimmt. Ich verspüre zudem eine sehr große Dankbarkeit, dass ich im Sport so viel erreichen konnte, mit der Selbstverständlichkeit, immer gesund zu sein. Deshalb habe ich meine Stiftung gegründet, die Projekte für Kinder und Jugendliche mit körperlicher Behinderung fördert und unterstützt. Übrigens auch Eishockeyspieler mit körperlicher Behinderung. Auch hier stärken sie durch den Sport ihr Selbstbewusstsein, bekommen Anerkennung und erkämpfen sich mehr Eigenständigkeit.

Für diese Kinder haben Sie eine Vorbildwirkung. Gefällt es Ihnen, ein Idol zu sein?
Ja, warum nicht.

Was planen Sie noch für die Zukunft im Verein?
Als Schirmherrin all dieser Projekte werde ich mir wohl doch mal wieder die Schlittschuhe anziehen müssen, irgendwann. (lacht)

Das Gespräch führte Cäcilia Fischer.

Cäcilia Fischer

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