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Marco Sturm, 39, gilt als erfolgreichster Bundestrainer aller Zeiten.

© dpa/Arne Immanuel Bänsch

Eishockey-WM: Marco Sturm: Der große Knall im Eishockey kommt erst noch

Marco Sturm gilt als erfolgreichster Eishockey-Bundestrainer aller Zeiten. Ein Interview über die Folgen von Olympia-Silber, die WM und Nachwuchssorgen im Eishockey.

Marco Sturm, mit dem Erfolg der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft bei den Olympischen Winterspielen sind Sie ein gefragter Mann geworden. Wie sehr hat Sie das verändert?

Ehrlich gesagt kenne ich ja so viel Öffentlichkeit schon aus meiner Zeit als Profi in Nordamerika. Dort ist das Teil des Geschäfts. Ich habe das in den 15, ach 20 Jahren dort gelernt. Natürlich war ich es nicht gewohnt, in Deutschland so präsent zu sein. Aber irgendwie gehört das nun dazu.

Werden Sie jetzt erkannt auf der Straße?

Ja, überall. Das war vorher nur in Bayern der Fall. Aber es hat sich mit dem Gewinn von Silber bei den Olympischen Spielen eben verändert.

Sie sind der Mann, der das deutsche Eishockey öffentlich vertritt. Sie waren in vielen Sportsendungen, in Talkshows, bei einem Fußballstammtisch im Sportfernsehen und werden inzwischen sogar zur Situation der Fußball-Nationalmannschaft befragt. Kostet der neue Nebenjob nicht viel Kraft?

Ja, denn ich war jetzt irgendwie Einzelkämpfer nach Olympia. Die Spieler waren sofort wieder in den Vereinen tätig. Die Vereine haben viel abgeblockt, weil die Play-offs in der Liga kamen. Das ist auch verständlich. Aber ich fand das trotzdem ein wenig schade, dass nicht alle den großen Hype mitmachen konnten. Also habe ich mir gedacht: Dann musst du es eben machen. Natürlich gab es da Phasen, in denen es auch zu viel für mich wurde. Aber ich habe versucht, fast alles an Terminen mitzunehmen, um die schöne Sportart Eishockey voranzutreiben.

Wird das deutsche Eishockey seit Olympia denn anders wahrgenommen in der Öffentlichkeit?

Ich würde es schon so sehen. Das merke ich tagtäglich an den Reaktionen der Menschen auf der Straße. Die sprechen mich an auf unsere Spiele, sagen, dass wir ihnen viel Freude bereitet haben mit unserem Auftreten in Südkorea.

Was kann man denn nun unternehmen, um das Interesse an Ihrem Sport so hoch zu halten?

Da sind wir schnell beim Nachwuchs. Generell brauchen wir eine größere Breite an Spielern. Das fängt bei den Kindern an, die müssen wir mehr begeistern und dann natürlich besser ausbilden. Da ist uns der Fußball einfach voraus. Aber wenn man Erfolg hat, dann kommen die Medien und die Zuschauer, das haben wir jetzt nach Olympia erlebt. Aber das Ziel ist immer noch weit weg. Ich weiß nicht, ob wir das jemals erreichen.

Was ist das Ziel?

Dass wir auf Dauer international an der Spitze mitspielen können.

Sie haben als Spieler mal gesagt: Wahrscheinlich holen wir nie eine Medaille. Das hat auch nicht gestimmt…

Ja, stimmt. Sie sehen, ich muss schmunzeln. Aber ich bin eben Realist.

Es gibt Lichtblicke im Nachwuchs. Nehmen wir die Red-Bull-Academy, in der die Nachwuchsspieler von München und Salzburg auf hohem Niveau ausgebildet werden. Das Juniorenteam stellt inzwischen ein Drittel der U-18-Nationalmannschaft, hat die Hauptrunde in der tschechischen Juniorenliga mit 18 Punkten Vorsprung gewonnen. Da wächst eine starke Elite heran, das muss Sie doch freuen.

Ja und nein. Es ist natürlich gut, dass wir solche Standorte haben. Dass Spieler eine hohe Qualität im Training und Spielbereich bekommen. Aber auf der anderen Seite ist es schon ein bisschen traurig, wenn wir uns auf solche, wenige Standorte wie den von Ihnen genannten verlassen müssen. Wir brauchen einfach mehr in der Breite.

Bei den Halbfinalisten der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) waren 19 Spieler aus dem Olympiateam beschäftigt, das zeigt, dass eine größere erfolgreiche Breite im deutschen Eishockey da ist, oder?

Ich würde sagen: Nein. Wenn man unseren Kader in der Vorbereitung angesehen hat, bevor Leon Draisaitl und die anderen kamen, dann war das die kleine Anzahl an Spielern, die wir sonst noch haben. Und das war einfach zu wenig. Da muss man sich schon etwas überlegen. Verglichen mit manchen anderen Ländern, in denen es Spieler ohne Ende zu geben scheint, treten wir mit einem Minimalkader an.

Hinter der Spitze gibt es also keine starke Breite?

Da muss sich definitiv etwas ändern. Gut ist das Nachwuchskonzept mit dem Fünf- Sterne-Programm oder dem Projekt Powerplay 2026 vom Deutschen Eishockey-Bund. Das sind gute Ansätze, aber bis die Spieler dann oben ankommen, dauert das eben. Wir müssen einfach sofort im Profibereich mehr tun. Jetzt müssen mehr junge Spieler eine Chance in der Liga bekommen, damit wir künftig auch eine gesunde Nationalmannschaft haben. Bei den neuen Regeln und Strukturänderungen in der Deutschen Eishockey-Liga weiß ich nicht, ob das ausreicht.

Sie meinen, dass künftig mehr Lizenzen für Spieler reserviert werden sollen, die den Altersklassen U 20 und U 23 angehören? Aber das betrifft nur den Kader der Klubs und heißt nicht, dass die jungen Spieler auch zum Einsatz kommen.

Ja. Fruchten wird so was wahrscheinlich erst in sechs Jahren. Aber warum denn nicht jetzt? Wir werden in der Liga immer älter, in den anderen Nationen werden die Spieler immer jünger. Der große Knall kommt noch, hoffe ich. Bis jetzt ist er noch nicht gekommen.

Dabei gibt es eine Selbstbeschränkung der DEL, die Einsätze der deutschen Spieler sollten so reguliert werden. Aber diese Regel wird umgangen, in Bremerhaven oder Iserlohn spielt kaum ein Spieler, der aus dem deutschen Nachwuchs kommt. Das sehen Sie als Bundestrainer bestimmt nicht gern, aber durch Erfolge des Nationalteams lässt sich die Mentalität in den Klubs womöglich beeinflussen. Wie wichtig ist daher die Weltmeisterschaft für das deutsche Eishockey nach diesen Olympischen Spielen?

Dass wir bei der WM jetzt so einen Erfolg wie bei Olympia erreichen können, das ist fast schon unmöglich. Aber wir haben in den letzten Jahren positiv gearbeitet. Es war immer sehr eng, und wie ich die Mannschaft kenne, wird sie auch jetzt wieder alles versuchen. Wir wollen unter den ersten acht Nationen bleiben in der Welt.

Haben Sie bei Olympia denn nicht nur Silber, sondern auch den Glauben an die eigene Stärke gewonnen? Hat sich da im deutschen Eishockey eine Mentalität geändert?

Genau das hat sich geändert. Unser Glaube. Der Glaube, auch gegen Topnationen zu gewinnen. Der war vielleicht am Anfang noch nicht so da beim Olympia-Turnier in Südkorea, aber der kam dann. Das hat man in der Kabine gespürt. Da hat sich etwas geändert, bis heute. Die Jungs kommen mit einem ganz anderen Selbstvertrauen zur Nationalmannschaft. Sie wollen jetzt auch mehr.

Nun fehlen Ihnen in Dänemark 15 Spieler von Pyeongchang. Leistungsträger wie Kapitän Marcel Goc und Christian Ehrhoff sind nach Olympia sogar zurückgetreten aus dem Nationalteam. War das nicht verfrüht?

Natürlich schmerzt das. Goc und Ehrhoff waren zwei absolute Führungsspieler nicht nur auf dem Eis, die beiden waren mein verlängerter Arm. Sie haben viel miterlebt, sie waren auch in Nordamerika. Sie kennen das Geschäft, sie haben die Nationalmannschaft gut geführt. Solche Spieler kann man schwer ersetzen.

Zum WM-Auftakt in Herning haben Sie nur einen Punkt gegen Dänemark geholt. Was bedeutet das für den weiteren Turnierverlauf für ihre junge Mannschaft?

Das ist ein langes Turnier. Aber so einen Start haben wir vor zwei Jahren auch gegen Russland bei der WM gehabt, da haben wir gegen Frankreich verloren und später standen wir im Viertelfinale. Nein, wir werden uns jetzt gut erholen und am Sonntag gegen Norwegen dann wieder angreifen.

Hätte Ihnen jemand vor ein paar Jahren gesagt, dass Sie im Jahr 2018 Bundestrainer sind, was hätten Sie gesagt?

Das war verrückt, dass ich das geworden bin. Ich kann mich noch gut an den Anruf von Franz Reindl, dem Sportdirektor des DEB, erinnern. Aber die deutsche Nationalmannschaft ist eben auch eine Herzensangelegenheit. Da geht es um Ehre und Stolz. Ich bin da, um das zu vermitteln, das zu betreuen. Es ist für mich etwas ganz Spezielles, Bundestrainer zu sein. Dass ich so weit komme, habe ich mir nicht erträumt.

Wie realistisch ist jetzt Ihr Traum, Trainer in der National Hockey-League zu werden? Nur Ralph Krueger hat es bisher als Deutscher hinter die Bandes eines Klubs in der nordamerikanischen Profiliga geschafft, und der wurde auch noch in Kanada geboren.

Ich werde öfter danach gefragt, ob ich mir es nicht vorstellen könnte in der NHL. Als Spieler hatte ich das Ziel ganz oben anzukommen, also habe ich es auch als Trainer. Aber ob das jemals passiert, weiß ich nicht. Aber man muss ja auch Ziele haben. Es wäre natürlich schön.

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