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© City-Press

Eisbären: Geld oder Liebe

Ein Jahr lang spielte Derrick Walser in Russland, jetzt ist er wieder bei den Eisbären – und glücklich.

Von Katrin Schulze

Berlin - Derrick Walsers schriller Schrei dringt bis in die hinterste Ecke der kleinen Eishalle im Sportforum Hohenschönhausen vor. Tor! Er wirft die Arme in die Luft und gleitet lässig an seinen Kameraden vorbei, die ihm ein anerkennendes Nicken schenken – und schmunzeln. So viel Spaß muss sein bei dem Spielchen mit Denis Pederson und Steve Walker, die drei Eishockeyprofis flachsen herum. Derrick Walser weiß Momente wie diese zu schätzen, gerade weil er nicht immer so unbeschwert über das Eis gekurvt ist. „Vor einem Jahr war ich ein Außenseiter“, sagt er. Da spielte der Verteidiger noch bei Witjas Tschechow in der Kontinental Hockey League (KHL). Russland – wenn der Kanadier mit dem Dauergrinsen von diesem Erlebnis erzählt, verzieht er das freundliche Gesicht und benutzt Wörter wie „unglaublich“, „schrecklich“, „Angst einflößend“.

Derrick Walser ist einer von vielen Profisportlern, die ihr Glück in Russland versuchten – und dabei alles andere als glücklich geworden sind. „Niemand aus dem Westen geht nach Russland, um glücklich zu werden“, sagt Walser heute. „Der einzige Grund, das zu tun, ist das Geld.“ Eine Saison lang wollte er bei Witjas, „einem verdammt schlechten Team mit einem verdammt schlechten Trainer“, wie Walser sagt, Geld verdienen – für ein sorgenfreies Leben nach der Eishockeykarriere. Dass Walsers Mannschaft die Saison 2008/2009 als Letzter abschloss, spielte für ihn am Ende keine Rolle mehr. Er wollte nur noch weg, und als sein ehemaliger Klub aus Berlin ihm vor der laufenden Saison ein Angebot machte, „habe ich keine Sekunde überlegt“.

Vor der Saison kam Derrick Walser zu den Eisbären, weil Deron Quint ging. Und zwar zu Neftechimik Nischnekamsk. Russland. „Es war anfangs sehr hart, weil kaum jemand hier Englisch spricht“, sagt Quint, der sich mittlerweile mit dem Leben in der Provinz Tartastan, knapp 900 Kilometer entfernt von Moskau, arrangiert hat. „Die Leute sind sehr nett zu mir und helfen, wenn ich Probleme habe.“

Dieses Gefühl hat Derrick Walser nicht kennen gelernt. „Ich kam mit der Mentalität der Menschen in Russland überhaupt nicht klar“, erzählt er. „Niemand hilft dir, wenn du Hilfe brauchst. Das läuft alles nach dem Motto: Kämpfe für dich selbst.“ Walser hat gekämpft – vor allem gegen sich selbst. „Ich war irgendwann an einem Punkt, an dem ich mental fast nicht mehr konnte“, erzählt er. „Es sind so viele Dinge abseits vom Eishockey, über die man sich Sorgen machen muss: Dass man nicht krank wird. Die vielen armen Menschen. Oder ob man sein Geld rechtzeitig erhält.“

Bis heute wartet der 31 Jahre alte Abwehrspieler auf einen Teil seines Gehalts von Witjas Tschechow, ein „generelles Problem in der KHL“, wie er berichtet. „Man sagt immer, es sei die beste Liga, nach der NHL, aber die Organisation ist unfassbar schlecht.“ Keine ausgebildeten Ärzte, Trainer und Eigner, die sich nur um ihr Geld scheren und nicht um ihre Spieler; Walser klingt verbittert. Manchmal hat er sich überlegt, ob es ihm bei einem anderen Team, in einer anderen Stadt, besser ergangen wäre.

Gut 70 000 Menschen leben in Tschechow, „es gibt zwei Lebensmittelgeschäfte und ein Restaurant“, sagt Walser. A propos Essen. Derrick Walser zieht die Augenbraue hoch, „das war das Schlimmste, was mir je untergekommen ist. Ich bin es von meiner Heimat an der kanadischen Ostküste gewohnt, immer Frisches zu bekommen.“ In Russland hat er sich ein Jahr nur von Pasta und Hühnchen ernährt, weil ihm schon vom Anblick des Fleisches beim Metzger schlecht wurde.

Walsers Jahr in Russland hat Spuren hinterlassen – nicht nur mental . Ein paar Kilogramm zu viel brachte er vor Saison mit zu den Eisbären Berlin, die am Sonntag auf die Krefeld Pinguine treffen (14.30 Uhr, Arena am Ostbahnhof). Der Kanadier arbeitet immer noch an der Form, die ihn zwischen 2004 und 2006, als er schon einmal bei den Eisbären spielte, so wertvoll für seine Mannschaft gemacht hatte. „Auf einem guten Weg“ sieht er sich, und bis zu den Play-offs will Walser wieder „ganz der Alte sein“, auch wenn er jetzt nicht mehr das ganz große Geld mit Eishockey macht.

Inzwischen sind ihm ohnehin andere Dinge wichtiger. „Meine Familie und ich fühlen uns pudelwohl in Berlin. Ich könnte mir sogar vorstellen, hier alt zu werden“, sagt Derrick Walser. Das Training im Sportforum Hohenschönhausen ist an diesem Tag schon eine Weile vorbei, da kommt sein Kollege Denis Pederson noch mal um die Ecke. „Tschüss, Walli, bis morgen!“, ruft er. „Bis dann, Pedi“, antwortet Derrick Walser. Und strahlt.

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