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Eisbären Berlin: Deutsche erster Klasse

Anders als viele Flüchtlinge bekamen die Eishockeyprofis Travis Mulock und Petr Pohl ihre Pässe schnell - sie brauchten nicht einmal einen Sprachtest ablegen. Beide haben deutsche Großväter.

Travis James Mulock wird plötzlich ernst. Das freundlich breite Grinsen huscht aus seinem Gesicht. Vorhang zu. Vorhang auf. Die Flüchtlingskrise, ein Thema, das er nicht eben mal so weglächeln möchte. „Ich finde es absolut beeindruckend, wie konstruktiv und engagiert die Deutschen das mit den Flüchtlingen bewältigen“, sagt der deutsche Staatsbürger Mulock. Neben ihm sitzt sein Landsmann Petr Pohl. Zwischen den alten Trikots und Wimpeln von Eishockeyklubs an den Wänden und einem grob furnierten Holztisch im „Wellis“, der Stadionkneipe im Sportforum Hohenschönhausen, sind Flüchtlinge ein schweres Thema, findet Pohl. Aber auch er hat eine Meinung. „Ich weiß, dass das in Tschechien anders läuft. Die nehmen längst nicht so viele Menschen auf wie hier in Deutschland.“ Der gebürtige Tscheche zögert. Offenbar weiß er nicht, wann er „wir“ oder „die“ sagen muss.

Mulock und Pohl sind Deutsche. Travis Mulock, den alle TJ nennen, ist vor einem Jahrzehnt aus Kanada, Pohl vor zwei Jahren aus Tschechien ins Land gekommen. Um zu arbeiten. Auf ganz hohem Niveau, als Eishockeyprofis, Position Angreifer. Mit deutschem Ausweis, Bleiberecht auf ewig – das viele Menschen, die zurzeit ins Land kommen, nie bekommen werden. Den Pass, der sonst nur über die Hürde Sprachtest zu haben ist, haben sie ohne Sprachtest erhalten. Beide haben deutsche Großväter, Blutrecht. Sie hätten den Pass womöglich nicht so schnell bekommen, wenn sie nicht so gut Eishockey spielen könnten. „Wir haben Glück gehabt“, sagt Mulock. Als Deutsche sind beide besonders begehrt, weil sie in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) nicht unter das Ausländerkontingent fallen. Die Klubs in der Liga haben sich auf eine Selbstbeschränkung geeinigt. Nur neun von 21 Profis, die pro Spiel eingesetzt werden können, dürfen Ausländer sein – damit die deutschen Spieler ihre Chance bekommen.

Mulock und Pohl sind eingebürgerte Gastarbeiter auf ganz hohem Niveau. Pohl sagt: „Wir sind privilegiert, das ist uns klar.“ Aber sie hängen auch zwischen den Welten. Denn so richtig ankommen in Deutschland, das ist schwer in der Blase Profisport. Mulock spricht schlecht Deutsch, Pohl kaum. Für einen Flüchtling mag das als Voraussetzung für eine gelungene Integration gefordert werden, im deutschen Profieishockey spielt es keine Rolle. Zu Mulock und Pohl schauen die Fans auf, sie sind Stars. Wenn sie ab Dienstag im Play-off-Viertelfinale für die Eisbären Berlin auf dem Eis stehen, dann schreien 14 000 Menschen in der Arena am Ostbahnhof ihre Namen. Ihrer besonderen Rolle sind sich beide bewusst. „Natürlich sind junge deutsche Spieler von uns genervt, weil wir ihren Platz wegnehmen“, sagt Mulock. „Aber so sind die Regeln, das kann ich nicht ändern.“

Manchmal habe er ein schlechtes Gewissen. Doch gebe er dem Land ja etwas zurück. Mulock erinnert sich an den Februar 2010. Der Monat, in dem er mit seiner alten Heimat fremdelte. Bei den Olympischen Spielen lief Travis James Mulock in seiner Heimatstadt Vancouver aufs Eis – im deutschen Trikot. Als Kind habe er von so einem großem Auftritt geträumt. Aber im kanadischen Trikot! „Weird“, sagt er. Verrückt. „Du wächst als Kanadier auf, und plötzlich bist du Deutscher in der Heimat und hast die Zuschauer gegen dich.“

Petr Pohl, der dreimal schon für Tschechien gespielt hat, könnte sich durchaus vorstellen, auch noch für Deutschland aufzulaufen. In zwei Jahren darf er das. „Spieler wie TJ und ich, wir machen die Liga ja auch besser.“ Sie gehörten zum deutschen Eishockey, sagen sie. Einfach nur so ein paar Jahre hier als Profi und dann wieder weg, das sei nicht sein Plan. „Ich fühle mich sowieso eher international, meine Verlobte ist Amerikanerin. Es ist gut möglich, dass ich nach der Karriere in Deutschland bleibe.“ Die Deutschen gefielen ihm ohnehin besser von der Mentalität her, sie seien nicht so stur wie die Tschechen.

Im Gegensatz zu Mulock ist er allerdings von der alten Heimat nicht sehr weit entfernt. „Das ist etwas anderes, als wenn ich aus Afrika kommen würde.“ In drei Stunden sei er mit dem Auto in Prag, das sei einfach. Und Pohl war als Tscheche schon EU-Bürger. Und er ist mit Deutschland aufgewachsen, auch mit dem Traum von Deutschland. „Damals, vor der Wende, wollten doch alle weg bei uns“, sagt Pohl, 29 Jahre alt. Kommunismus und so. Aber an sich sei er kein politischer Mensch. Das behauptet Mulock auch nicht von sich, wählen war er noch nie in der neuen Heimat. „Dazu kenne ich mich zu wenig aus, da ist mein Respekt zu groß.“

Travis Mulock sagt, mit jedem Jahr wachse seine deutsche Seite. Er habe auch einige deutsche Freunde. Er liebe in Berlin besonders den Tiergarten. Allerdings auch, weil der ihn an den Stanley Park in seiner Heimatstadt Vancouver erinnere. Petr Pohl schmunzelt bei so einer Aussage: „Ganz ehrlich, in einer deutschen Kleinstadt könnten wir nicht so ein Leben führen wie in Berlin. Das ist eben eine internationale Metropole.“

Mulock kennt sie, die deutsche Kleinstadtidylle mit ihren Vor- und Nachteilen. Er hat drei Jahre in Bad Tölz gespielt. „Allein die bayrische Sprache ist so eine Sache für sich“, sagt er schmunzelnd. „In Deutschland sind die Menschen vielleicht nicht so freundlich wie in Kanada. Aber da sind sie auch überfreundlich. Sorry hier, sorry da.“ Travis Mulock ist 30, ein paar Jahre will er noch als Eishockeyprofi spielen. Dann wird er wohl zurück nach Vancouver gehen, mit seinem Bruder Tyson, der in Wolfsburg spielt. Zurück zur restlichen Familie nach Kanada.

Dann zögert Mulock. Kanada? „In den letzten zehn Jahren war ich oft zehn Monate im Jahr in Deutschland.“ Irgendwo habe er gelesen, dass Deutschland zum Land mit der höchsten Lebensqualität gewählt worden sei. Travis Mulock wird wieder ernst. „Es ist eben beeindruckend, wie Deutschland versucht, als Vorreiter die Welt in die richtige Richtung zu lenken.“ Flüchtlingsthema, Energiepolitik, das gefalle ihm. Er lächelt – und wirkt dabei sogar ein wenig Stolz auf seine zweite Heimat. Unübersehbar. Unüberhörbar. TJ Mulock sagt: „Es ist keine schlechte Wahl, in Deutschland zu leben.“

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