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2020 fanden beide Derbys zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union vor leeren Rängen statt. Hertha gewann 4:0 und 3:1.

© imago images/Matthias Koch

Ein Jahr Geisterspiele im Fußball: Einkaufswagen, Topfschlagen und Stimmung vom Band

Die große Leere in den Stadien: So drastisch hat sich die Coronavirus-Pandemie auf den Fußball ausgewirkt. Ein Rückblick.

Am 11. März 2020 – dem Tag, an dem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausbreitung des Coronavirus als Pandemie einstufte – gab es in der Bundesliga das erste Geisterspiel: Borussia Mönchengladbach gewann 2:1 gegen den 1. FC Köln.

Mit einigen Ausnahmen fanden die Spiele im Profibereich danach bis heute ohne Zuschauer statt. Im Amateurbereich ruht der Ball seit Monaten. Wir blicken zurück auf ein Jahr Fußball in Zeiten des Coronavirus.

Absage überall

Freitag, der 13. März. Überall steht fest, dass die großen europäischen Ligen und Wettbewerbe erst einmal pausieren. Na ja, fast überall. Hierzulande versucht die Deutsche Fußball-Liga (DFL), den anstehenden 26. Bundesliga-Spieltag irgendwie durchzuziehen. Weil damit eine weitere Tranche der TV-Gelder fällig werden würde.

Es soll ohne Zuschauer und gegen riesigen Widerstand, auch unter den Profis, gespielt werden. „Mit den Fußballern wird in dieser Situation umgegangen wie mit den Affen im Zirkus“, empört sich beispielsweise Rafal Gikiewicz, damals Torwart des 1. FC Union.

Nach langem Zögern erfolgt am Nachmittag doch noch die Absage durch die DFL. Für reichlich Fassungslosigkeit allenthalben sorgen bei diesem Thema vor allem Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge und Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Rummenigge teilt mit, dass es „auch um Finanzen geht“. Watzke findet, es hätte „auch andere Ansätze“ als die Absage des Spieltags gegeben.

Einfach mal rausgehen in Bobingen

Die Bundesliga setzt aus, kämpft aber vehement weiter für eine Sonderrolle. Und bekommt diese auch. Mitte Mai geht es nach langen, oft hitzigen Diskussionen mit Geisterspielen los. Kontroversen rund um den besonderen Status des Profifußballs wird es danach mit wechselnden Themen immer wieder geben.

Kurz vor der Unterbrechung im März ist Heiko Herrlich Trainer beim FC Augsburg geworden. Im Vorfeld seines anstehenden Debüts plaudert er über die Bedingungen für Profiteams. Er erzählt, dass ihm im Quarantäne-Hotel in Bobingen Zahnpasta und Hautcreme ausgegangen seien. Also ist er einkaufen gegangen.

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Herrlich berichtet ganz offen vom Verstoß gegen das DFL-Konzept. Zusammenfassend sagt er, dass er froh war, an der Kasse die zunächst vergessene Schutzmaske aufgehabt zu haben. In der Hoffnung, dass ihn die Kassiererin nicht erkenne. Schließlich zieht Herrlich Konsequenzen aus seinem Handeln und sitzt beim Spiel gegen den VfL Wolfsburg nicht auf der Bank. Erst nach zwei negativen Coronavirus-Tests leitet er wieder das Training der Augsburger.

Kicken mit Einkaufswagen in Sachsen

Die Profifußballer dürfen auf den Rasen, aber die Amateure, die dürfen das nicht, oder?! Ein Zeichen setzen kurz nach dem Restart der Bundesliga der SC Einheit Bahratal Berggießhübel und der SV Königstein, zwei Kreisligisten aus Sachsen.

Sie kicken – unter Einhaltung der zumindest beim Einkaufen gängigen Hygienemaßnahmen. Damit sie sich nicht zu nahekommen, schiebt jeder Spieler einen Einkaufswagen vor sich her. Das erschwert einiges, aber der Mindestabstand wird gewahrt. Am Ende heißt es 2:2 und alle freuen sich, dass sie mal wieder Fußball spielen konnten. Oder so etwas ähnliches.

Topfschlagen beim 1. FC Heidenheim

Es gibt ja Menschen, die das Geschrei der Fans mitunter ziemlich nervig finden. Diese Menschen dürften es ganz gut gefunden haben, dass sich nur ein paar wenige Leute das Relegationsspiel im Juli zwischen dem 1. FC Heidenheim und Werder Bremen im Stadion ansehen durften. Das versprach Ruhe.

Aber nichts da: Nachdem im Hinspiel eine Kuhglocke zum Einsatz gekommen war, hat ein Heidenheimer Zuschauer diesmal einen Kochtopf dabei und hört nicht auf, darauf zu schlagen. Alle sind genervt von dem Geräusch – die TV-Zuschauer, die Bremer Spieler und sogar die Heidenheimer. In einem vollen Stadion wäre der Mann sicher nicht zu hören gewesen.

Leverkusen spielt – Köln singt

Manche Fernsehsender versuchen, die fehlende Stimmung in den Stadien einfach durch eingespielte Stimmung von Spielen aus der Zeit vor Corona zu kompensieren. Sky bietet dies als eine mögliche Alternative an, RTL dagegen hat bei einem Europa-League-Spiel nur diese eine Option. Bei vielen Zuschauern kommt das weniger gut an. Zumal Bayer Leverkusen spielt – und die Fangesänge von einer Partie des Rivalen 1. FC Köln stammen.

Brandenburg darf, Berlin nicht

Die Amateure haben sich, wie schon erwähnt, lange gedulden müssen. Ab Ende Juni darf dann zum Beispiel in Brandenburg wieder gespielt werden, sogar mit Publikum. In Berlin dagegen ist größtenteils noch nicht einmal Training erlaubt. Zum Testspiel von Frankonia Wernsdorf gegen den MSV Zossen, nur ein paar Hundert Meter hinter der Berliner Stadtgrenze, kommen 200 Zuschauer. Berliner Vereine tragen später Testspiele in Brandenburg aus.

Erst vier Wochen nach der Erlaubnis in Brandenburg darf auch in Berlin wieder gekickt werden. Zunächst aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit – bei Spielen, zu denen teilweise ohnehin höchstens 20 Besucher gekommen wären. Manche Vereine hängen eigens Planen als Sichtschutz an den Zäunen auf.

Köpenicker Modellversuch

Der 1. FC Union arbeitet schon lange daran, wieder Zuschauer zulassen zu dürfen. Nach zähem Ringen darf der Klub zum Testspiel gegen den 1. FC Nürnberg Anfang September bei weiterhin niedrigen Inzidenzzahlen vor 4500 Zuschauern im Stadion An der Alten Försterei spielen.

Die Spieler des 1. FC Union bedanken sich nach der Partie gegen Nürnberg bei ihren Fans für die Unterstützung.
Die Spieler des 1. FC Union bedanken sich nach der Partie gegen Nürnberg bei ihren Fans für die Unterstützung.

© dpa

„Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie es für alle im Verein ist, dass ihr heute da sein könnt“, ruft Stadionsprecher Christian Arbeit vor dem Anpfiff Richtung Fans und bekommt donnernden Applaus zurück. Der umstrittene Testlauf für die anstehenden Spiele im DFB-Pokal und der Liga geht ohne Zwischenfälle über die Bühne.

Für Ende Oktober plant Union dann sogar ein Spiel vor vollem Haus. Doch dazu kommt es im Herbst nicht. Die bisher größte Kulisse seit Frühjahr gibt es Anfang Oktober bei Dortmund gegen den SC Freiburg – 11 500 Besucher im früheren Westfalenstadion. Seit Anfang November sind die Stadiontore für Fans wieder komplett zu.

Auflauf in Gießen

Drei Regionalligen – und alle Spielklassen darunter – pausieren schon viele Monate, zwei dürfen spielen: die Regionalliga West und Südwest. Zuschauer sind auch dort nicht erlaubt. Daher weichen die Vereine teilweise auf Sportanlagen aus, die in normalen Zeiten nicht für diese Spielklasse zugelassen wären.

Manche liegen so, dass ein guter Blick auf das Geschehen möglich ist. Was Fans sowie Groundhopper freut – und Vereine manchmal vor Probleme stellt. Als der FC Gießen im Februar auf dem Kunstrasenplatz an der Miller Hall gegen den VfB Stuttgart II mit Holger Badstuber antritt, finden sich mehr als 50 Interessierte am Gelände ein.

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„Bitte bleibt zuhause. Wenn weitere Zuschauer kommen, besteht die Möglichkeit, dass das Spiel abgebrochen wird“, appellieren die Gastgeber über ihre sozialen Kanäle. Polizei ist vor Ort, die „Gießener Allgemeine“ berichtet, dass per Lautsprecherdurchsagen aufgerufen wird, den Abstand einzuhalten. Das Spiel kann zu Ende gebracht werden – Resultat: 0:0.

Die Leitern von Prag

Auf Twitter oder Instagram finden sich Bilder, die zeigen, was Fans in Deutschland und anderswo tun, um Spiele ihres Vereins zu sehen. Manche stehen außerhalb des Geländes bei einem Testspiel zweier Jugendmannschaften im Dauerregen auf wacklig aussehenden, bankähnlichen Konstruktionen.

Viel Aufmerksamkeit haben beeindruckende Schnappschüsse auf dem Account „Football Awaydays“ bekommen: Dort sind Anhänger des tschechischen Erstligisten Bohemians Prag im Schneetreiben in der Dunkelheit auf Leitern geklettert und blicken beim Spiel gegen den FC Zbrojovka Brünn über eine Mauer ins Innere des Stadions Dolicek.

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Am Bus in Westend

Meist bleibt Fans aktuell nur die Möglichkeit, ihre Mannschaft symbolisch zu unterstützen. Mit Plakaten beim Training oder mit einem Spalier am Mannschaftsbus, wenn dieser zum Stadion fährt.

Das passiert vor allem bei Derbys oder anderen wichtigen Spielen, wie zuletzt der Partie von Hertha BSC im Abstiegskampf gegen den FC Augsburg. Herthas Trainer Pal Dardai hat die Unterstützung gefallen. Noch viel besser werde es, glaubt Dardai, „wenn die Fans wieder ins Stadion dürfen“. Wann auch immer das sein wird.

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