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Maximilian Schachmann (Mitte) siegte. Aber befremdlich war es schon.

© Foto: Yuzuru Sunada/dpa

Durchgezogen trotz Coronavirus: Die bizarre Atmosphäre beim Radrennen Paris - Nizza

Teams reisten ab, jeder hatte Angst, sich zu infizieren. Doch das Radrennen Paris - Nizza fand trotzdem statt. Ein Bericht von vor Ort.

„Darf man denn da durch?“ Behutsam fragt ein Mann die Polizistin, die in Nizza vor einer Absperrung in der Innenstadt postiert ist. Freundlich winkt sie ihn durch. Sie kann gelassen sein. Denn an diesem Samstagmorgen zieht es wenige Menschen in die Innenstadt von Nizza. Zwar startet dort die letzte Etappe des Radrennens Paris – Nizza. In früheren Jahren war das ein echter Zuschauermagnet. Aber in diesem Frühjahr wirkt Nizza fast noch ausgestorbener als 2016, unmittelbar nach dem Attentat.

Unter den Bewohnern hat sich herumgesprochen, dass es sich nicht lohnt, zum Start zu kommen. Paris – Nizza ist ein Geisterrennen, Kontakt zu den Sportlern ist an Start und Ziel nicht vorgesehen. „Die Atmosphäre am Start ist sehr schwach. Ich kann nicht wirklich nachvollziehen, warum wir noch eine Teampräsentation machen, weil ohnehin keiner da ist“, meinte verwundert Radprofi Nico Denz.

US-Profis suchen das Weite

Unterwegs konnte Denz trotz der Ausbreitung des Coronavirus noch einige Schaulustige wahrnehmen. „Alles konnten sie ja nicht absperren. Aber meistens habe ich mich gefühlt wie bei einem Nachwuchsrennen, wo bis auf die Eltern niemand an der Strecke stand“, lautete  das Fazit des Sunweb-Profis.

Paris – Nizza endete als sehr bizarres Rennen. Fast ohne Zuschauer, mit einem Peloton, das von Tag zu Tag kleiner wurde. US-Profis suchten das Weite, nachdem Präsident Donald Trump Einreisebeschränkungen für Flüge aus Europa angekündigt hatte. Die galten zwar nicht für US-Bürger, aber keiner wusste, ob nicht am nächsten Tag die Restriktionen verschärft werden würden.

Sieben World Tour-Teams waren gar nicht zum Start in Paris erschienen. Manche, wie Team UAE, weil sie bereits einen positiven Fall hatten. Andere waren in vorsorgliche Quarantäne gegangen. Und dann gab es Rennställe, die unterwegs ausstiegen. Israel Start Up Nation, das Team des Kölner Klassikerspezialisten Nils Politt, gehörte dazu.

„Es war eine komplexe Situation. Jeder hat die Angst, das Virus selbst zu bekommen. Größer noch war die Befürchtung, jemanden anderes anzustecken. Wichtigster Grund war dann aber die Gefahr, am Ende an irgendeinem unbekannten Ort auf unbekannte Zeit zu stranden“, schilderte Teammanager Kjell Carlström den Entscheidungsprozess.

Hintergründe über das Coronavirus:

Verunsichert waren auch die Fahrer, die bis zuletzt beim Rennen blieben. „Es ist auf alle Fälle eine komische Situation. In Deutschland hat der DFB die Ligen ausgesetzt. In den USA findet die NBA nicht statt. Eigentlich findet gar nichts mehr statt, nur wir fahren noch Rad“, sagte der Berliner Maximilian Schachmann vor der letzten Etappe.

Die vielen Zweifel führten dann auch zu einer paradoxen Dynamik im Rennen. Es wurde nicht etwa langsamer gefahren, weil der Kopf die Beine schwerer werden ließ. Nein, man trat noch extra hart in die Pedalen. „Es gab immer ein Team, das dachte, morgen ist es vorbei. Und so wurde auch gefahren, jeden Tag Vollgas, weil jedes Team dachte, wer weiß, wie lange wir noch Radrennen fahren. Wir haben Sponsoren, wir müssen uns  noch mal zeigen, also Vollgas. Am nächsten Tag dachte dann das nächste Team: Heute ist unsere Chance: Vollgas“, beschrieb Schachmann das schräge Szenario. Sein Fazit: „Es war eine sehr harte Woche.“

Der für eine Weile letzte Träger eines Gelben Trikots

Über seinen Sieg freute sich Schachmann natürlich. „Es ist ein super Gefühl, das Maillot Jaune, das typische gelbe Trikot, mit nach Hause zu nehmen. Da geht ein kleiner Traum in Erfüllung“, sagte er. Wie es weiter geht, ist völlig unklar. Rennen bis in den April hinein sind abgesagt. Nächster großer Saisonhöhepunkt für Schachmann war der Giro d’Italia.

Der wird aber auf alle Fälle verschoben, findet vielleicht gar nicht statt. Wofür trainiert man dann, wenn man die Höhepunkte noch nicht kennt und nicht einmal weiß, wann welcher Wettkampf stattfindet? „Es ist eine spezielle Situation, das stimmt. Man weiß nicht, wann es weiter geht. Und dann aber muss man, wenn es schlagartig wieder losgeht, seine Form timen“, beschreibt er das Dilemma.

Der Berliner ist aber auch guter Dinge, zumindest diesen Problemkomplex zu lösen. „Ich bin schon seit ein paar Jahren Profi. Die Motivation ist da. Den Trainingsprozess unterbricht man nicht einfach. Am Ende weiß ich, irgendwann wird es weiter gehen, und wenn es erst im nächsten Jahr ist.“ Schachmann scheint für alles Szenarien gerüstet. Klar ist bislang nur, dass er wohl für eine ganze Weile der letzte Träger eines Gelben Trikots sein wird.

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