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Sport: Dribbling, Abseits, Ecke

Der Fußball hat seine eigene Sprache. Gehörlose Kinder aus einer Sonderschule haben sogar eigene Fußball-Zeichen entwickelt und drucken nun eine WM-Zeitung

Auf das eine Bild ist Kaan Dikenli ganz besonders stolz. Das kleine Foto zeigt ihn selbst, wie er das Zeichen für Portugal in Gebärdensprache darstellt. Den Zeigefinger waagerecht einmal von der Stirn zum Kinn geführt, mehr nicht.

Der 15-jährige Kaan ist großer Portugal-Fan, deswegen wollte er unbedingt dieses Zeichen darstellen, als seine Schülerzeitung für die WM-Sonderausgabe auch die Gebärden aller teilnehmenden Länder als Fotos der Schüler abdruckte. Diese Zeichen haben die Schüler der Heimsonderschule Haslachmühle für Gehörlose aus der Deutschen Gebärdensprache (DGS) übernommen. Dann lacht Kaan und fährt mit der Hand über seinen linken Oberarm, so als hätte er richtig dicke Muskeln. Dieses Zeichen gibt es nicht in der DGS. Der Gehörlose junge Fußballfan hat es sich ausgedacht, um über seinen Lieblingsspieler sprechen zu können. Wer das ist? Klar: Cristiano Ronaldo.

Kaan Dikenli ist einer von vielen fußballbegeisterten Jugendlichen an der Heimsonderschule Haslachmühle in Baden-Württemberg. Die Schule ist eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit einer Hör- oder Sprachbehinderung, die zusätzlich eine geistige Behinderung haben. Einige dieser Schüler haben in den vergangenen Wochen eine eigene Gebärdensprache für Fußball entwickelt.

Entstanden ist das ganz natürlich. „Niemand hat sich hingesetzt und gesagt: Wir machen jetzt Fußballgebärden“, sagt Daniel Fabian, Chefredakteur der „Mühlezeitung“, die Schüler regelmäßig gemeinsam erstellen. Natürlich gibt es auch in der DGS Fußballzeichen. Für die geistig behinderten Schüler sind diese aber zu kompliziert oder nicht genau genug. „Wir haben an unserer Schule eine begrenzte Anzahl Gebärden“, erklärt Fabian. Diese Gebärden sind extra für geistig Behinderte entwickelt worden. Etwa 1000 sind das, die die Kinder und Jugendlichen recht intuitiv lernen können. „Das ist nur das Nötigste, was man für den Alltag braucht“, sagt Fabian. „Die offiziellen DGS-Zeichen sind oft sehr abstrakt.“

Für Fußball aber gab es da nur wenige Ausdrücke wie „Tor“, „gewinnen“ oder „Ball“. Den fußballbegeisterten Jugendlichen reichte das natürlich nicht, wenn sie jeden Montag auf den Pausenhof über Bundesliga oder WM diskutieren wollten. Kaan und seine Freunde haben sich nach und nach eine eigene Sprache ausgedacht. Dabei haben sie Gebärden aus der DGS übernommen, aber auch selbst welche erfunden. „Die Schüler sind da sehr kreativ, weil sie sich ja verständigen wollen“, sagt Klassenlehrer Thomas Hermenau. Mit ein wenig Fantasie weiß man sofort, was Kaan meint, wenn er die Finger in Schlangenlinien vor seinem Körper führt: Dribbling. Auch das Zeigen auf den imaginären Elfmeterpunkt leuchtet schnell ein. Für die Lehrer waren die Zeichen anfangs trotzdem wie eine Geheimsprache. „Man muss sich das vorstellen wie eine Art Jugendsprache“, sagt Hermenau. „Damit spielen die Jungs auch.“

Kaan grinst wieder. Der 15-Jährige, dessen Eltern aus der Türkei kommen, hat zwar eine Lernschwäche, ist jedoch sehr pfiffig und versteht gleich, worum es geht. Wie für Cristiano Ronaldo haben er und seine Freunde sich auch Gebärden für die deutschen Fußballer ausgedacht. In der DGS würde man all die Namen einfach schnell mit dem Fingeralphabet buchstabieren. Doch das können viele der Schüler der Heimsonderschule nicht. Und so ist es ja auch viel einfacher: Einen Ball in die Luft malen und danach den Fingernagel lackieren – klar, das ergibt Ballack. Özil? Die Augen ganz weit aufreißen. Schweinsteiger? Eine Schweinenase mit der Hand andeuten und dann mit beiden Händen eine Leiter hochklettern. „Die Jungs denken sich für alles etwas aus“, sagt Thomas Hermenau, der oft selbst nicht weiß, wie sie darauf kommen. Viele der Schüler können nicht lesen und schreiben. Trotzdem haben sie sich als Zeichen für Philipp Lahm das langsame Gehen der Finger auf dem Arm ausgesucht. Eine Transferleistung, die ihnen die Lehrer gar nicht zugetraut hätten.

Fußball ist für die Schüler der Heimsonderschule Haslachmühle ein besonderer Lernanreiz.

Als die „Mühlenzeitung“ die Sonderausgabe zur WM plante, kam den Lehrern die Idee, die auf dem Schulhof kursierenden Gebärden für Fußballbegriffe zu sammeln und ein Hochglanzposter damit zu bedrucken. Sie fotografierten 67 Begriffe und zeichneten die Pfeile für die entsprechenden Bewegungen ein. Damit haben sie nun den Preis der Nationalen Initiative Printmedien gewonnen und nahmen mit drei weiteren Schulen an einem Workshop teil, der am vergangenen Wochenende gemeinsam mit dem Tagesspiegel durchgeführt wurde. Kaan kam gemeinsam mit dem ebenfalls 15-jährigen Hezni Sezkir und dem 19-jährigen Christopher Grüninger, die in den Räumen am Askanischen Platz eine kleine WM-Zeitung erstellten, die am Samstag dieser Zeitung beiliegen wird.

Auch das Spiel England gegen Deutschland hat sich Kaan Dikenli in Berlin angeschaut. Als er nach dem Spiel gefragt wird, wie er es denn fand, grinst er nur und zeigt die einfachste Gebärde der Welt: Daumen hoch.

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