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Die Erste ihrer Klasse: Anne Haug holte als erste deutsche Frau den Ironman-WM-Titel auf Hawaii.

© imago/Belga

Doppelsieg beim Ironman auf Hawaii: Die Erfolgsgeschichte von Anne Haug und Jan Frodeno

Anne Haug gewinnt als erste Deutsche die Ironman-WM in Kona. Mit dem erneuten Weltmeister Jan Frodeno verbindet sie eine lange Geschichte - und der Trainer.

Jung sehen sie aus -und glücklich: Anne Haug und Jan Frodeno stehen im Juli 2013 in Hamburg auf der obersten Stufe des Siegerpodestes und strahlen. Frodeno reckt seine langen Arme in die Höhe und überragt seine drei Staffelkameraden, die 35 Zentimeter kleinere Haug steht schüchtern lächelnd vor ihm und winkt. Gerade haben sie die Staffelweltmeisterschaft über die Sprintdistanz gewonnen und ahnen nicht, dass sie mehr als sechs Jahre später noch einmal auf dem obersten Treppchen bei einer WM stehen werden - nur auf der anderen Seite der Erdkugel, über die vier Mal so lange Ironman-Distanz und zeitlich versetzt mit jeweils einem Einzel-Weltmeistertitel.

Seit Sonntagfrüh, 3.05 Uhr deutscher Zeit ist ein Bann gebrochen: Seit Jahren dominieren die deutschen Triathlon-Männer die Ironman-Distanz (3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42,2 Kilometer Laufen), zuerst Sebastian Kienle, dann Jan Frodeno, in den vergangenen zwei Jahren siegte Patrick Lange in Kona. Nur bei den Frauen wollte es nicht so recht klappen. Eine Deutsche hatte es 2004 geschafft, als Erste über die Ziellinie in Kona auf Hawaii zu laufen. Nina Kraft gestand allerdings wenige Wochen später, das Dopingmittel Epo eingenommen zu haben.

Anne Haug kam 2018 bei ihrem Debüt als Dritte ins Ziel, rannte den schnellsten Marathon der WM-Geschichte. Danach kündigte sie an: "2019 gehe ich auf Hawaii auf Angriff." Jetzt beseitigte sie alle Zweifel an der Leistungsfähigkeit der deutschen Frauen: Mit 6:34 Minuten Vorsprung gewann sie vor der Britin Lucy Charles-Barclay, auf Rang drei kam die Australierin Sarah Crowley durch das Zieltor. Auch bei Jan Frodeno und seinen Fans war die eine unglaubliche Erleichterung zu spüren.

Nach zwei Jahren, in denen er wegen Verletzungen abgeschlagen ins Ziel kam oder gar nicht erst starten konnte, dominierte er das Rennen ab der zweiten Hälfte der Radstrecke. Er wurde mit 7:55 Minuten Vorsprung vor dem US-Amerikaner Tim O'Donnell und mit 10:23 Minuten vor dem Deutschen Sebastian Kienle zum dritten Mal Ironman-Weltmeister. Das hat noch kein Deutscher vor ihm geschafft. Damit gibt es gleich zwei erste Male auf Hawaii: Denn es war gleichzeitig auch der erste deutsche Doppelsieg bei Männern und Frauen.

Auf Hawaii schließt sich der Kreis

Vieles hat sich seit 2013 für Anne Haug und Jan Frodeno, heute 36 und 38 Jahre alt, geändert: Beide sind aus dem System des Deutschen Triathlon-Verbandes (DTU) und den Sprint- und olympischen Distanzen in die Welt der Halb- und ganzen Ironmans gewechselt. Das bedeutet mehr Eigenverantwortung und finanzielles Risiko. Frodeno trainiert nicht mehr in Saarbrücken, sondern wechselweise in Spanien und Australien, hat Frau und Kinder. Ein entscheidender Faktor aber ist gleich geblieben: 2013 wie 2019 ist der Trainer hinter den beiden besten deutschen Triathleten der Luxemburger Dan Lorang.

Haug und Frodeno mit ihren Staffelkameraden auf dem Podium der Mixed-Staffel-WM 2013.
Haug und Frodeno mit ihren Staffelkameraden auf dem Podium der Mixed-Staffel-WM 2013.

© Markus Scholz/dpa

Auch er ist aus der Verbandswelt in die freiere Langstreckenwelt gewechselt, trainiert im Hauptberuf das Radsport-Team Bora-hansgrohe. "Es ist natürlich ein sehr besonderes Erlebnis, die beiden hier wieder auf dem Podium zu sehen", sagte er am späten Sonntagabend (hawaiianische Ortszeit) im Telefongespräch. Im Hintergrund waren jubelnde Fans zu hören, Lorang selbst hatte gerade mit Jan Frodeno und seinem Team beim Abendessen gefeiert.

"Bei Jan sah es das ganze Rennen über gut aus, er konnte die besprochene Taktik durchziehen", sagte Lorang zu Frodenos Rennverlauf. Mehr Nerven kostete es ihn, Anne Haug zuzuschauen. Erst zum vierten Mal und in der zweiten Saison bestritt sie die Ironman-Distanz. Dabei hatte sie 2018 mit einem Ermüdungsbruch im Oberschenkel zu kämpfen, in diesem Jahr riss sie sich die Plantarfaszie an der Fußsohle, konnte den Sommer über kaum laufen.

"Sie ist einfach mehr geschwommen und Rad gefahren und hat insgesamt nicht weniger trainiert", sagt Dan Lorang. Erst einen Tag vor der Deadline qualifizierte sie sich beim Ironman in Kopenhagen im August mit einem Sieg für Hawaii. "Das war ganz wichtig für den Kopf", sagte sie im Interview nach dem Zieleinlauf. "Da habe ich noch einmal Selbstbewusstsein getankt."

Dieses Selbstbewusstsein zeigte sie von Anfang an auf der Strecke: Zwar kam Lucy Charles-Barclay als Erste aus dem Wasser, allerdings ist das Schwimmen auch die absolute Stärke der Britin. Haug ging mit nur fünf Minuten Rückstand auf die Strecke, führte die Verfolgergruppe aggressiv an, musste die Lücke allerdings auf sieben Minuten aufreißen lassen und verlor Zeit in der Wechselzone. Doch dann begann die Aufholjagd der 52 Kilogramm leichten "pocket rocket", der "Hosentaschenrakete", wie sie die englischsprachigen Kommentatoren nennen: Nach und nach, aber mit zermürbender Schnelligkeit holte sie die acht Minuten Rückstand auf Lucy Charles-Barclay auf.

Nach 24 Kilometern dann der historische Moment im wegen seiner Hitze gefürchteten Energy Lab, einer Lavasteinwüste am letzten Wendepunkt: Haug überholt die Britin, spricht ihr kurz Mut zu - und ist weg. Wie ein aufgezogenes Uhrwerk läuft sie einem Tempo von durchschnittlich vier Minuten pro Kilometer Richtung Ziel, wird gegen Ende sogar noch schneller und rennt auf dem letzten Kilometer ein höheres Tempo als der langbeinige Jan Frodeno. Der hat zu dem Zeitpunkt bereits auf dem Podium seinen Champagner verspritzt.

Haug ist bescheiden geblieben

Dass Haugs Plan aufgehen sollte, stand erst spät fest. Sie lief so gleichmäßig und schnell Richtung Ziel, dass man den Eindruck gewinnen konnte, sie wollte ein olympisches Rennen auf der Ironman-Distanz austragen. "Es hätte auch nach hinten losgehen können", gibt Lorang zu. "Aber wenn sie explodiert und nur Fünfte geworden wäre, wäre das auch in Ordnung gewesen." Ihm zufolge war Haugs Tempo keineswegs übermütig, sondern gut kontrolliert. Durch ihren effizienten Laufstil hätte sie die Konkurrenz schlicht überrannt. "Es war schnell, aber nicht überzogen", sagte Lorang.

Was seit 2013 neben dem Trainer ebenfalls gleich geblieben ist: Jan Frodeno ist der Sunnyboy, der alle kennt und mit allen schwatzt. Anne Haug gibt beim Gang auf das Podium schüchtern Küsschen, hält keine Pläuschchen. Der Ironman-Zirkus war ihr schon im vergangenen Jahr fremd und er ist es ihr geblieben. Beim Youtube-Format "Breakfast with Bob" wurde sie gefragt, ob sie denn jetzt öfter auf Galaveranstaltungen gehen würde. "Nein, eigentlich nicht", antwortete sie. Der Gedanke schien ihr, die weiterhin in der sicheren Welt des Olympiastützpunkts in Saarbrücken trainiert, sehr fern.

Ganz fassen konnte sie es am Sonntagabend noch nicht, dass sie nun Weltmeisterin ist. "Vielleicht realisier ich's morgen", sagte sie der ARD. Dann kommt vielleicht auch die Frage auf, die beide Weltmeister sich nun stellen müssen: Wird man sie noch einmal in Kona sehen? Beide Athleten haben in diesem Jahr gezeigt, dass der lange Formaufbau im DTU-System wertvoll ist, dass mentale Stärke und gute körperliche Grundlagen einen klaren Vorteil über die jüngere Konkurrenz verschaffen.

Lorang zufolge steht noch nicht fest, ob Haug und Frodeno noch einmal über denselben Zielteppich laufen - und es dürfte ihm und seinen Athleten auch aktuell keine Sorgen bereiten. "Ich möchte gerade einfach die Zeit anhalten", sagte er. "In der heutigen Leistungsgesellschaft geht es nach einem Sieg ja oft direkt weiter. Jetzt will ich aber erst einmal die Stimmung hier genießen und mit meinen Athleten zusammensein." Glücklich sind sie jetzt wieder - nur eben ein bisschen älter.

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