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Mit spanischem Freifahrtschein. Alberto Contador durfte trotz Dopingindizien an der Tour de France teilnehmen. Foto: Reuters

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Doping in Spanien: Die ewige Siesta

Ob Valverde oder Contador: In Spanien müssen die Sportstars keine Sperre fürchten, weil Verbände ihre schützende Hand über sie halten

Es wäre ein unruhiger August geworden in Lausanne, malerisch gelegen am Genfer See: Gleich zwei ehemalige Tour-de-France-Sieger, Jan Ullrich und Alberto Contador, sollten vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas wegen Dopings zur Verantwortung gezogen werden. Da in der Schweiz aber eher Bedacht und Ruhe herrschen, haben die Sportrichter gerne dem Antrag der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada stattgegeben, den Fall Contador wegen neuer Beweise zu verschieben. Die Kollegen vom Internationalen Radsportverband UCI, 45 Kilometer entfernt auf der anderen Seiten des Genfer Sees, und der spanische Radsportverband RFEC hatten auch nichts dagegen. So wird erst im November über den Mann verhandelt, den sein spanischer Verband bereits im Februar für unschuldig erklärt hatte.

In der Schweiz ist man den Umgang mit spanischen Beweisstücken mittlerweile gewohnt – das Beweismaterial zum Fall Ullrich stammt noch aus der „Operación Puerto“, bei der im Mai 2006 das Netzwerk um den Dopingarzt Eufemiano Fuentes aufflog. Von Anabolika über Hormone und Psychopharmaka bis hin zu Epo-angereicherten Bluttransfusionen reichte das Angebot des Arztes, der heute als Gynäkologe auf Gran Canaria praktiziert.

Seine Kunden aus dem Radsport, Tennis, Fußball und der Leichtathletik führte er er auf verschlüsselten Listen, über die die Guardia Civil über dreißig Sportler identifizierte. Bis heute sind nur sechs von ihnen verurteilt: Jan Ullrich und Jörg Jaksche, der ein Geständnis ablegte, sowie drei italienische Fahrer, die durch den italienischen Radsportverband mit Fahrverboten belegt wurde. Dieser Verband verweigerte auch dem Spanier Alejandro Valverde die Starterlaubnis auf italienischem Boden, was der Cas vergangenes Jahr auf ein weltweites Startverbot ausweitete. Sein eigener Verband hat ihn nie belangt.

Die Fälle Valverde und Contador sind beispielhaft für die Anti-Doping-Politik in Spanien. Fünf Jahre nach der groß angelegten Anti-Doping-Operation „Puerto“ ist noch kein einziger spanischer Sportler durch seinen Verband oder durch ein spanisches Gericht bestraft worden.

„Die spanischen Sportverbände sind diejenigen, die die Akten eröffnen und Strafen verhängen müssen“, erklärt die staatliche Anti-Doping-Agentur AEA. „Kein Verband hat Interesse an positiven Proben“, sagt Steffen Moritz, „die Verbände sind vielmehr Teil des Systems, das Doping fördert.“ Der Mitbegründer des Vereins „Sport Transparency“ verfolgt die Entwicklungen in Spanien seit Jahren. Seine Beobachtung: Bei der Gesetzgebung sind die Spanier sehr aktiv, und Organe wie die Guardia Civil verfolgen Doping scharf. Doch trotz ausführlicher Abhörprotokolle, Razzien und Beweismitteln lautet das Urteil meist: Freispruch.

Woran es bei der Verurteilung von Dopingsündern hakt, zeigt der Fall Marta Domínguez. Die Europameisterin über 3000 Meter Hürden stand auf Fuentes’ Kundenliste, hat bis heute aber keine Sanktion erfahren. Nach und nach wurden alle Anklagepunkte fallen gelassen. Den Vorwurf, ein entzündungshemmendes Medikament ohne Rezept an ihren Trainingspartner Eduardo Polo weitergegeben zu haben, strich die Richterin Mercedes Pérez Barrios – Domínguez habe Polo nur „ausgeholfen“, weil dessen Arzt nicht verfügbar gewesen sei. Gleichzeitig erklärte sie die Abhörmethoden der Guardia Civil für nicht rechtens, obwohl Domínguez das Abhören ihrer Telefongespräche ursprünglich erlaubt hatte und erst später Einspruch dagegen erhob.

„Normal“ scheint der Freispruch eines Sporthelden trotz drückender Beweise in Spanien tatsächlich zu sein. Natürlich wünscht sich die staatliche Anti-Doping-Organisation, die direkt der Regierung unterstellt ist, dass die Dinge so „schnell wie möglich“ vom Cas aufgeklärt werden. Doch sich selbst will niemand die Hände schmutzig machen und einen Nationalhelden demontieren. Im Gegenteil: Der spanische Ministerpräsident José Zapatero sprang für Contador in die Bresche und twitterte, es „gebe keinerlei rechtliche Grundlage, Contador zu bestrafen“.

„In Spanien werden die Sporthelden sehr verehrt. Man fasst sie mit Samthandschuhen an“, ist Moritz Steffens Erklärung für das Zögern. Was „rigoroses Bestrafen von Doping“ angeht, das sich die AEA auf die Fahnen geschrieben hat, scheint ewige Siesta zu herrschen.

Doch es regt sich etwas: Der Präsident des spanischen Olympischen Komitees, Alejandro Blanco, forderte schnellere Verfahren, da die Operation Puerto bereits seit fünf Jahren ohne Abschluss sei. „Das ist das halbe aktive Leben eines Sportlers.“ Bis sich jedoch etwas ändert, muss man in Lausanne weiterhin die fünf Jahre alte schmutzige Wäsche aus Spanien waschen.

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