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Erwischt. Lance Armstrong reiht sich ein in die lange Ahnengalerie dopingverdächtiger Radsportler ein.

© dpa

Doping im Radsport: Der Fall Armstrong: Die Leere der Gewissheit

Der Fall Lance Armstrong stürzt den Radsport in die nächste Existenzkrise: Langsam gehen ihm die Helden aus. Und der Texaner platziert sich noch mehr als zuletzt in der Opferrolle.

Die Vergangenheit kann erst richtig aufgearbeitet werden, wenn die direkt Beteiligten anfangen, davon zu erzählen. Das ist auch bei Lance Armstrong so, gegen den einstige Weggefährten ausgesagt haben und der nun auf den anstehenden Dopingprozess verzichtet. „Genug ist genug“, sagte der 40-jährige Armstrong nun, als er bekannt gab, sich dem öffentlichen Verfahren und der US-Anti-Doping-Agentur Usada nicht zu stellen. Viele sehen seine Aufgabe als Schuldeingeständnis eines dopenden Profi-Radfahrers. Zumal die Usada ihn lebenslang sperrte und die Aberkennung seiner sieben Tour-de-France-Titel beantragte. Der Radsport-Weltverband UCI, der letztlich entscheiden muss, wollte sich am Samstag nicht dazu äußern.

Gewiss ist einstweilen das Startverbot für den von Armstrong inzwischen ausgeübten Triathlon; schließlich ist er nun für alle olympischen Wettbewerbe lebenslang gesperrt. Doch es geht um weitaus mehr. Die Begründung Armstrongs für seine Aufgabe verwundert schon, denn genug war ihm nie genug. Diese Einstellung war Grundlage seines Images, er hat sie als Lebensmaxime immer ausgestrahlt, egal, ob er seine Krebserkrankung überstand oder in den Jahren danach das Peloton beim größten Radrennen der Welt dominierte. Bei der Demontage dieses Idols für den immerwährenden Kampf des Lebens gilt es, Rücksicht auf dessen Bedeutung zu nehmen. „Das ist ein trauriger Tag für alle von uns, die den Sport und unsere Athleten-Helden lieben“, sagte Travis Tygart, der Leiter der Usada.

Bildergalerie: Lance Armstrong bei seinen sieben Tour-Siegen:

John Fahey, der Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, bezeichnet Armstrong als „Dopingbetrüger“ und wundert sich, warum dem 40-Jährigen, der sich nie einem Verfahren stellen musste, jetzt die Belastung zu hoch ist. Es liegt nicht fern, in dem Rückzug Armstrongs dessen letzten Versuch zu sehen, die Deutungshoheit über das eigene Tun zu behalten. Noch mehr als zuletzt platziert sich Armstrong in der Opferrolle.

Bei den ausstehenden Verhandlungen – etwa gegen seinen ehemaligen und weiter aktiven Rennstall-Chef Johann Bruyneel – wird er wohl als Zeuge geladen werden und nicht als Beschuldigter in der „großen Doping-Verschwörung“, von der Tygart spricht. Armstrong droht ein größerer Reputationsverlust, wenn ihm die Einnahme von Dopingmitteln nachgewiesen werden würde; schließlich soll er zu einem System gehört haben, in dem der Handel mit Doping-Präparaten gegenwärtig war.

Bisher konnte Armstrong die öffentlichen Anschuldigungen früherer Kollegen wie Tyler Hamilton, George Hincapie oder Floyd Landis, dem sein Sieg bei der Tour 2006 aberkannt worden ist und der sagt, Armstrong beim Dopen zugeguckt zu haben, stets als verzweifelte Taten selbst beim Dopen erwischter und nun von Kronzeugenregelungen profitierender armer Existenzen hinstellen. Doch Zeugenaussagen in einem Prozess wiegen schwer. Zudem rücken Armstrongs Ausnahmeatteste, sein gutes Verhältnis zu manchem Dopingkontrolleur und seine früheren Spenden an den Radsport-Weltverband UCI in den Vordergrund.

Wie wird die UCI nun vorgehen?

Die interessanteste Frage ist nun, wie die UCI vorgeht. Wird der immer auch der Verharmlosung verdächtige Weltverband seinen größten Helden weiter schützen? Erst einmal will die UCI keinen Kommentar abgeben, ob sie Armstrong aus den Siegerlisten zwischen 1999 und 2005 streicht. Nicht verwunderlich, schließlich stellt sich dann gleich das nächste delikate Problem.

Mag Armstrong unnahbar im Peloton gewirkt haben – isoliert war er nicht. Auch diejenigen vor ihm, neben ihm, hinter ihm oder nach ihm wurden entweder überführt oder mit Doping in Verbindung gebracht. Ihre Namen füllen eine ganze Ahnenhalle des Radsports, man denke nur an die früheren Toursieger Bjarne Riis, Marco Pantani, Floyd Landis oder Alberto Contador. Kaum besser sieht es bei den Kandidaten aus, die als Nachrücker Armstrongs Toursiege erben würden. Sie würden nur diejenigen bestätigen, die im Radsport vor allem einen Pharmawettbewerb sehen.

Bildergalerie: Armstrongs zwielichtige Titel-Erben:

Der dreimal zweitplatzierte Jan Ullrich würde dem Radsport aufgrund seiner Dopingvergangenheit kaum Glaubwürdigkeit zurückgeben – er will auch gar nicht auf Platz eins nachrücken. Gegen den Zweitplatzierten von 2004, Andreas Klöden, wurde auch schon wegen Dopings ermittelt. Rudolf Scharping vom Bund Deutscher Radfahrer wünscht sich daher, dass es in dieser Zeit keinen offiziellen Gewinner gibt. Eine weiße Siegerliste als Beleg für die verlorenen Jahre im Radsport? Es wären immerhin die einzigen Jahre, über denen keine Zweifel mehr liegen würden – sondern die Leere der Gewissheit.

Fans weisen oft darauf hin, dass im Radsport nicht mehr gedopt werde als anderswo. Der systemimmanente und weitverbreitete Druck, der eigenen Leistung nachzuhelfen, ist aber in keiner anderen Sportart so gut belegt und so wäre auch kaum jemand prinzipiell erstaunt, wenn Lance Armstrong Doping zugeben würde. Das ist nicht zu erwarten. Sollte es eines Tages dennoch passieren, müsste zumindest die offizielle Geschichte völlig umgeschrieben werden.

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