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Diskriminierung im Behindertensport: Koreas Umdenken

Behinderung wurde in der koreanischen Gesellschaft lange ausgeblendet – das soll sich nun bessern.

Um einen Anhänger von Maskottchen Bandabi zu ergattern, stehen Familien geduldig Schlange. Kleinkinder stapfen mit einem Eis in der einen, mit der Koreaflagge in der anderen Hand wedelnd über das weitläufige Gelände zwischen Eishockey- und Curling-Stadion. Wie die Großen bejubeln sie wenig später die Athleten, auf den Schultern ihrer Eltern sitzend.

Mit über 320 000 Tickets wurden bei keinen anderen Winter-Paralympics mehr Karten verkauft als bei den diesjährigen. Am Austragungsort Pyeongchang scheint Koreas Begeisterung für Para Sport über alle Generationen hinweg angekommen – und damit Akzeptanz und Wertschätzung gegenüber Menschen mit Behinderung. Trotzdem betreffen laut dem Jahresbericht der „National Human Rights Commission of Korea“ weiterhin mehr als die Hälfte aller Beschwerden wegen Diskriminierung explizit Menschen mit Behinderung.

Erst im Juli 2017 endete ein fünfjähriger Sitzstreik in einer der größten Metro-Stationen der Hauptstadt Seoul. Sich beim Streik abwechselnde Aktivisten forderten die Reformation des ihrer Ansicht nach starren Systems, nach dem Menschen mit Behinderung in Südkorea klassifiziert werden. Die seit 1988 existierenden Kategorien ordnen Koreaner nach strengen medizinischen Kriterien in Level zwischen eins und sechs ein. Je nach Levelzugehörigkeit erhalten Menschen mit Behinderung unterschiedliche finanzielle Unterstützung, wobei sich die Höhe nach dem Einkommen richtet. Wer eine Behinderung auf Level eins bis drei hat, bekommt auch andere Zuschüsse, beispielsweise für mögliche Gerichtsverfahren.

Um Diskriminierung zu bekämpfen, setzt die koreanische Regierung am Arbeitsplatz auf eine Quotenregelung: Beschäftigt ein Unternehmen mehr als 50 Arbeitnehmer, müssen drei Prozent aller Angestellten eine registriert Behinderung haben – andernfalls werden Bußgelder verhängt. Trotz allerlei Regulierungen stößt das System an seine Grenzen. Der Diskriminierung im Alltag können weder Quote noch Gesetze entgegenstehen. Dass Menschen mit Behinderung oft gar unsichtbar erscheinen, fällt auch jungen Leuten auf: „Im Vergleich zu England oder den USA sehe ich hier seltener Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit“, sagt Eugene Kim, die in der Hauptstadt Seoul lebt und studiert. Die 20-Jährige ist überzeugt, dass Korea umdenken müsse. Das bedeute für sie, alle Menschen als einen Teil der Gesellschaft zu sehen und spezielle Bedürfnisse anzuerkennen.

Die neu entfachte Begeisterung vieler Koreaner für den paralympischen Sport könnte dafür sprechen, dass dieses Umdenken gerade stattfindet. „Bis ins letzte Jahrzehnt hinein fand Inklusion in Korea kaum statt. Allgemeines Bewusstsein über das Thema existierte nicht“, sagt Sooyeon Jane Hong. Die Gründerin der Nicht-Regierungs-Organisation „Accessible Korea“ setzt sich seit über zehn Jahren für eine rollstuhlfreundlichere Infrastruktur in ihrem Heimatland ein. Nicht nur in diesem Punkt nehme sie viele positive Entwicklungen wahr, die Südkorea durch die Paralympics erreichten. Durch die Leistungen der Athleten verändere sich der Blickwinkel auf Menschen mit Behinderung: mehr Wertschätzung und Interesse. „Eine Einzelperson startete etwa eine Petition für mehr Liveübertragung im Fernsehen, die wurde super angenommen und sogar umgesetzt“, sagt Hong. Für die Gründerin sind die aktuellen Entwicklungen zukunftsweisend: „Es ist noch nicht optimal, aber Korea verändert sich. Und Pyeongchang wird da nachwirken.“ Sooyeon Jo,20 Jahre, Lea Stratmann, 18 Jahre

Sooyeon Jo, Lea Stratmann

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