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Rudi Gutendorf im Jahr 2015

© Thomas Frey/dpa

Die Welt ist ein Ball: Ein persönlicher Nachruf auf Rudi Gutendorf

Niemand hat so viele Teams in so vielen Ländern trainiert wie Rudi Gutendorf. Der Fußball war für ihn immer mehr als nur Sport. Erinnerungen an „Rudi-Rastlos“.

Vor vier Jahren fragten mich bekannte polnische Sportjournalisten, die in ihrer Heimat in unregelmäßigen Abständen das Fußballmagazin „Kopalnia“ herausbringen, ob ich Lust hätte, etwas für sie zu schreiben. Fußball und Politik sollte das Thema der geplanten Ausgabe heißen. Und so kam es, dass ich mir als Fan des MSV Duisburg einen Traum erfüllte. Für die polnischen Kollegen porträtierte ich Rudi Gutendorf. Jenen Trainer, der in der Gründungssaison der Bundesliga 1963/64 mit dem Meidericher SV, wie der Verein damals noch hieß, überraschend Vizemeister wurde.

Einer Mannschaft, die bis auf den alternden Helden der legendären Weltmeistermannschaft von 1954, Helmut Rahn, damals keine Stars hatte und dementsprechend wenig von der Konkurrenz ernst genommen wurde. Auch deshalb, weil der Duisburger Arbeiterstadtteil außerhalb der Stadtgrenzen nur den wenigsten bekannt war. „Meiderich, wo liegt das denn?“, soll Uwe Seeler einer Legende zufolge vor dem ersten Gastspiel seines Hamburger SV in Duisburg im November 1963 gefragt haben. Als Antwort bekamen die Hamburger eine 4:0-Klatsche.

„Wo Meiderich liegt, wo Meiderich siegt, ist überall bekannt. Wo mancher Großer ward besiegt, wo mancher festgerannt“, heißt es seitdem im Zebra-Twist.

Der Erfolg, den der heutige Drittligist nie mehr wiederholen konnte, war vor allem der Defensiv-Taktik von Rudi Gutendorf geschuldet. Diese brachte ihm zwar den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Riegel-Rudi“ ein, soll aber nicht nur bei Sepp Herberger sehr viel Anerkennung gefunden haben, sondern wurde auch kurz darauf von vielen anderen Trainern der Fußball-Bundesliga übernommen.

Was Rudi Gutendorf für das Porträt in dem polnischen Magazin jedoch auszeichnete, war nicht seine Zeit beim MSV Duisburg und anderen Bundesligavereinen wie VfB Stuttgart, FC Schalke 04, dem HSV oder den Berliner Vereinen Tennis Borussia in den 1970er Jahren und Hertha kurz in den 1980er Jahren, sondern seine zahlreichen Stationen im Ausland. Ob China, Australien, Samoa, Peru oder Tansania. Seine insgesamt 55 Jobs als Trainer von Vereinen und Nationalmannschaften führten ihn auf alle Kontinente.

Sogar ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte er es

Eine über Jahrzehnte andauernde Reise um die Erde, die Gutendorf einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde als der Trainer mit den meisten Stationen einbrachte. Mehr noch: Von seinen Reisen brachte „Rudi-Rastlos“ auch unzählige Geschichten und Anekdoten mit, die er zu insgesamt fünf Büchern verarbeitete. Was bei den ganzen Anekdoten jedoch vergessen wird, ist der ernste Hintergrund für seine weltweite Mission in Sachen Fußball.

Rudi Gutendorf trainierte 1999 auch die Nationalmannschaft von Ruanda.
Rudi Gutendorf trainierte 1999 auch die Nationalmannschaft von Ruanda.

© picture-alliance / dpa

1961, mitten im Kalten Krieg, erkannte die Bundesregierung, dass sich auch mit Fußball Diplomatie machen lässt und schickte Gutendorf auf seine erste Mission nach Tunesien. „Herr Jutendorf, machen S’et jut – sonst holen die einen aus der Soffjetzone“, gab Bundeskanzler Konrad Adenauer persönlich dem damals jungen Trainer mit auf den Weg. Was Gutendorf dazu befähigte, waren seine Französischkenntnisse und seine Auslandserfahrung. Bevor Gutendorf im Auftrag der Bundesrepublik auf Reisen ging, arbeitete er als Fußballlehrer in der Schweiz.

Auch mit Allende war er befreundet

Dass nicht all seine Jobs im Ausland nur ein Abenteuer waren, zeigte sich bei meinen Telefoninterviews mit ihm. An seine Zeit als Nationaltrainer Chiles erinnerte er sich voller Verbitterung. Einerseits, weil der von Pinochet angeführte Militärputsch einen seiner großen Träume zerplatzen ließ – die Teilnahme an der Weltmeisterschaft. Die 1974 auch noch in seinem Heimatland stattfand. Wegen des Putsches musste Gutendorf mit der letzten Lufthansa-Maschine Santiago de Chile verlassen. Den Militärs passte seine Freundschaft mit dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende nicht.

Noch mehr schmerzte Gutendorf jedoch das blutige Treiben der Junta und wie sie dazu seine Ideen missbrauchte, die allein nur dem Fußball dienten. Eine Mauer in den Katakomben des Nationalstadions von Santiago de Chile, die Gutendorf zum Aufwärmen errichten ließ, nutzte die Junta für Exekutionen von politischen Gegnern. Menschlich versöhnt mit den Erfahrungen in Chile, hat ihn sein Engagement als Nationaltrainer Ruandas 1999. „Mit war wichtig, dass sich die Spieler versöhnen und eine Einheit bilden. Trotz des blutigen Krieges Jahre zuvor“, sagte mir Gutendorf. Worte die zeigen, dass Fußball mehr ist als nur Sport.

In der Nacht von Freitag auf Samstag ist Rudi Gutendorf, der in den vergangenen Jahren eine Flüchtlingsmannschaft betreute, im Alter von 93 Jahren verstorben.

Thomas Dudek

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