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Julian Brandt gibt immer alles, ist aber manchmal glücklos.

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Die verspielte 2:0-Führung: Was Julian Brandt und der Nationalmannschaft noch fehlt

Für Julian Brandt läuft es im Nationalteam besser als bei Borussia Dortmund. Doch er hadert mit den geringen Einsatzzeiten - und den vergebenen Chancen.

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Als der Nieselregen auf den Dortmunder Rasen hinunterprasselte, verlor Julian Brandt den Halt. Er rutschte weg, plumpste auf den Boden und versuchte, den Ball im Liegen noch an den nächsten Mann zu bringen. Keine Chance. Wenn es noch ein Bild gebraucht hätte, das Julian Brandts momentane Lage darstellt, so war es dieses kurz vor der Halbzeitpause des Länderspiels zwischen Deutschland und Argentinien am Mittwochabend.

Am Willen hat es ja noch nie gemangelt bei dem 23 Jahren alten offensiven Mittelfeldspieler, nicht bei seinen Vereinen und auch nicht in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Auch diesmal lief und ackerte und mühte sich Brandt wieder einmal. Doch ihm fehlte entweder das Glück oder die nötige Präzision beim Abschluss.

Was für Julian Brandt im Speziellen gilt, lässt sich auch auf die deutsche Mannschaft im Allgemeinen anwenden. Dass in der ersten Hälfte aus den vielen Gelegenheiten nicht mehr als zwei Tore heraussprangen, mag noch mit Pech zu erklären sein. Dass sie allerdings im zweiten Abschnitt die Führung noch hergab, lag vor allem an der eigenen Nachlässigkeit. „Wir haben ein paar Ballverluste gehabt und sind ins Schwimmen geraten“, sagte Bundestrainer Joachim Löw.

Ein Stück weit war die Schludrigkeit der letzten halben Stunde sicherlich auch den Wechseln zuzuschreiben. Immerhin setzte Löw nach den beiden Freiburgern Robin Koch und Luca Waldschmidt, die von Beginn an ran durften, später noch auf Nadiem Amiri und Suat Serdar. „Wenn du gerade viele Neulinge hast, dann kommt sowas vor“, sagte Brandt. „Dass wir dann so passiv und viel nach hinten spielen haben, hat uns das Leben schwer gemacht. Es war auch ein Grund dafür, warum wir die Argentinier haben kommen lassen.“

Brandt hatte genug Zeit, das Geschehen auf dem Spielfeld zu analysieren. Er musste sich knapp die letzte halbe Stunde des Spiels von der Bank aus mit ansehen. Eine Situation, die er kennt oder besser gesagt: kennen gelernt hat. Spielte er in der Vergangenheit bei Bayer Leverkusen noch in schöner Regelmäßigkeit, kämpft er nun bei seinem neuen Arbeitgeber Borussia Dortmund um jede Minute Einsatzzeit. In den zehn bisherigen Pflichtspielen des BVB blieb er nur einmal über die volle Distanz auf dem Platz.

Da wird selbst jemand, der sich sonst öffentlich sehr zurückhält, ganz öffentlich skeptisch. „Es ist immer eine Qual, auf der Bank zu sitzen. Aber der Trainer wird schon seine Gründe dafür haben“, sagte Brandt zuletzt in Richtung Lucien Favre. Gleichzeitig ließ der Mittelfeldspieler durchblicken, dass er auf eine Erklärung für die wenigen Einsatzzeiten wartet: „Ich habe nicht mit dem Trainer darüber sprechen können.“

Ein Seitenhieb Richtung Lucien Favre

Der Plan war ein völlig anderer. Für die verhältnismäßig überschaubare festgeschriebene Ablösesumme in Höhe von 25 Millionen Euro wechselte Brandt nach Dortmund, um sich voranzukommen, wie er sagte. „Ich brauchte diese neue Drucksituation. Sie wird mir guttun für meine Entwicklung.“

Doch der Druck, den gerade Stammspieler Marco Reus auf Brandts Lieblingsposition in der Mitte ausübt, scheint im Moment doch arg groß zu sein. Die Saison 2019/2020 ist eben noch nicht die Saison des Julian Brandt. Wenn er denn mal zum Einsatz kommt und wie immer mit hochrotem Kopf alles gibt, will er es bisweilen besonders gut machen – und wirkt etwas zu verbissen.

Dann fehlt ihm die Leichtigkeit, ja die Selbstverständlichkeit, mit der er zum Beispiel im Champions-League-Spiel gegen Slavia Prag auftrat, als er die beiden Treffer des Tages auflegte und erst in der Nachspielzeit ausgewechselt wurde. Am Mittwoch beispielsweise stand er gleich zu Beginn des Testspiels alleine vor dem argentinischen Tor und hat direkt auf den Keeper gezielt. Oder in Halbzeit zwei: Nach einem schönen Solo versuchte er es aus der Drehung – wieder nicht platziert genug.

Starke Konkurrenz im Mittelfeld

Kai Havertz und der wieder geniale Serge Gnabry zeigten, wie es besser geht. Die drei arbeiteten prächtig zusammen, aber Havertz und Gnabry nutzten eben auch jeweils eine Gelegenheit. Und genau das ist das Problem von Julian Brandt. Während der Bundestrainer angesichts der vielen Ausfälle im Moment Probleme hat, überhaupt genug Verteidiger aufzustellen, gibt es im Mittelfeld allerlei Alternativen.

Dabei war Julian Brandt doch noch ein Versprechen für eine bessere Zukunft. Bei der verkorksten Weltmeisterschaft 2018 war er einer der wenigen, die im deutschen Spiel überhaupt etwas von Esprit und Frische erahnen ließen – allerdings wurde Brandt auch da in allen drei Spielen nur eingewechselt. Die Reservistenrolle wollte er inzwischen längst hinter sich gelassen haben, aber man vergisst schnell, dass Brandt erst 23 Jahre jung ist und noch Zeit hat. Er ist jedoch ein Spieler, der das unbedingte Vertrauen des Trainers zu brauchen scheint, um wirklich losgelöst aufspielen zu können. Nicht umsonst sagte Julian Brandt am späten Mittwochabend, als der Nieselregen Dortmund verlassen hatte: „Mir tut momentan alle Spielzeit gut, die ich bekomme.“ Und das ist in Länderspielen derzeit mehr als bei Borussia Dortmund.  

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