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Neue Euphorie. Während der WM feierten die russischen Fans den überraschenden Viertelfinaleinzug ihres Teams.

© Patrik Stollarz/AFP

Die Fußball-WM 2018 und ihre Folgen: Russlands teure Initialzündung

Vor einem Jahr endete mit dem Finale zwischen Frankreich und Kroatien die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Was ist von dem Turnier geblieben?

Dass sich Joachim Löw und seine Nationalspieler nur ungern an die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 erinnern, liegt auf der Hand. Schließlich schieden die Deutschen bereits in der Vorrunde aus. Im Gegensatz dazu war das erstmals in Russland ausgetragene Turnier nicht nur für den Sieger Frankreich, sondern auch vor allem für den Ausrichter ein Erfolg: gute Stimmung, nahezu keine Zwischenfälle und eine reibungslose Organisation. Aber was ist davon geblieben, genau ein Jahr nach dem Finale zwischen Frankreich und Kroatien am 15. Juli 2018 in Moskau ? Hat die WM die Fußballbegeisterung der Russen gesteigert?

Die Antwort lautet: ja. Auch in Städten wie St. Petersburg und Moskau, in denen große Klubs ansässig sind und die Menschen vor der WM schon fußballaffin waren, gab es einen weiteren Schub. Die neuen Stadien mit viel Komfort locken nicht nur junge Männer an, sondern ein mittlerweile gemischtes Publikum, darunter auch viele Familien. In den modernen Arenen gibt es sogar Kinderbereiche, in denen der Nachwuchs spielen kann.

Aber vor allem in den Spielorten in der Provinz stieg das Interesse. So schnellten in Nischnij Nowgorod, Wolgograd und Kaliningrad die Zuschauerzahlen in den neuen Stadien in die Höhe. Und dies, obwohl die dortigen Vereine in der vergangenen Saison noch in der Zweiten Liga spielten. Beim FK Nischnij Nowgorod etwa kamen bis zu 30 000 Besucher. Dort gab die Weltmeisterschaft also eine Initialzündung, selbst wenn die Euphorie mittlerweile teilweise wieder etwas nachgelassen hat.

Hinter den glanzvollen neuen Stadien und der modernen Infrastruktur, die das Fußballfest vor einem Jahr erst ermöglichten, stand vor allem eines: viel Geld. Mehr als 14 Milliarden US-Dollar kostete das Turnier und machte die WM somit zur teuersten der Geschichte.

Dabei entfiel mehr als die Hälfte der Kosten auf die Infrastruktur für neue Flughäfen, Straßen und den Nahverkehr in den Städten. So zum Beispiel der Platow-Flughafen in Rostow, ein Komplettneubau in weniger als drei Jahren. Der Flughafen in Saransk, Hauptstadt der Teilrepublik Mordwinien mit rund 300 000 Einwohnern, wurde komplett renoviert und ein neues Terminal errichtet. Ob die Regionen durch die neuen Flughäfen und andere Infrastrukturmaßnahmen tatsächlich gestärkt werden, wird sich aber erst in den nächsten Jahren zeigen.

Politisches Prestigeobjekt

So betont auch der Ökonom Leonid Grigoriew, Analyst für die russische Regierung: „Wenn man über die Effizienz der WM in Russland diskutiert, ist es wie bei der Diskussion über die ökonomische Effizienz eines Brautkleides. Auf der einen Seite benötigt man es, weil es alle glücklich macht. Andererseits kann man den Nutzen nicht wie in einem Quartalsbericht definieren“, sagt Grigoriew dem US-Sender „Voice of America“. „Es ist eine langfristige Geschichte. Und wir hoffen vor allem, nicht nur ein Eishockeyland zu sein, sondern auch ein Fußballland zu werden.“

Den zweitgrößten Teil der Investitionen mit mehr als drei Milliarden Dollar machten die Stadien aus. Dabei wurde der Stadionbau zunächst besonders in den Städten kritisiert, in denen nun die Zuschauerzahlen stiegen. Weil die Kosten dafür eben explodierten. In Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, das seit jeher als russische Exklave besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung seitens des Zentralstaates genießt, wurde für 300 Millionen US-Dollar ein Stadion mit 35 000 Plätzen errichtet. Der lokale Klub Baltika Kaliningrad spielte zuletzt vor rund 8000 Zuschauern. Das ist zwar bereits eine Verdopplung der Besucherzahlen im Vergleich zur Zeit vor der WM – aber lange nicht genug für ein Stadion mit solchen Baukosten.

Nachhaltigkeit hatten die WM-Organisatoren bei den Stadien also nicht unbedingt im Blick. Aber das wurde von den Russen auch nicht unbedingt erwartet. „Die russische Bevölkerung versteht sehr gut, dass solche WM-Bewerbungen weniger darauf zielen, etwas für die Menschen zu tun, sondern vor allem als politische Prestigeprojekte dienen“, sagt die Politikwissenschaftlerin Regina Haller von der Universität Hamburg. An den Fußball-Sommer 2018 werden sich die meisten Russen jedenfalls gerne erinnern.

Sebastian Rauball

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