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Die Kurvendiskussion. Die Fanszene von Hertha BSC steht vor strukturellen Herausforderungen.

© dpa

Die Fanszene von Hertha BSC: Kampfsportler in der Kurve

Die Machtverhältnisse unter den Hertha-Fans drohen sich zu verschieben. Wer hat das Sagen? Und welche Verbindung gibt es zu Hooligans? Eine Analyse.

Es kann nichts Gutes bedeuten, wenn im Nachgang eines Fußballspiels das eigentliche Fußballspiel kaum noch ein Thema ist. Im Falle des Derbys zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC gibt es dafür aber gute Gründe: Zum einen waren die 90 Minuten spielerisch eher dürftig, zum anderen überwiegen die Ausschreitungen rund um das Spiel in ihrer Relevanz für Vereine und Fanszenen klar. Es gibt einiges aufzuarbeiten. Und es scheint wichtig zu sein, einen genaueren Blick auf die Fanszene von Hertha BSC zu werfen. Denn offenbar verschieben sich die Machtverhältnisse in der Fankurve bei Heim- und Auswärtsspielen. Das zeigte nicht zuletzt der vergangene Samstag.

Die Leuchtelemente, die da aus dem Block der Herthaner in umliegende Blöcke, auf die Haupttribüne und in Richtung der Trainerbank des 1. FC Union geschossen wurden, stellen ein Level an bewusster Inkaufnahme von Verletzungen dar, das es so bei Hertha BSC bisher kaum gab. Nun kristallisieren sich zwei Dinge immer mehr heraus: Dass diese Aktionen nicht im Interesse der meisten Fans waren und dass sie nicht von den alteingesessenen Ultra- Gruppen initiiert wurden. Die beiden Vorsänger der Gruppe „Harlekins Berlin 98“, die seit Jahren als Motor der Fankurve gelten, sollen demnach versucht haben, auf die entsprechenden Personen sensibilisierend einzuwirken, die die Leuchtelemente abgefeuert haben.

Nach Tagesspiegel-Informationen handelte es sich dabei um Menschen, die nicht zum internen Kreis der Hertha-Fanszene gehören. Auch der RBB berichtet, dass nicht nur 20-25 Anhänger des Regionalligisten BFC Dynamo im Gästeblock gestanden haben sollen, sondern auch ein bundesweit bekannter Hooligan aus Dortmund. Jemand, der sich gut in der Berliner Fanszene auskennt, sagte dem Tagesspiegel, dass sich während des Derbys im Gästeblock viele Personen aufgehalten hätten, die zuvor noch nie im Hertha-Kosmos gesehen worden seien. Woher sie die Tickets für das Spiel bekommen haben, ist weiterhin unklar und wird auch innerhalb der Szene diskutiert.

Weitgehend einig ist man sich darüber, dass die „externen Personen“ offenbar gemeinsam mit der Gruppierung „Kaliber 030“ im Stadion gewesen sein soll. Der Hooligan-Experte Robert Claus sagte dem Tagesspiegel, dass diese Gruppe gute Kontakte zum BFC Dynamo und auch zum 1. FC Magdeburg pflege. Die Berliner Polizei bestätigte dem Tagesspiegel, dass in der Vergangenheit Einzelpersonen oder Personengruppen von "Kaliber 030" und BFC-Fans gemeinsam aufgetreten sein sollen. Die Gruppe gilt als kampfsportaffin und kampfsporterfahren, was ihr eine Durchsetzungskraft verleihe, die alte Strukturen innerhalb Herthas Fanszene nach und nach aufbrechen könnte.

Wie der Tagesspiegel erfuhr, setzt sich die Gruppe sowohl aus langjährigen Hertha-Anhängern und aus Leuten zusammen, die nur aus dem Kampfsport kommen und keinen Fußball-Hintergrund haben. Auf Anfrage gab die Berliner Polizei an, dass die Gruppe 30 bis 40 Personen umfasse. „Der überwiegende Teil der Personen dieser Gruppierung wird als Fans der Kategorie C (gewaltsuchend) eingeschätzt“, heißt es. Die Gruppe würde, so hört man aus der Szene, oftmals eine eigene Agenda verfolgen, der Auftritt der Ostkurve des Olympiastadions mit Choreografien, Gesängen oder sonstigen Aktionen gehöre nicht immer dazu.

Verein und Fanszene sprechen über die Ausschreitungen

Dafür sind andere Ultragruppen wie die „Harlekins Berlin 98“, die „Hauptstadtmafia“ und weitere kleine Gruppen verantwortlich. Denen geht es primär darum, ihren Klub lautstark und kreativ bei jedem Spiel und an jedem Ort zu unterstützen. Hier überwiegt, anders als bei Hooligans, die sich primär außerhalb der Stadien in vereinbarten, sogenannten „Ackerkämpfen“ ausleben, klar der Fokus auf das Sportliche, auch wenn einzelne Mitglieder dieser Gruppen in der jüngeren Vergangenheit bei zwei Auseinandersetzungen mit der Polizei auffällig wurden. „Wir wollen jedem Herthaner vermitteln, dass beim Stadionbesuch immer eines im Vordergrund stehen sollte: Der unbändige Wille, unseren Verein zum Sieg zu tragen“, heißt es im Leitbild der „Harlekins“.

So erstellen diese Gruppen Choreografien, organisieren die Gesänge oder rufen zu karitativen Aktionen wie dem winterlichen Kleiderspenden „Hertha wärmt“ oder „Spendet Becher, rettet Leben“ auf. Auch die Idee zum Sondertrikot anlässlich des Mauerfall-Jubiläums kam aus diesem Teil der Szene, zusätzlich gestaltete sie drei Stücke der Berliner Mauer mit Graffiti, die beim Spiel am Samstag im Olympiastadion gegen RB Leipzig (15.30 Uhr/live bei Sky) im Stadionvorraum zu sehen sein werden.

Allerdings ist diese Gruppe im Stadion kleiner geworden, nachdem einige Mitglieder nach den Krawallen in Dortmund Stadionverbote erhalten haben. Damals reagierten einige Herthaner auf einen, aus ihrer Sicht überzogenen, Polizeieinsatz mit tätlichen Angriffen auf die Beamten. Deshalb ist zu hören, dass die alteingesessenen Ultragruppen versuchen, sich mit innerhalb der Kurve stärker werdenden Kräften wie „Kaliber 030“ zu arrangieren und interne Konflikte zu vermeiden. Hertha selbst hat die Aktionen beim Derby scharf kritisiert, die eigenen Fans aber nicht pauschal und vorschnell verurteilt. Das kam in der Fanszene gut an.

Ohnehin ist der Verein grundsätzlich wieder in einen Dialog mit den aktiven Fans getreten, nachdem lange Funkstille geherrscht hatte. „Wir werden den Dialog mit der aktiven Fanszene nutzen, um diese Vorfälle aufzuarbeiten und Lösungsansätze zu diskutieren, um solche Vergehen einzudämmen“, hieß es von Vereinsseite. Die „Harlekins“ sollen bereits signalisiert haben, dass sie die Aktionen nicht gutheißen und intern aufarbeiten wollen.

Wie so viele szenefremde Menschen ins Stadion kommen konnten und wie künftig verhindert werden kann, dass diese Hertha so katastrophal dastehen lassen? An der Beantwortung dieser Fragen scheint auch den meisten Fans einiges zu liegen. Auch der Förderkreis Ostkurve, der Dachverband der aktiven Fans, positionierte sich klar in diese Richtung. Das Abschießen von Leuchtelementen auf Zuschauer in einem Stadion und das Werfen brennender Fackeln habe „nichts mit einer gelebten Fankultur zu tun, wie wir sie bei Hertha BSC haben möchten“.

Louis Richter

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