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Anne Jüngermann ist im Oktober ins Präsidium von Hertha BSC gewählt worden.

© promo

Die einzige Frau im Präsidium von Hertha BSC: Warum 2020 für Anne Jüngermann ein gutes Jahr war

Anne Jüngermann ist seit fast 20 Jahren Fan von Hertha BSC. Im Oktober wurde sie nun erstmals ins Präsidiums ihres Lieblingsklubs gewählt.

Das Jahr 2020 war ein Jahr voller schlechter Nachrichten, eine Belastung in vielerlei Hinsicht. Aber es gibt auch Menschen, die dieses Jahr in positiver Erinnerung behalten werden. So wie Anne Jüngermann, die 2020 erstmals ins Präsidium ihres Lieblingsvereins Hertha BSC gewählt worden ist.

Anne Jüngermann war perfekt vorbereitet, alles bis ins Detail geplant, selbst die Frage des Outfits für diesen besonderen Tag. Jüngermann hatte sich sogar eigens schwarze Schuhe für ihren Auftritt zugelegt. In Turnschuhen vor die Mitglieder von Hertha BSC zu treten, das hätte sie einfach als unangemessen empfunden.

Ihr zwei Jahre alter Sohn sah das offenbar anders. Er bestand darauf, dass seine Mutter die rosafarbenen Turnschuhe anzog. Nicht schlimm, dachte Jüngermann. Verlässt sie eben in Sneakern die Wohnung und wechselt das Schuhwerk noch einmal, bevor sie das Haus verlässt. Im Auto, auf dem Weg zur Mitgliederversammlung von Hertha BSC im Olympiastadion, stellte Anne Jüngermann dann fest, dass sie immer noch ihre Turnschuhe trug.

Was lernen wir daraus? Man kann auch in rosafarbenen Turnschuhen ins Präsidium von Hertha BSC gewählt werden.

Wenn einem das einer vor einem Jahr erzählt hätte… Den Satz hat man 2020 oft gehört. Er trifft auch auf Anne Jüngermann, 34, zu. Wenn man ihr vor einem Jahr erzählt hätte, dass sie 2020 ins Präsidium ihres Lieblingsvereins gewählt werden würde … Unglaublich. Unfassbar. Unmöglich. Jüngermann, Content-Managerin in einer Werbeagentur, ist Hertha-Fan, seitdem sie 2002 ihr erstes Spiel im Olympiastadion gesehen hat. Im selben Jahr bekam sie zu Weihnachten auch gleich eine Dauerkarte für die Ostkurve geschenkt.

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Es war Marco Wurzbacher, Mitglied in Herthas Präsidium, der Jüngermann im Frühjahr fragte, ob sie nicht ebenfalls für das Gremium kandidieren wolle. Paradoxerweise verfehlte Wurzbacher dann bei der Mitgliederversammlung Ende Oktober in zwei Wahlgängen die nötige Mehrheit, um erneut ins Präsidium einzuziehen. Jüngermann hingegen wurde gleich im ersten Versuch gewählt. Mit 781 Stimmen, dem drittbesten Ergebnis der insgesamt elf Bewerber, unter denen sie die einzige Frau war.

Das herausragende Ergebnis lag auch an der kurzen Vorstellung der Kandidatin, mit der sie die Mitglieder in der Ostkurve des Olympiastadions von sich überzeugt hat. Als sie unten auf der Bühne stand und die Ränge hochschaute, war der Anblick doch „sehr beeindruckend und überwältigend“, erzählt Jüngermann, „und in den ersten 20 Sekunden war ich tatsächlich sehr aufgeregt“. Aber das legte sich schnell.

Breite Zustimmung. Anne Jüngermann erhielt bei der Mitgliederversammlung in der Ostkurve des Olympiastadions die drittmeisten Stimmen aller elf Bewerber.
Breite Zustimmung. Anne Jüngermann erhielt bei der Mitgliederversammlung in der Ostkurve des Olympiastadions die drittmeisten Stimmen aller elf Bewerber.

© imago images/Nordphoto

Was sie bei ihrer Vorstellung sagen würde, das wusste Jüngermann bereits an dem Tag, an dem sie sich zur Kandidatur entschlossen hatte. Auf ein Manuskript verzichtete sie, weil sie das schon in der Schule abgelenkt hatte. „Ich wusste: Das, was ich sage, stimmt“, erzählt sie. Sie unterbreitete den Mitgliedern kein ausgeklügeltes Wahlprogramm, verkündete nicht, was sie anders und besser zu machen gedenke, sondern erklärte einfach, dass sie Hertha helfen wolle.

Das sei nicht tiefgründig oder tiefschürfend gewesen, sondern einfach ehrlich, sagt sie selbst. Genau wie ihre abschließenden Worte, bevor sie die Bühne wieder verließ. Auch wenn es sich kitschig anhöre, sagte Jüngermann: „Ich kandidiere, weil ich Hertha liebe.“  Am Tag darauf titelte der „Berliner Kurier“: „Hallo Anne, Hertha liebt dich auch!“

Sie selbst war sich da anfangs nicht so sicher, obwohl der Applaus nach ihrer Rede der vermutlich lauteste war. Als Jüngermann wieder auf ihrem Platz im Rang saß, bei ihrer Mutter, der Schwester, ihrem Schwager und den vier Freunden; als sie den anderen Bewerbern zuhörte, „da habe ich ehrlich gedacht: Ich schaff‘ es nicht“. Bis die Ergebnisse des ersten Wahlgangs auf der Videoleinwand gezeigt wurde – und ihr Name als einer von fünfen fett gedruckt war. „Meine Mutter und meine Schwester sind ausgeflippt“, erzählt Anne Jüngermann.

„Ich habe mich richtig willkommen gefühlt“

Inzwischen hat sie zwei Video-Sitzungen mit dem Präsidium hinter sich. Die zuvor noch deutlich ausgeprägte Ehrfurcht vor ihren neuen Kollegen hat sich gelegt. „Ich hätte es viel, viel förmlicher erwartet“, sagt Jüngermann, die innerhalb des Gremiums dem Fußball- und dem Mitglieder-Ausschuss angehört. „Ich habe mich richtig willkommen gefühlt.“

Zwei, drei eigene Ideen hat sie bereits eingebracht, die durchaus auf Wohlwollen gestoßen sind, aber noch nicht spruchreif sind. Die Atmosphäre innerhalb des Präsidiums empfindet Anne Jüngermann als sehr angenehm, die Kollegen, so erzählt sie, begegneten ihr hilfsbereit und kooperativ: „Bisher sind alle noch sehr geduldig mit mir.“

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