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Drin das Ding. Herbert Wimmer (rechts) hat zum 1:0 für Borussia Mönchengladbach getroffen.

© Imago/Ferdi Hartung

Die besten Evergreens des Fußballs: Und Günter Netzer krönt ein grandioses Spiel

Was tun, wenn es keinen Fußball gibt? Vielleicht legendäre Spiel aus der Vergangenheit anschauen, zum Beispiel das 73er-Pokalfinale zwischen Gladbach und Köln.

Kein Fußball. Und das über Wochen, vielleicht sogar Monate. Nicht mal ein Testspiel aus dem Trainingslager im Süden, in dem die B-Mannschaft des eigenen Klubs gegen einen rumänischen Zweitligisten antritt. Es gibt also genügend Zeit für legendäre Spiele aus der Vergangenheit. Wir stellen hier einige vor. Heute: Das DFB-Pokalfinale 1973, Borussia Mönchengladbach - 1. FC Köln.

Als das Tor fällt, das zu den berühmtesten Toren der deutschen Fußballgeschichte gehört, als also Günter Netzer in seinem letzten Spiel für Borussia Mönchengladbach das 2:1 gegen den 1. FC Köln erzielt, da sagt Ernst Huberty einfach nur: „Und Tor.“ Anschließend schweigt er 15 Sekunden lang.

Weil Huberty, der Reporter der ARD, nicht einmal die Stimme hebt, ist er im Akustikbrei des Düsseldorfer Rheinstadions aus Tröten, Druckluftfanfaren und Jubel kaum zu hören. Erst als Günter Netzer nach seiner etwas ungelenken doppelten Pirouette durch die Luft wieder auf dem Boden landet, spricht er weiter: „So als wollte er sagen: Seht her, was ihr weggehen lässt.“ Lässt statt lasst. Als hätte selbst der sonst stets kontrollierte Huberty in diesem Moment die Kontrolle über sich verloren.

Selbst Ernst Huberty ist on fire

Der Wechsel nach Madrid, der Tod seiner Mutter, die Selbsteinwechslung, der Doppelpass mit Rainer Bonhof – die Geschichte von Netzers letztem Tor für die Gladbacher ist so oft erzählt worden, dass sie vermutlich kaum noch jemand hören kann. Aber sie gehört eben zum Legendenschatz des deutschen Fußballs, genau wie das Spiel, das durch Netzers Siegtor die Krönung erfahren hat.

Dass dieses Duell der beiden rheinischen Rivalen Köln und Gladbach am 23. Juni 1973 als eines der besten Spiele des deutschen Fußballs gilt, das liegt nicht nur an der irren Pointe in der Verlängerung. 2:52 Minuten sind vergangen, als Netzer am Mittelkreis zum ersten Mal seit dem von ihm ausgeführten Anstoß wieder an den Ball kommt. Vier Sekunden später passt er zu Rainer Bonhof. Weitere drei Sekunden verlässt der Ball seinen linken Fuß und landet schließlich im Toreck der Kölner. „Ein sagenhaftes Tor“, sagt Ernst Huberty, als er seine Sprache wiedergefunden hat.

Warten auf den großen Moment. Günter Netzer (r.) erlebt sein letztes Spiel für Borussia Mönchengladbach zunächst von der Ersatzbank aus.
Warten auf den großen Moment. Günter Netzer (r.) erlebt sein letztes Spiel für Borussia Mönchengladbach zunächst von der Ersatzbank aus.

© Imago/Horstmüller

Mit unseren heutigen Sehgewohnheiten fällt es schwer, die Qualität des Spiels realistisch einzuschätzen. Der Fußball ist ein anderer geworden. Schneller, dynamischer, athletischer. Insofern muss man auch dem unmittelbaren Urteil der Zeitgenossen vertrauen. Dem von Ernst Huberty zum Beispiel.

„Die Fanatikerblöcke haben sich aufgelöst“

Huberty ist als Meister des Understatements bekannt geworden. Aber bei diesem Spiel ist er für seine Verhältnisse geradezu on fire. „Schon mehr packende Szenen als im ganzen Fußball-Länderspiel gegen Brasilien“, sagt er nach gerade mal fünf Minuten. Und so geht es weiter: „Offensive auf beiden Seiten, herzerfrischend.“ – „Ist das ein herrliches Spiel.“ – „Die Fanatikerblöcke haben sich aufgelöst. Sie sehen, dass hier ein großes Spiel gespielt wird, und sie gehen begeistert mit.“ – „Ich kann mir vorstellen, dass Sie das zu Hause aus dem Sessel emporreißt.“ – „Die 20. Torchance dieses Spiels. Wer hält das noch aus?“

Was die Faszination dieses Finales ausmacht: Hier treffen zwei Mannschaften auf Augenhöhe aufeinander, die sich bis in die Verlängerung einen gleichwertigen Kampf liefern. Gleich zu Beginn verhindert Jupp Kapellmann auf der Linie des eigenen Tores gerade noch das frühe 1:0 für die Gladbacher. Und so geht es weiter: mit Chancen auf beiden Seiten. Es gibt kein Klein-Klein, kein Mittelfeldgeplänkel, sondern bei beiden Mannschaften nur einen Gedanken: nach vorne. Der Raum zwischen den beiden Strafräumen ist dazu da, ihn möglichst schnell hinter sich zu lassen.

Dass in den 90 Minuten allein Herbert Wimmer und Herbert Neumann treffen, ist angesichts der Fülle der Chancen auf beiden Seiten geradezu abstrus. Als Jupp Heynckes acht Meter vor dem Tor frei zum Schuss kommt, sagt Huberty: „Und Heynckes. Tor.“ Dann klatscht der Ball an den Außenpfosten.

Als gäbe es einen göttlichen Plan

Beste Chancen bleiben ungenutzt, Jupp Heynckes vergibt sogar einen Elfmeter, aber im Nachhinein wirkt es fast so, als hätte es einen göttlichen Plan für dieses Spiel gegeben; als hätte alles in diesem einen kathartischen Moment in der 93. Minute kulminieren sollen. Was heute vermutlich nur noch wenige wissen: Um ein Haar wäre dem deutschen Fußball einer seiner schönsten Mythen verwehrt geblieben. Dreißig Sekunden, bevor Günter Netzer im Mittelfeld an den Ball kommt, tritt Heinz Flohe mit seinem starken linken Fuß eine Ecke vor das Gladbacher Tor. Berti Vogts verlängert den Ball unglücklich mit dem Kopf, am zweiten Pfosten rauscht Rainer Gebauer heran – und grätscht den Ball neben das Tor.

So wie Netzer ist auch Gebauer von der Bank gekommen. Auch er bestreitet in Düsseldorf das letzte Spiel für seinen bisherigen Verein. Auch er wechselt nach dieser Saison ins Ausland. Rainer Gebauer wird künftig für AS Eupen in der zweiten belgischen Liga spielen und es dort zu einem Liebling des Publikums bringen.

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