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Unsere Liebe, unser Verein. Viele sind trotz der Abstürze weiter zum 1. FC Union gekommen.

© Thonfeld/Ullstein Bild

Die besondere Geschichte des 1. FC Union: Mit dem Kofferradio in Köpenick

Der ewige Underdog hat es bis in die Bundesliga geschafft. Trotzdem hofft der 1. FC Union, dass er sich das Besondere bewahren kann.

Dass der 1. FC Union vor einem historischen Spiel steht, beweist die kleine Zuschauerbox am Übungsgelände. Seit Wochen wird sie voller und auch von internationalen Gästen besucht. Aus Österreich oder Asien schauen sie jetzt neugierig auf den 56. Bundesligisten. Ein Foto-Journalist des Londoner „Guardian“ kauerte am Mittwoch extra auf dem Boden, um zeitgleich die mit einem Union-Motiv tätowierte Wade eines Fans und das Geschehen auf dem Grün einzufangen.

Vor Unions erstem Bundesligaspiel gegen RB Leipzig am 18. August hat sich in England längst herumgesprochen, dass die Atmosphäre im Stadion An der Alten Försterei eine besondere ist, vielleicht so, wie es auf der Insel bis Mitte der 1980er Jahre war. Stehplätze überwiegen, Stimmung wird von fast allen Seiten gemacht. Das werden jetzt auch die Münchner Bayern, Borussia Dortmund und Schalke 04 erleben.

Neben den Gegnern hat sich auch Union verändert. Die beiden Parkplätze vor der Haupttribüne beispielsweise dienten bis zum Sommer 2012 noch als Trainingsflächen der Profis. Nur durch ein rotes hüfthohes Geländer getrennt, waren die Spieler nicht so abgeschottet wie heute. Fans und Journalisten konnten die räumliche Nähe öfter für einen Plausch auf dem Weg vom oder zum Kabinen-Container nutzen.

In den 2010er Jahren erbat sich Uwe Neuhaus, der mit sieben Jahren Verweildauer Unions Rekordtrainer ist, mehr Abstand. Nur bis zu einer immer noch vorhandenen Eiche durften sich Medienvertreter und Trainingskiebitze noch der Treppe zur Kabine nähern. Daran erinnert heute die offiziell mit „Am Pressebaum“ beschilderte Parkplatzreihe.

Das vor sieben Jahren neu bezogene Trainingsgelände mit Rasenheizung ist so konstruiert, dass Blicke von außen unmöglich sind. Die Anzahl der Trainingstage unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat sich im Laufe der Jahre von ein auf zwei pro Woche erhöht. Tendenz steigend.

Das Stadion hat sich auch verändert. In der ganz Alten Försterei ohne Dach haben der Autor dieser Zeilen und seine Kumpels in den 1980er Jahren einige Male heimlich auf dem heiligen Rasen gebolzt. Die Zäune waren leicht zu überwinden. Heute würden Überwachungskameras und Ordnungsdienst dies natürlich verhindern.

Bei den Heimspielen in der DDR-Oberliga gab es in den späten 1980ern viel zu entdecken. Auf der Waldseite kramten Fans ihr Cora-Kofferradio hervor, um der Oberliga-Konferenzschaltung zu lauschen. Vor den Spielen fand man auf dem gut sortierten Schwarzmarkt am Aufgang unterhalb der Gegengerade auch Stadionhefte anderer Klubs. Oder es wurden „Bravo“-Poster oder Mannschaftsfotos aus der Saisonausgabe des „Kicker“ verkauft. Das der Bayern oder von Werder Bremen kostete in Farbe 20 Ostmark, eine Schwarz-Weiß-Kopie nur fünf. Rund 35 Jahre später wird im „Kicker“-Sonderheft auf sechs Seiten über Union berichtet. Wer hätte das je gedacht?

Die Macher sind seit über 15 Jahren dieselben

Der Verein hat sich zum gesamtdeutschen Hochglanzprodukt gemausert. Aus der einstigen Fahrstuhl-Mannschaft, die in der ewigen Tabelle der DDR-Oberliga nur auf Platz 14 zu finden ist, ist der ostdeutsche Fußball-Leuchtturm geworden. RB Leipzig, bei Union-Fans regelrecht verhasst, zählt aus Sicht der Köpenicker nicht mit.

Dennoch steht Union jetzt mit Leipzig und anderen Großkopferten im direkten Wettbewerb. Das beißt sich auf den ersten Blick, aber auch die auf Fußball- und Fankultur fokussierten Unioner kassieren wie andere Bundesligisten Millionensummen aus der TV-Vermarktung oder von Sponsoren aus der Immobilien- und Versicherungsbranche. Union-Präsident Dirk Zingler hat das realisiert. „Wir sollten darauf achten, dass uns von außen kein Heiligenschein aufgesetzt wird. Also wir sind nicht wirklich so viel anders als andere Profivereine“, sagte Zingler jüngst dem RBB.

Die Macher sind seit über 15 Jahren dieselben, allen voran Zingler und Oskar Kosche, einer der Geschäftsführer. Sie haben in diesem Zeitraum nicht alles richtig gemacht, aber manche Krise einfach bis zum nächsten Erfolg ausgesessen. Jetzt muss sich die kleine Führungsclique manchmal wohl selbst kneifen, um zu realisieren, was aus dem Klub geworden ist.

21 232 Fans besuchten in der Aufstiegssaison die Alte Försterei. Die Mitgliederzahl liegt nun bei rund 30 000. Seit dem Aufstieg kamen etwa 7000 dazu. In der Zweitligasaison 2002/03 lag die Mitgliederzahl bei 3600, 8565 Fans kamen durchschnittlich ins marode Stadion. Union wächst in vielen Bereichen, nur das Stadion nicht automatisch mit. Bis zur erhofften Erweiterung des Fassungsvermögens von 22 000 auf 37 000 Besucher können die rund 18 500 Mitglieder ohne Dauerkarte nur beten. Pro Spiel stehen ihnen abzüglich der 11 500 Saison-Abos, Gäste-, VIP- und Mitarbeiterkarten maximal 6000 Tickets zur Verfügung.

In den 2000er Jahren war alles noch eine Nummer kleiner, obwohl Union 2001 sogar ins Finale des DFB-Pokals kam und im Olympiastadion 0:2 gegen Schalke verlor. Die Feier zum 40. Vereinsgeburtstag am 20. Januar 2006 fand beim damaligen Viertligisten auf dem Parkplatz zwischen der Fankneipe „Abseitsfalle“ und der Sporthalle an der Hämmerlingstraße mit rund 150 Nachwuchsspielern und Fans statt. 2016 erlebten 4000 Mitglieder den 50. Gründungstag im Velodrom. Und was passiert 2026 zum 60.? Es könnte Bouletten, Kartoffelsalat und Glühwein geben, dann für 37 000 Unioner im neuen Stadion.

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