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Bis hier ein klassischer Präsidententermin: Reinhard Grindel posiert mit Cacau, BFV-Präsident Bernd Schultz, dem Inter-Vorsitzenden Gerd Thomas und zahlreichen Jugendspielern.

© Julian Graeber

DFB-Chef Grindel beim Berliner FC Internationale: Willkommen an der Basis, Herr Präsident!

Viele Berliner Amateurvereine fühlen sich mit ihren Aufgaben überfordert. Sie erwarten mehr Unterstützung von den Fußballverbänden – und empfingen deshalb DFB-Präsident Reinhard Grindel in Schöneberg.

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Es ist die perfekte Vereinsidylle. Die Kinder der F-Jugend dribbeln im Training mit grünen Fußbällen über den Kunstrasenplatz. Sie johlen, lachen, feuern sich an. Und vom Grill neben dem Klubhaus weht der Duft von Bouletten und Holzkohle über den Platz des FC Internationale Berlin. Denn am frühen Abend spielt noch Inters C-Jugend im Pokal gegen den BFC Dynamo. Zwischen der Kleingartenkolonie „Glück im Winkel“ und der Berliner Stadtautobahn hat sich der FC Internationale am Vorarlberger Damm ein Fußball-Kleinod geschaffen. Weil sich der Schöneberger Verein aber vor allem mit beachtlichen Initiativen für die Integration einsetzt und dafür schon mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, ist Inter das ideale Besuchsziel für jemanden wie Reinhard Grindel.

Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) kann hier getrost die vorbildliche Basisarbeit der Amateure loben. Und als sich Grindel am Mittwochnachmittag gemeinsam mit Cacau, dem ehemaligen Profi und aktuellen DFB-Integrationsbeauftragten, in diese Vereinsidylle gesellt, wirkt es zunächst wie der klassische Präsidententermin: Hände schütteln, Kinderköpfe tätscheln und ein Gruppenfoto mit lauter fröhlichen Gesichtern.

Berliner Amateurvereine gründen Interessengemeinschaft

Doch Grindels Besuch ist kein weichgespülter PR-Termin. Und die Vereinsverantwortlichen von Inter um den Vorsitzenden Gerd Thomas liegen ihm auch nicht zu Füßen.

Sie haben das Gefühl, dass einiges falsch läuft zwischen dem DFB und den Amateuren – dass es einen Graben gibt zwischen dem größten Einzelsportverband der Welt und den Vereinen in den Berliner Kiezen oder den Brandenburger Dörfern. Thomas und seine Mitstreiter haben Angst, dass sich das Raumschiff DFB immer weiter entfernt von der Basis, von den kleinen Klubs, die der Verband doch eigentlich repräsentieren soll. Sie registrieren, wie immer mehr Aufmerksamkeit um die Nationalmannschaft kreist und um die Bewerbung für die Europameisterschaft 2024. Während sie in vielen Bereichen die Unterstützung des DFB und des Berliner Fußball-Verbands (BFV) vermissen, selbst bei einem so vorbildlichen Verein wie Inter. Deshalb fällt es ihnen umso schwerer, sich mit dem DFB zu identifizieren.

Es ist ein diffuses Gefühl, das Thomas und seine Mitstreiter umtreibt. Als ob die Vereine all das reparieren sollen, was die Gesellschaft nicht schafft: Integration, Flüchtlingsarbeit, Prävention sexueller Gewalt. Sie müssen nach Jugendleitern suchen, die hohen Erwartungen anspruchsvoller Eltern erfüllen, gleichzeitig genug Plätze zum Trainieren und Spielen organisieren – und müssen dann aber Strafen zahlen, wenn der Spielbericht für die E-Jugend nicht rechtzeitig online ist.

Aus diesem Gefühl heraus, überfordert zu sein und mit zu vielen großen Themen überfrachtet zu werden, haben Inter und andere Berliner Klubs wie Stern 1900, Tennis Borussia und die Füchse aus Reinickendorf die Berliner Fußball-Interessengemeinschaft (BFIG) gebildet, um sich besser auszutauschen und Probleme gemeinsam anzugehen. Und Inter hat im November einen Brief an Grindel geschrieben, in dem der Verein mehr Interesse für die Belange der Amateurvereine fordert, mehr Transparenz und mehr Dialog auf Augenhöhe.

"Beim Thema Infrastruktur finden wir zu wenig Gehör"

Grindel antwortete, zunächst mit einem sechsseitigen Brief. Aber er versprach auch ein gemeinsames Treffen. Darum sitzt der 55-Jährige mit vier Begleitern, zu denen auch BFV-Präsident Bernd Schultz gehört, am Mittwoch im Inter-Klubhaus. Und ihm gegenüber sitzen Thomas und drei seiner Mitstreiter – umrahmt von der Pokalvitrine und dem Kühlschrank. Willkommen an der Basis, Herr Präsident!

Reinhard Grindel diskutierte am Mittwoch mit Cacau und dem Inter-Vorsitzenden Gerd Thomas.
Reinhard Grindel diskutierte am Mittwoch mit Cacau und dem Inter-Vorsitzenden Gerd Thomas.

© Thilo Rückeis

Bei Kaffee, Bionade und Keksen hält sich Thomas nicht lange mit Höflichkeiten auf. „Der Fußball ist zu leise“, sagt er. „Etwa beim Thema Infrastruktur finden wir zu wenig Gehör.“ Die Sportplatzsituation ist ein Problem, das die meisten Berliner Vereine teilen – und bei dem derzeit keine Besserung in Sicht ist. In der Innenstadt gibt es kaum Platz für neue Sportanlagen, die angesichts wachsender Mitgliederzahlen aber dringend notwendig wären. Im Herbst konnte Inter erstmals keine neuen Kinder mehr aufnehmen, und da ist der Schöneberger Klub kein Einzelfall. Trainer und Betreuer sind ausreichend vorhanden, doch es fehlen Trainingszeiten auf den bereits voll ausgelasteten Sportanlagen.

Auch der BFV hat erkannt, dass zuletzt bei frei werdenden Flächen wie dem Tempelhofer Feld sowie dem Gleisdreieck große Chancen für neue Sportanlagen verpasst wurden. Doch schnell kommt dann auch der Hinweis: Sportinfrastruktur sei eine kommunale Aufgabe und falle nicht in die Kompetenz von DFB oder BFV. Trotzdem wünschen sich Thomas und seine Kollegen dabei mehr Unterstützung von den Verbänden, mehr Druck auf die Politik.

Grindel sieht ein, beim Thema Interessenvertretung gebe es noch Potenzial. Aber bei der vom Bundestag im Januar gebilligten Lockerung des Lärmschutzes „haben wir geliefert“, sagt er. Überhaupt betont der DFB-Chef immer wieder, was der Verband doch alles für die Amateure tue. Grindel tritt dabei allerdings nicht hochnäsig, besserwisserisch oder zu präsidial auf. Er ist bestens informiert und vergisst auch nicht hervorzuheben, dass er selbst ganz nah an der Basis sei – so erzählt er davon, wie er mit der Mannschaft seines Sohns neulich vor einem Hallenturnier auf den gestressten Trainer wartete, und dass er noch immer Mitglied seines Heimatvereins sei, dem Rotenburger SV in Niedersachsen.

Grindel liegen Termine wie der bei Inter, seine Zeit als CDU-Bundestagsabgeordneter dürfte ihm dabei geholfen haben. Er weiß, wie man solche Besuche meistert. Auch am Mittwoch nimmt er sich zurück, bringt seine Argumente aber nachdrücklich rüber. Bei allem Verständnis für die BFIG betont Grindel jedoch auch, die Vereine müssten bedenken, dass die Probleme der Amateure sehr unterschiedlich seien: „Auf dem Land gibt es genug Sportstätten, da fehlen aber die Ehrenamtler.“

Auch in Bayern stellen Vereine Forderungen an den DFB

Die Bereitschaft, sich neben Arbeit und Familie noch in einem Sportverein zu engagieren, wird auch in Berlin weniger. Die Arbeitszeiten und Beschäftigungsverhältnisse haben sich in den vergangenen Jahren bei vielen Menschen enorm verändert. Die Anforderungen an ehrenamtliche Trainer, Betreuer und vor allem Jugendleiter werden aber immer größer, gerade in einem Ballungsraum wie Berlin, in dem gute Integrationsarbeit mindestens genauso wichtig ist wie ein gelungenes Techniktraining.

„Das gesamte Drumherum verschlingt ganz viel Energie“, sagt Thomas. Um die Jugend zu stärken, müsse man in vielen Bereichen noch viel professioneller werden. „Die guten Jugendleiter gehen uns verloren, das ist rein ehrenamtlich nicht mehr zu leisten“, betont der 56-Jährige. Die Auswirkungen seien in manchen Berliner Ortsteilen schon spürbar. So gebe es in Wedding kaum noch Vereine mit einer guten Jugendabteilung, sagt Thomas.

Mit Problemen mussten die Amateurklubs schon immer kämpfen. Dass sich nun aber einige in Berlin zusammenschließen und dem DFB öffentlich so selbstbewusst gegenübertreten, ist eine neue Entwicklung. Die BFIG wächst seit der Gründung vor einem Jahr kontinuierlich, auch in anderen Bundesländern gibt es ähnliche Bewegungen. Die bekannteste von ihnen wurde von Engelbert Kupka, dem ehemaligen Präsidenten der Spielvereinigung Unterhaching, ins Leben gerufen. Bei seiner Initiative „Rettet den Amateurfußball“ steht vor allem der Grundlagenvertrag zwischen DFB und Deutscher Fußball-Liga im Fokus. Während durch den neuen Fernsehvertrag auf die 36 Profiklubs jährlich rund 1,4 Milliarden Euro entfallen, bekommt der gesamte Amateurfußball gerade mal 45 Millionen Euro.

Auch wenn sich in Berlin sicherlich niemand gegen mehr Geld vom DFB wehren würde, sind finanzielle Forderungen für Thomas nur zweitrangig: „Selbst wenn der DFB mehr Geld aus dem Fernsehvertrag bekommen würde, ist doch die Frage: Kommt das an der Basis überhaupt an? Oder wird es für weitere unnötige Posten und Kampagnen ausgegeben?“

"Wir wollen keine Palastrevolution"

Ein Aufstand der Amateure sei nicht das Ziel der BFIG, betont Thomas. „Wir wollen keine Palastrevolution, werden uns aber nicht einfach abwimmeln lassen.“ Die Basis will ernst genommen werden und Einfluss nehmen. Und Grindel versucht auch, darauf einzugehen. Er lädt Thomas zu einem DFB-Pokaltermin Anfang Mai mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller ein. Und er erwägt, dem für 2018 oder 2019 geplanten DFB-Amateurkongress einen Vereinskongress vorzuschalten.

Ob das reicht, um den Amateuren das Gefühl der Überforderung und der fehlenden Unterstützung zu nehmen, wird sich erst abseits der Vereinsidylle zeigen, im Berliner Alltag.

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