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Zentrale Figur. Beim 0:0 der deutschen Elf gegen Frankreich durfte sich Joshua Kimmich als Sechser vor der Abwehr versuchen.

© AFP

Deutschland vor dem Spiel gegen Peru: Der Musterprofi, der nicht sein will wie Philipp Lahm

Joshua Kimmich ist beim Neuanfang der deutschen Nationalmannschaft einer der wertvollsten Spieler. Nur einen Vergleich mag der 23-Jährige nicht.

In die vermaledeiten WM-Tage von Russland hatte sich ein launiger Mittag gemischt. Es war der Tag, an dem so genannte Eskortkinder die Nationalmannschaft in ihrem waldigen Moskauer Vorort-Quartier in Watutinki besuchten. Kinder, die die Spieler beim Einlaufen auf den Rasen begleiten. Ein junges Einlaufmädchen wollte da von Jerome Boateng wissen, ob die Spieler genau so aufgeregt wären wie sie. Boateng antwortete brav. Ihm persönlich helfe es, er sei schon deswegen nicht so aufgeregt, weil er ja jemanden an der Hand hätte. Sein Kollege Toni Kroos sagte dem Mädchen, dass es nicht aufgeregt sein müsse. „Vielleicht habt ihr Glück und einen Spieler, der sich ein bisschen mit euch unterhält. Geht vielleicht nicht zum Josh, der ist zu konzentriert“. Das Mädchen lachte, die anderen auch. Es war das letzte Lachen für die deutsche Mannschaft für lange Zeit.

Josh heißt bürgerlich Joshua Kimmich und ist dem Einlaufkinderalter gerade so entwachsen. Die Beobachtung von Kroos verrät aber eine Eigenschaft, die den aufstrebenden Kimmich für einen Neuanfang des Nationalteams wertvoll macht. Der Münchner gilt als Musterprofi, der, wie man hört, wahnsinnig fokussiert und extrem ehrgeizig sei. Als einer, der sich selbstkritisch mit der WM-Blamage auseinandergesetzt hat und unerschrocken nach Wiedergutmachung trachtet.

Und ein bisschen sieht man es dem jungen Profi auch an, der gerade beim 0:0 gegen Frankreich im zentralen, defensiven Mittelfeld überzeugte. Durch sein Tun und sein schneidiges Aussehen wirkt er bisweilen wie ein GI, fast so wie die Filmfigur Tom „Iceman“ Kazanski in „Top Gun“ von 1986. Kimmichs Verhalten auf dem Platz hat etwas Unverbrauchtes und Furchtloses, wenn er zu Flankenläufen ansetzt, oder wie gegen Frankreich, als er zentral hinter Kroos und Leon Goretzka keinen Zweikampf scheute.

Gegen Peru als neue Spezialkraft auf dem Flügel

Wenn die deutsche Mannschaft am Sonntag in Sinsheim zu einem Testspiel gegen Peru (20.45 Uhr/ live bei RTL) antritt, könnte es sein, dass der Spieler vom FC Bayern als neue Spezialkraft eher auf den rechten Flügel ausweicht. Bundestrainer Joachim Löw hat einige Wechsel angekündigt. Vor allem dürfen sich die drei Neulinge im Team, Kai Havertz, 19 Jahre (Leverkusen), Nico Schulz, 25 (Hoffenheim), und Thilo Kehrer, 22 (Paris St. Germain), Hoffnungen auf Einsatzzeiten machen. Schulz wird sogar von Beginn an auflaufen.

Im Sommer 2014, als Deutschland in Brasilien Weltmeister wurde, war Kimmich mit RB Leipzig gerade in die Zweite Liga aufgestiegen. Im Sommer 2016 ging dann bei der EM in Frankreich sein Stern auf. Im Mai hat er im Alter von 21 Jahren in der Nationalelf debütiert und seitdem praktisch durchgespielt. Doch bei der WM wirkte er überspielt und litt unter dem übergeschnappten Spielplan des Bundestrainers. Doch das Fiasko von Russland wird Kimmich nicht aufhalten. Nur zum Vergleich: Als Lothar Matthäus vor der EM 1984 in Frankreich so alt war wie Kimmich heute, hatte er 23 Länderspiele für Deutschland bestritten. Matthäus brachte es im Verlauf seiner Karriere auf 150 Einsätze – deutscher Rekord. Kimmich steht jetzt schon bei 33 Länderspielen.

Weiter als Matthäus mit 23. Joshua Kimmich im Spiel gegen Frankreich mit Jungstar Kylian Mbappe (links). Foto: Federico Gambarini/dpa
Weiter als Matthäus mit 23. Joshua Kimmich im Spiel gegen Frankreich mit Jungstar Kylian Mbappe (links). Foto: Federico Gambarini/dpa

© dpa

„Über Josh brauchen wir nicht zu diskutieren, er ist prädestiniert dafür, ein Führungsspieler zu sein“, sagte Kroos an jenem Tag von Watutinki und schob einen Satz höchster Anerkennung hinterher: „Philipp Lahm zu beerben, ist nicht so einfach.“ Denn womöglich wird es genau darauf hinauslaufen. Womit wir in der Gegenwart wären. Nach Lahms Rücktritt am Tag nach dem WM-Triumph von Rio übernahm Kimmich dessen Auswahlposition auf der rechten Abwehrseite.

Und nun, gegen Frankreich erfolgreich getestet, wandelt er weiter auf Lahms Spuren, der seinerseits allzu gern im defensiven Mittelfeld spielte, beim FC Bayern wie im Nationalteam. „Joshua war sehr präsent und sehr zweikampfstark. Er war viel am Ball und hat das gut gelöst. Es war sicherlich eine gute Lösung“, sagte Löw. Die Versetzung Kimmichs auf die im modernen Fußball so wichtige Sechser-Position vor der Abwehr tat vor allen auch der Mannschaft gut. „Kimmich ist auf der Sechs die Lösung für die nahe Zukunft“, sagte Löw am Sonnabend vor dem Spiel gegen Peru.

Kimmich versucht nur, der Mannschaft zu helfen

Kimmich kam vielleicht entgegen, dass die Mannschaft gegen Frankreich „sehr eng verteidigt hat“, wie es Thomas Müller formulierte. „Aber dafür, dass wir schon Druck hatten, hat er es fehlerlos gelöst.“ Ganz ähnlich hörte sich ein anderer Münchner Klubkollege an: „Josh ist ausgebildeter Sechser. Insofern war klar, dass er das kann. Er ist enorm laufstark, ein guter Fußballer. Den kannst du gefühlt überall hinstellen und es kommt etwas dabei heraus“, sagte Mats Hummels.

Eigentlich mochte Kimmich es nie, mit Lahm verglichen zu werden. Als Lahm aufgehört habe, sei er Kapitän der Nationalelf und des FC Bayern gewesen, erinnerte Kimmich. „Ich kann ihn nicht eins zu eins ersetzen, dafür fehlt mir die Erfahrung.“ Überhaupt sei es nie sein Ziel gewesen, Lahm zu kopieren, sagte er damals. Er sei ein anderer Spielertyp. „Ich will Joshua Kimmich sein und nicht Philipp Lahm 2.“ Die neue Rolle erfüllte Kimmich mit großem Eifer. „Ich habe schon oft gesagt, dass ich da spiele, wo ich gebraucht werde. Die Mannschaft weiß, dass ich ihr rechts hinten weiterhelfen kann. Jetzt versuche ich es auf der Sechs“, sagte Kimmich. „Mal schauen, wie der Trainer mit mir plant.“ Die Sechs reize ihn dauerhaft. „Von mir aus gerne öfter“, sagte Kimmich.

Die vermaledeiten Tage der WM sind vorüber, wenngleich noch nicht vergessen. Immerhin hat Löw seine an Arroganz grenzende Offensivtaktik den tatsächlichen Anforderungen fürs Erste angepasst. Ob Joshua Kimmich künftig eine Dauerlösung auf der Sechser-Position bleibt, hängt wohl auch von der jeweiligen Gegnerschaft ab. Es wird auch wieder Gegner geben, bei denen seine Flankenläufe gefragt sind. Als offensiver Rechtsverteidiger erzielte er im Nationaldress drei Tore und bereitete elf vor.

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