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Hier fühlt sich Michaelis am wohlsten: Stadion An der Alten Försterei in Berlin (Archivbild)

© dpa/Hannibal Hanschke

Deutscher Botschafter in London ist Fan der Köpenicker: Seine zweite Staatsangehörigkeit ist der 1. FC Union

Andreas Michaelis ist der deutsche Botschafter in Großbritannien. Heimweh hat er vor allem nach Köpenick, weil dort sein Herzensklub spielt.

In der Alten Försterei hat Andreas Michaelis sogar schon einmal selbst ein Tor geschossen. 2002 stand der damalige Sprecher des Auswärtigen Amts kurz vor dem Wechsel zum Botschafterposten in Singapur, als ihm zum Abschied ein Freizeitkick geschenkt wurde. Weil einer der Geber gute Kontakte in Köpenick hatte, durfte das Spiel im Stadion des 1. FC Union stattfinden, unmittelbar vor einer Zweitliga-Partie gegen den FC St. Pauli. Die Diplomaten-Auswahl schlug eine Journalisten-Elf mit 1:0 und verließ euphorisch den Platz, als Ronny Nikol, Steffen Baumgart und die anderen zum Aufwärmen herauskamen. Seit diesem Tag ist Andreas Michaelis Unioner.

Mit der Liebe zum Fußballverein sei es ja ein bisschen wie mit der Staatsangehörigkeit, sagt der 61-jährige Diplomat, der heute als deutscher Botschafter in London arbeitet. Man habe erst einmal die, mit der man geboren ist. Für den gebürtigen Niedersachsen war das Hannover 96, doch als er die Diplomatenkarriere in Berlin anfing war er „auf einmal staatenlos“. Nach dem Abschiedsspiel in Köpenick habe er schnell verstanden, „was für ein wahnsinnig sympathischer Klub Union ist“, sagt der Botschafter und ergänzt: „Dann hat sich das über 20 Jahre so entwickelt, dass es eine Art zweite Staatsangehörigkeit geworden ist. Man kann ja auch zwei haben.“

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Eine neue Staatsangehörigkeit im englischen Fußball hat der Botschafter aber noch nicht angenommen, seitdem er im vergangenen Mai den Londoner Posten übernahm. Früher, als er in Oxford studierte, zahlte er samstags oft drei Pfund, um den damals hochfliegenden Oxford United im alten Manor Ground zuzuschauen. „Das war britischer Fußball in seiner Urform“, sagt er, doch davon ist heutzutage fast nichts übrig. Der Manor Ground wurde 2001 abgerissen, und in die modernen britischen Stadien darf seit März kein Zuschauer mehr. Dem Botschafter bleibt also nichts anderes übrig, als seine geliebten Unioner aus der Ferne zu verfolgen. So wie das Spiel am Sonntag beim 1. FC Köln (18 Uhr, live bei Sky).

Michaelis organisiert seine Deutschland-Reisen nach dem Union-Spielplan

Heute, wo Union-Spiele zum Teil sogar live im englischen Fernsehen übertragen werden, ist das ein bisschen einfacher als in früheren Zeiten. In den 1970er Jahren ließ sich US-Außenminister Henry Kissinger die Ergebnisse der Spielvereinigung Fürth jedes Wochenende von der deutschen Botschaft in Washington liefern. Ähnlich ging es in den 2000er Jahren Michaelis, der Unions Absturz in die vierte Liga aus Singapur nur in der Print-Berichterstattung verfolgen konnte.

Später, als er Botschafter in Israel war, organisierte er seine Reisen nach Deutschland oft so, dass sie mit Union-Heimspielen zeitlich zusammenfielen. Und als er zwischen 2015 und 2020 als politischer Direktor und später als Staatssekretär des Auswärtigen Amts in Berlin arbeitete, stand er oft mit seinem persönlichen Referenten auf den Stehplätzen der Gegengerade.

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Mit seiner Liebe zu Union geht Michaelis jetzt auch ganz offen um. An dem Abend, als Joe Biden zum Sieger der US-Wahl erklärt wurde, feierte er auf Twitter einen 5:0-Sieg der Köpenicker gegen Arminia Bielefeld. Vor zwanzig Jahren wurde der Fußball in Diplomatenkreisen eher skeptisch beäugt, sagt er, doch das habe sich mittlerweile „fundamental geändert, weil die Leute verstehen, wie wichtig das ist für die internationale Kommunikation.“

Das muss nicht immer nur positiv sein. Als Botschafter in Israel war Michaelis 2012 gefordert, als der israelische Nationalspieler Itay Shechter bei einem Bundesliga-Spiel in Kaiserslautern antisemitisch beleidigt wurde. Zwei Jahrzehnte früher musste er als junger Mitarbeiter der Botschaft in Tel Aviv Werder Bremen begleiten, das gegen Maccabi Tel Aviv das erste deutsch-israelische Duell der Europapokal-Geschichte bestritt. Der damalige Botschafter machte sich darüber Sorgen, erinnert sich Michaelis, weil er in den Jahren zuvor in den Niederlanden stationiert war. Dort hatte er bei den hitzigen Duellen zwischen Deutschland und Oranje erlebt, dass „ein Fußballspiel die gesamte Aufbauarbeit in einer Nacht plötzlich kaputt macht.“ Zum Glück nahm der noch von Willi Lemke geführte SV Werder seine historische Verantwortung ernst.

Nach dem Brexit wird die menschliche Begegnung umso wichtiger

In Großbritannien hingegen kann der Fußball positive Auswirkungen haben, etwa durch eine Persönlichkeit wie Jürgen Klopp. Der deutsche Trainer des FC Liverpool hat den neuen Botschafter schon zur Anfield-Road eingeladen, und der Respekt scheint auch auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Für die Engländer sei Klopp „ein Kristallisationspunkt für extrem positive emotionale Erfahrungen mit Deutschland“, sagt Michaelis. „Deswegen ist das eine ganz wichtige politische Funktion, die er hier einnimmt. Dass er hier der entscheidende Botschafter ist, das ist gar keine Frage.“

Dass Deutschland und der deutsche Fußball ausgerechnet in dem Moment an Popularität gewinnen, in dem Großbritannien Europa den Rücken kehrt, zeigt aber die Grenzen des Fußballs. Schließlich konnte auch Jürgen Klopp den Brexit nicht verhindern. Trotzdem könnte seine Rolle als Kristallisationspunkt ab dem 1. Januar noch wichtiger werden, wenn die Brexit-Übergangsperiode abläuft und Großbritannien sich endgültig von der Europäischen Union verabschiedet. Danach werde man nämlich wieder „eine viel höhere Bedeutung des klassischen bilateralen Verhältnisses zwischen Deutschland und Großbritannien erleben“, sagt Michaelis. Und um dieses Verhältnis zu vertiefen, brauche es „menschliche Begegnungen“. An der Anfield Road etwa, oder in der Alten Försterei.

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