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Geil auf Verteidigung. Lucie-Marie Kretzschmar macht sich lang (rechts).

© picture alliance/dpa

Deutsche Meisterschaft im Beachhandball: Pirouetten im Sand

Bei den Beachhandballerinnen geht es am Sonntag um den Meistertitel – und eine zweifelhafte Kleiderordnung.

Hier ein Kempa-Trick, dort eine Pirouette – was in der Halle als Augenschmaus gilt, gehört beim Beachhandball zur Normalität. Lange aber waren die Akteure aus dem Sand verbannt, und Zuschauer mussten auf das Spektakel verzichten. Mit dem angebrochenen Sommer und sinkenden Inzidenzzahlen wird indes ebenso Beachhandball wieder möglich.

Und so geht es nach zwei Jahren Zwangspause an diesem Wochenende in Düsseldorf um den deutschen Meistertitel. Jeweils acht weibliche und männliche Teams treten hier im Kampf um die Meisterschaft an.

„Nach so vielen ausgefallenen Turnieren ist es sowohl für die Mannschaften als auch für den Beachhandball an sich von enormer Bedeutung, erneut einen Wettstreit auf einem solch hohen Niveau auszutragen. Das ist superwichtig, damit der Sport mehr Präsenz erlangt“, sagt Lucie-Marie Kretzschmar.

Die 20-Jährige, die nicht zuletzt aufgrund ihres berühmten Vaters, dem ehemaligen weltklasse Linksaußen und Sportvorstand der Füchse Berlin Stefan Kretzschmar, schon früh mit dem Ball unterwegs war, übt ihre Leidenschaft seit sieben Jahren auch außerhalb der Halle aus. Unter der Saison beim Erstliga-Verein in Neckarsulm engagiert, nimmt sie bei der deutschen Meisterschaft im Beachhandball einmal mehr mit den Minga Turtles aus Ismaning teil.

Andere Regeln als beim Handball

Dabei ist Kretzschmar allerdings weniger die Kandidatin für atemberaubende Torabschlüsse, für die der Sport so berühmt ist. Die Magdeburgerin läuft zwar ab und zu noch als Shooter auf, verschrieben hat sie sich allerdings der Abwehr. „Angriff macht mir schon Spaß, aber ich bin irgendwie geil auf den Ball und darauf, zu verteidigen. Das ist eine enorme Aufgabe, weil man immer in Unterzahl ist und das reizt mich total“, erklärt Kretzschmar. „Ein verteidigtes Tor zählt doppelt.“

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So natürlich nur in der Spielanlage. Dennoch weicht die Zählweise im Sand von der großen Schwester im Innenbereich deutlich ab. Ein Kempa – also der in der Luft gefangene und geworfene Ball – bringt ebenso wie ein Sprungwurf mit Pirouette die doppelte Punktzahl.

Außerdem sind die beiden zehnminütigen Halbzeiten eher als Sätze zu verstehen, wobei auf ein Unentschieden ein Shootout folgt. Eine weitere Besonderheit ist, dass aufgrund der Spielfläche nicht geprellt wird und daher Schnelligkeit, Akrobatik und Sprungkraft verstärkt im Mittelpunkt stehen.

„Das ist mehr als nur Jux und Tollerei“, sagt Kretzschmar, die sich bewusst ist, welcher Ruf Beachhandball des Öfteren nachgesagt wird. „Hätten wir den Schritt zur Olympiasportart geschafft, bräuchten wir nicht mehr darüber reden. Wer sich aber mehr damit beschäftigt, wird sehen, wie viel Arbeit und Anstrengung dahintersteckt.“ Jeder, der sich schon einmal am Strand mit Sport versucht hat, wird verstehen, was die Handballerin meint, weiß um die Kraftanstrengung die der unebene, sandige Boden von den Spielenden fordert.

Viel Programm für Kretzschmar

Kretzschmars Enttäuschung war groß, als vor vier Jahren die Aufnahme ins olympische Programm scheiterte. Trotzdem wird der Beachhandball immer stärker vom Deutschen Handballbund (DHB) unterstützt und gefördert, dass mehrfach im Jahr Nationalmannschafts-Lehrgänge stattfinden.

Lucie-Marie Kretzschmars Terminkalender weist daher nur wenige Lücken auf. Als Neckarsulmer Rückraum-Schützin, Jugendnationalspielerin, Abwehr-Chefin bei der Beach-Auswahl und Akteurin bei den Turtles gibt es immer irgendein Spiel oder Training, bleibt wenig Zeit zur Regeneration.

„Der Plan ist für diesen Sommer zwar sehr voll, aber auch gut und dankbar“, sagt Kretzschmar. Noch nie hat sie sich so sehr auf eine Beach-Saison gefreut, sehnt sich nach der langen, coronabedingten Pause nach dem Sand. „Klar fehlen die zwei Wochen Urlaub, in denen man komplett runterfahren kann. Doch wenn ich sehe, wie die anderen gerade ihren Trainingsplan aufstellen, laufen und Kraftübungen machen, bin ich ganz froh darüber, dass ich am Strand eine der für mich besten und schönsten Sportarten überhaupt ausüben kann.“

Gerade erst war sie mit der deutschen Auswahl auf Gran Canaria, gewann dort mit ihrem Team das Vorbereitungsturnier für die bevorstehende Europameisterschaften im Juli in Bulgarien. Nun könne man mit viel „Rückenwind und Optimismus auf die Zielgerade“ einbiegen, findet Kretzschmar.

Widerstand gegen sexistische Kleiderordnung

Für Diskussionen sorgte indes ein Antrag, den der norwegische Verband im Vorfeld des Turniers stellte und der im Frauensport immer mehr zum Thema wird. Denn während bei den Männern als Spielkleidung nur ein ärmelloses Tanktop und Shorts vorgeschrieben werden, sind die Vorschriften beim weiblichen Geschlecht wesentlich strikter.

Die Bikini-Höschen dürften höchstens zehn Zentimeter lang sein und müssen nach den Regularien der Internationalen Handballföderation (IHF) körperbetont geschnitten sein. Außerdem sind enge, bauchfreie Oberteile mit weit nach innen laufendem Armloch festgelegt.

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„Ich persönlich habe kein riesiges Problem mit der aktuellen Verordnung, weil ich mich daran gewöhnt habe und das während des Spiels alles ausblende. Trotzdem weiß ich von einigen, dass sie sich in dieser Spielkleidung nicht wohl fühlen und deswegen kein Beachhandball spielen. Das darf nicht sein“, sagt Kretzschmar, für die sich die Kleiderordnung jedweder Grundlage entbehrt. „Man kann sich keinen Vorteil verschaffen, ob man nun kürzere oder längere Hosen trägt. Deswegen unterstütze ich das komplett.“

Es bleibt abzuwarten, wie die einzelnen Verbände auf den Antrag reagieren und ob die Handballföderation die wünschenswerte Änderung im Regelwerk vornimmt. Bei der deutschen Meisterschaft an diesem Wochenende gibt es hingegen offiziell zwar ebenso einen Passus zu den Trikots, der auf die Vorschriften der IHF hinweist, allerdings werden diese nicht zwingend verlangt.

Kretzschmar und ihre Kolleginnen spielen daher in klassischen Tanktops und kurzen Hosen. Manche in eng, manche in locker – jede so, wie sie sich wohlfühlt. Denn auf die Anzahl der Pirouetten und Kempa-Tricks wird dies sicherlich keinen Einfluss haben.

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