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Vor einem Jahr holte Gesa Krause in Berlin EM-Gold über 3000 Meter Hindernis.

© dpa

Deutsche Hoffnung bei der Leichtathletik-WM: Die Wiedergutmachungstour der Gesa Krause

Vor zwei Jahren stürzte Hindernisläuferin Gesa Krause bei der Leichtathletik-WM. Diesmal zählt sie wieder zu den Favoritinnen - zu Recht.

Wer will, kann auf der audiovisuellen Plattform Instagram einen durchaus intimen Einblick in den Trainingsalltag von Gesa Krause erhaschen. Man sieht die 27-Jährige, wie sie aus dem Bett steigt, sich im Bad zurechtmacht, die Zähne putzt, Sportkleidung anzieht und dann ihre ersten Runden dreht. Krause hat das Video aus ihrem Trainingslager in der südafrikanischen Stadt Potchefstroom selbst gedreht.

Sie sagt darin halbspannende Sätze wie „Ich freue mich jetzt auf den Swimming Pool“ oder „Ich freue mich auf das Abendessen“. Aber offenbar interessiert der normale Alltag der Leichtathletin viele Menschen. Krause hat auf ihrem Instagram-Account mehr als 100.000 Abonnenten. Es könnten bald noch mehr werden.

Krause wird zugetraut, bei den am Freitag beginnenden Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha eine Medaille über 3000 Meter Hindernis zu gewinnen. Doch so weit ist es noch nicht. „Die Konkurrenz ist enorm stark“, sagt ihr Trainer Wolfgang Heinig. „Es muss einiges zusammenkommen, um bei der WM auf dem Treppchen zu landen.“ Am Freitag ist der Vorlauf, drei Tage später das Finale. Vermutlich wird Krause dann den favorisierten Kenianerinnen Beatrice Chepkoech und Hyvin Kiyeng das Leben schwer machen.

Gesa Krause bewegt sich schon seit ein paar Jahren in der Weltspitze. Sie ist zweimalige Europameisterin, holte bei den Weltmeisterschaften 2015 in Peking die Bronzemedaille und vielleicht wäre zwei Jahre später in London noch mehr herausgesprungen, wäre sie im Finale nicht unverschuldet zu Fall gekommen. Krause weinte herzergreifend vor den Kameras. Und wer Herzen ergreift, dem fliegen die Sympathien zu.

Sie ist wegen ihres dramatischen Laufs von London eine der populärsten deutschen Sportlerinnen geworden. Sie ist es aber auch wegen ihrer sportlichen Erfolge. Krause läuft national in einer eigenen Liga, international hält sie mit der seit vielen Jahren dominierenden ostafrikanischen Konkurrenz mit. Wie ist das möglich? Auf der Suche nach der Antwort stößt man auf ihren Trainer.

Wolfgang Heinig, Jahrgang 1951, ist vielleicht kein Instagram-Experte. Aber der Mann hat schon viel erlebt und gesehen. Ein Regime, das dem Leistungssport einen politischen Auftrag verpasste. Und Sportler, die wegen des systemisch auferlegten Drucks große Erfolge feierten oder eben daran zerbrachen.

Der alte Trainer und die junge Frau

Der in Leipzig aufgewachsene Heinig hat auch erlebt, wie die sportverrückte DDR kollabierte und das vermeintliche Erbe des DDR-Leistungssports langsam versiegte, die Erfolge und Medaillen besonders in der olympischen Kernsportart Leichtathletik immer weniger wurden. Heinig wünscht sich die DDR-Zeiten gewiss nicht zurück. Aber er sagt: „Die Nachwuchsförderung in der DDR war enorm. Heute ist es schwieriger, an große Talente heranzukommen.“

Deswegen ist für ihn eine Läuferin wie Krause eine Art Jackpot. Heinig geht auf die Siebzig zu und hätte seine Trainerkarriere wohl längst beendet, wäre seine inzwischen über zehn Jahre andauernde Zusammenarbeit mit Krause nicht derart fruchtbar. So tingelt er mit ihr Jahr für Jahr in die entferntesten Trainingslager.

Vor wenigen Tagen befanden sich die beiden zur finalen WM-Vorbereitung in Südafrika, seit Mittwoch sind sie in Katar. Der alte Mann und die junge Hindernisläuferin harmonieren, sie profitieren beide voneinander. „Wir diskutieren viel über politische Themen“, erzählt Heinig. „Dabei sind wir oft anderer Auffassung. Aber es ist gut, wenn ich mich nicht nur mit Rentnern unterhalte. Das hält mich geistig jung.“

Krause gilt als ausgesprochen wissbegierig und professionell - als eine Athletin, die nichts dem Zufall überlassen und alle Möglichkeiten ausreizen will. „Sie stellt viele Fragen und will verstehen, warum wir was machen“, erzählt Heinig. Er wiederum gibt ihr einen klaren Rahmen vor. „Die Grundprinzipien meiner Trainingslehre sind die gleichen wie vor 30 Jahren“, sagt er. „Es ist immer noch so, dass man Laufen am besten durchs Laufen lernt – und das in großem Umfang. Das war früher so und ist heute noch so“, findet Heinig. Krause läuft offensichtlich in sehr großem Umfang.

Fast so erfolgreich wie Klosterhalfen

Die Trainingsgemeinschaft der beiden ist ein Gegenentwurf zur nicht minder erfolgreichen Konstanze Klosterhalfen. Die deutsche Mittelstreckenläuferin war in diesem Jahr in die USA zum üppig finanzierten Nike Oregon Project in die USA gewechselt. Klosterhalfen hat ihre alte Heimat samt Trainer hinter sich gelassen, um sich einem höchst professionellen Umfeld anzuschließen. Ihre Leistungsentwicklung ist seitdem raketenmäßig. Heinig hat den Hype um Klosterhalfen verfolgt und auch die damit aufgeworfene Frage, ob die Bedingungen hierzulande für Mittelstreckenläuferinnen ausreichen, um international erfolgreich zu sein.

Heinig ist fest davon überzeugt. „Wir haben in Deutschland großartige Voraussetzungen“, sagt er. Heinig meint vor allem die Unterstützung durch den Deutschen Leichtathletik-Verband. Sie ermöglicht es ihm und Krause, mehrmals im Jahr sogenannte Hypoxieblöcke, also Höhentrainingslager im Ausland, zu absolvieren. Auch gebe es grundsätzlich keinen Unterschied, ob ein Athlet von einem Amerikaner, Briten oder Deutschen trainiert werde, findet Heinig. „Die Trainer in Deutschland haben ein hohes Know-how.“

Heinig kämpft um mehr Anerkennung für sich und seine Kollegen. Und zumindest was das Duo Heinig/Krause angeht, ist das gerechtfertigt. Krause hat in diesem Jahr einen ähnlichen Leistungssprung getan wie die gefeierte Klosterhalfen. Ende August knackte sie über 3000 Meter Hindernis in 9:07,51 Minuten ihren eigenen Rekord, wenige Tage später stellte sie über die nicht-olympische Distanz über 2000 Meter Hindernis gar eine Weltbestzeit in 5:52,80 Minuten auf. Krause ist voller Selbstvertrauen und das schadet vor einem wichtigen Wettkampf sicher nicht. Das war, um es mit Wolfgang Heinig zu halten, früher so und ist heute noch so.

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