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Wohin des Wegs: Wacker Nordhausen (dunkle Trikots, hier im Spiel gegen Babelsberg im September) steht vor einer ungewissen Zukunft.

© Sebastian Gabsch

Der Regionalligist ist insolvent: Wacker Nordhausen ist das Paradebeispiel einer gescheiterten Fußball-Utopie

Bei Wacker Nordhausen träumten sie vom Profifußball. Jetzt drückt den Klub aus dem Harz ein gigantischer Schuldenberg – die Zukunft ist ungewiss.

Eine Partie war für den SV Babelsberg 03 in der Fußball-Regionalliga Nordost vor Weihnachten noch vorgesehen. Am Sonntag im Harz beim FSV Wacker 90 Nordhausen. Doch das Wetter spielt nicht mit, das Spiel ist am Donnerstag abgesagt worden. Die Absage kommt den Nordhäusern durchaus gelegen, denn sie wüssten gar nicht, wie sie antreten sollen. Ihr Problem: Die Spielbetrieb-GmbH des FSV meldete Anfang der Woche Insolvenz an.

Die Dimensionen der Pleite sorgen vielerorts für Entsetzen. Rund neun Millionen Euro Schulden sollen sich binnen weniger Jahre angehäuft haben. In der Vierten Liga, im Amateurbereich. Die Verbindlichkeiten entsprechen dem 30-Fachen des aktuellen SVB-Saisonetats. „Da kann man nur mit dem Kopf schütteln“, sagt Katharina Dahme, die Aufsichtsratsvorsitzende des in akuter Abstiegsgefahr schwebenden Babelsberger Klubs.

Wacker Nordhausen und das Problem mit der Hybris

Wacker Nordhausen ist das Paradebeispiel einer krachend gescheiterten Fußball-Utopie. Und Hybris. Nico Kleofas, Präsident des Nordhäuser Vereins und zugleich Geschäftsführer der Spielbetriebsgesellschaft, wollte seinen Traum vom Profifußball in der thüringischen Kleinstadt verwirklichen.

Dort, wo im Schnitt gerade mal rund 1000 Zuschauer zu den Heimspielen in den Albert-Kuntz-Sportpark kommen, sollte der Drittliga-Aufstieg gelingen. Kleofas hatte für diese ambitionierte Mission den Gips-Unternehmer Carlo Knauf als Financier an seiner Seite. Seit Jahren wurden reihenweise Spieler mit höherklassiger Erfahrung verpflichtet. Mit viel Geld, das offenkundig dann doch gar nicht ausreichend vorhanden war.

Der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) hat eine erste Konsequenz im Fall Nordhausen gezogen. Eine, die Katharina Dahme ärgert. Am Mittwoch bestätigte der NOFV, dass Wacker gemäß der Regularien mit sofortiger Wirkung neun Punkte abgezogen werden. Statt 30 Zählern und dem fünften Platz sind es jetzt 21 auf Rang zehn.

Auch ein Zwangsabstieg für Wacker Nordhausen ist möglich

„Diese übliche Neun-Punkte-Strafe ist unverhältnismäßig gering. Sie lädt quasi dazu ein, über seine Verhältnisse zu leben“, findet die Chefin des SVB-Aufsichtsrats. Trotz unfairen Spiels bei den Finanzen könne ein Verein so in der Liga bleiben. Wie vorige Saison der FC Viktoria 89, der insolvent ging, die Zähler abgezogen bekam und dennoch genug davon hatte, um die Regionalliga zu halten.

Für dieses Prozedere muss allerdings der Spielbetrieb bis Saisonende aufrechterhalten werden, ansonsten wäre der Zwangsabstieg besiegelt. Ob die Fortführung in Nordhausen klappt, ist offen. Wackers Insolvenzverwalter Peter Staufenbiel betonte im Gespräch mit dem MDR immerhin, dass dies das Ziel sei.

Hierbei stellt sich nur die Frage: Mit wem? Denn alle Spieler, Trainer und Angestellten der Nordhäuser Spielbetriebsgesellschaft können aufgrund der Insolvenz ihre Verträge sofort auflösen und gehen. Lautstark hat diesen Schritt bereits Jan Löhmannsröben via „Bild“-Zeitung angekündigt. Der drittligaerfahrene Mittelfeldakteur, der in der Jugend bei Babelsberg 03 und den Potsdamer Kickers spielte, beklagte das Lügenkonstrukt der Wacker-Verantwortlichen: „Mir wurde das Blaue vom Himmel versprochen. Und am Ende ist alles hinfällig.“

Hinterher: Wacker Nordhausen (dunkle Trikots, hier beim Spiel in Babelsberg im September) drücken fast zehn Millionen Euro Schulden.
Hinterher: Wacker Nordhausen (dunkle Trikots, hier beim Spiel in Babelsberg im September) drücken fast zehn Millionen Euro Schulden.

© Sebastian Gabsch

Vor allem ist verwunderlich, dass ein derart riesiger Schuldenberg dort im Südharz so lange schier ungehemmt wachsen konnte. „Bei einem Regionalligisten sollten eigentlich Kontrollmechanismen für genau so etwas greifen“, sagt Dahme. Gremien innerhalb des Vereins, die Mitglieder, Politik und Presse – entweder ihnen wurden stets falsche Zahlen präsentiert oder sie nahmen die Katastrophenbilanzen hin, weil sie glaubten, in der Dritten Liga würde sich das Blatt wenden.

Auch das wäre jedoch kaum der Fall gewesen, die Spielklasse sorgt bei Vereinen erst recht für Geldsorgen. Ab der bundesweiten Liga drei müssen sich die Klubs beim Lizenzierungsverfahren einer wirtschaftlichen Prüfung unterziehen. Dies auch schon in der Regionalliga Nordost zu vollziehen, lehnt der NOFV ab. „Aus vielfältigen Gründen“, sagt Geschäftsführer Holger Fuchs. „Zum Beispiel ist der Aufwand für die Mehrzahl der Vereine viel zu hoch.“ Fuchs glaubt auch nicht, dass sich dadurch Insolvenzen während des Spieljahres verhindern lassen. „Man sieht es in der Dritten Liga.“

Auch der SV Babelsberg 03 ist mit finanziellen Herausforderungen vertraut. 2003 ging der Kiezklub insolvent. Dasselbe Szenario drohte auch danach immer mal wieder. Zuletzt hatte die Vereinsführung gute Fortschritte der Konsolidierung und Stabilisierung zu verzeichnen. Dafür wurde allerdings zur aktuellen Saison der Etat für das Regionalligateam um 50 000 Euro auf 300 000 Euro erneut gekürzt. „Um der Verantwortung gegenüber dem gesamten Verein gerecht zu werden, musste das sein. Und es ist fair im Sinne des Ligawettbewerbs“, sagt Dahme. „Wir hoffen, dass wir so den Klassenerhalt schaffen.“

Wacker Nordhausens Insolvenz hat auch Folgen für den Rest der Liga

Das Schicksal von Wacker Nordhausen könnte dafür nicht unerheblich sein. Bis zu vier Absteiger sind möglich. Der SVB liegt derzeit mit nur elf Punkten als Tabellenvorletzter acht Zähler hinter dem definitiv sicheren Rang 14. Zehn sind es zu Nordhausen. Beenden die Thüringer die Saison nicht regulär, wären sie der erste Absteiger, wodurch sich Babelsbergs Chancen verbessern würden.

Allerdings würden bei dem Szenario sämtliche Wacker-Spielergebnisse der Saison annulliert werden. Dem SVB und Chemie Leipzig, die als einzige der acht Mannschaften im unteren Tabellenbereich gegen Nordhausen punkteten (jeweils ein Remis), würde dieser eine Zähler wieder aberkannt werden. Zudem verschiebt sich die Tordifferenz zu ihren Ungunsten.

Ähnliches an der Spitze: Dem Ersten, Energie Cottbus, und Zweiten, Lok Leipzig, kämen Siegpunkte wieder abhanden – ihre Verfolger VSG Altglienicke und Hertha BSC II, die Nordhausen unterlagen, würden dadurch nach aktuellem Stand heran- beziehungsweise gar vorbeirücken.

Tobias Gutsche

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