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Nicht sein bester Tag. Am ersten Spieltag gegen Leipzig lief auch Schlotterbeck (l.) meist nur hinterher.

© Britta Pedersen/dpa

Der lange Weg von Unions Keven Schlotterbeck: Von Backnang in die Bundesliga

Im Auswärtsspiel bei Bayer Leverkusen erhält Keven Schlotterbeck eine neue Chance in der Startelf des 1. FC Union. Seine Entwicklung ist ungewöhnlich.

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Die TSG Hofherrnweiler-Unterrombach ist ein traditionsreicher Verein, der, wie es sich für eine TSG gehört, noch im 19. Jahrhundert gegründet wurde, 1899 um ganz genau zu sein. An diesem Samstag, 16 Uhr, werden sich vielleicht auch ein paar Akteure aus der Fußball-Bundesliga für die 120-jährige Geschichte der TSG interessieren.

Immerhin freut sich Verbandsligist Hofherrnweiler-Unterrombach auf den bisherigen Saisonhöhepunkt: der Tabellenführer, die TSG Backnang von 1919, wird im altehrwürdigen Hofherrnweiler Bohnensträßle gastieren. Dazu muss man wissen, dass die Backnanger Fußballer nicht nur aufgrund der Tabellensituation eine absolute Topadresse sind, sondern auch in puncto fußballerischer Früherziehung.

In Backnang hat der anerkannte Fußballehrer Ralf Rangnick seine ersten Taktiktäfelchen aufgebaut, dies freilich beim FC Viktoria, der inzwischen in der Kreisliga A gelandet ist. Der frühere Nationalspieler Andreas Hinkel ist ebenfalls gebürtiger Backnanger und einstige Bundesliga-Größen wie der zweimalige Deutsche Meister Klaus-Dieter Sieloff oder Willi Entenmann, beide bereits verstorben, trugen sogar das Trikot der TSG Backnang; und nicht zu vergessen: der einstige Champions-League-Spieler Julian Schieber.

Mit Keven Schlotterbeck, 22, schickt sich gerade ein weiterer Spieler an, den Fußballstandort Backnang nachhaltig zu prägen. "Was man in Backnang gelernt hat, war Zusammenhalt", sagte der Innenverteidiger des 1. FC Union Berlin vor ein paar Wochen. "Man konnte dort auch ein bisschen seine Jugend leben. Ich hatte dreimal Training die Woche und konnte mit meinen Freunden rausgehen, konnte auch mal schön in einer Bar sitzen", ergänzte er. Schlotterbeck spielte in der B-Jugend und später in der ersten Mannschaft für die TSG. Doch dem schönen Amateurfußballerdasein ist er tatsächlich noch abhanden gekommen.

Wenn seine früheren Mitspieler bei der TSG Hofherrnweiler-Unterrombach nun drei Punkte für den Aufstieg in die Oberliga Baden-Württemberg einfahren wollen, spielt Schlotterbeck mit seinen Berlinern fast zeitgleich in Leverkusen (Samstag, 15.30 Uhr, live bei Sky) in der Bundesliga. Er erhält dort so etwas wie eine zweite Chance.

Bruderpower. Keven Schlotterbeck (l.) spielte zuletzt beim SC Freiburg – und dort auch mit seinem Bruder Nico Schlotterbeck.
Bruderpower. Keven Schlotterbeck (l.) spielte zuletzt beim SC Freiburg – und dort auch mit seinem Bruder Nico Schlotterbeck.

© Patrick Seeger/dpa

Am ersten Spieltag ging er beim 0:4 gegen Leipzig genauso baden wie alle Unioner. Es folgte das Auswärtsspiel in Augsburg, als Schlotterbeck seinen Fuß etwas zu energisch über jenen von FCA-Stürmer Florian Niederlechner hielt. Das brockte ihm eine Rote Karte und zwei Spiele Sperre ein. "Er war zuerst enttäuscht, weil er auch fand, dass es vermeidlich war", sagt Unions Trainer Urs Fischer. Das bestätigt auch Schlotterbeck.

In Augsburg hatte er sich noch auf dem Platz sein Trikot zerrissen. Der kaputte Stoff wandert übrigens ins Union-Museum, weil sein Träger immerhin als erster Unioner einen Platzverweis in der Ersten Liga kassierte. "Sonst hätte ich es mir in den Schrank gehängt", sagt Schlotterbeck. So viel Wut und Energie sei aus ihm herausgekommen, dass das Trikot der daraus resultierenden Kraft eben nicht gewachsen war, erklärt er den Tathergang.

Nicht ohne meinen linken Fuß

Außer dem Union-Museum profitierten vor allem Schlotterbecks Konkurrenten in der Innenverteidigung von der Sperre des Neuzugangs. Marvin Friedrich und Neven Subotic waren plötzlich gesetzt, Schlotterbeck erstmal außen vor. In den beiden Spielen gegen Leipzig und Augsburg hatte er ohnehin kaum Werbung in eigener Sache betrieben.

Aber Fußball ist Tagesgeschäft. Nach Subotics Platzverweis gegen Bremen dürfte Schlotterbeck gegen Leverkusen wieder in der ersten Elf stehen. Trainer Fischer kommentiert Personalfragen zwar nur bedingt, so viel aber sagt er zu Schlotterbeck doch: "Er ist absolut eine Alternative für Sonnabend."

Allzu nervös wirkt Schlotterbeck ob der neuerlichen Aussicht auf die Startelf in diesen Tagen nicht, er ist von Haus aus eher ein ruhiger Typ, dem Sachlichkeit vor Schnelligkeit geht. Fragen beantwortet er so unaufgeregt wie er spricht, stets leicht schwäbelnd. Er sagt, "dass die Rote Karte gegen Augsburg ärgerlich isch", nicht "ist". Es ist auch ein Zeichen von Bodenständigkeit, die Schlotterbecks unverstellte Sprache offenbart. Seinen unorthodoxen Karriereweg kann er gut einordnen.

Hoch hinaus. Keven Schlotterbeck (weißes Trikot, Mitte) traf im DFB-Pokal in Halberstadt per Kopf.
Hoch hinaus. Keven Schlotterbeck (weißes Trikot, Mitte) traf im DFB-Pokal in Halberstadt per Kopf.

© Annegret Hilse/Reuters

"Ohne meinen linken Fuß hätte ich es nicht so weit geschafft", erklärt Schlotterbeck seine erstaunliche Entwicklung, die ihn aus der Verbandsliga in die höchste Klasse des deutschen Fußballs gespült hat. Schlotterbeck hat dabei den bescheidenen Weg über die Dörfer genommen, bis ihn im Sommer 2017 ein Anruf aus Freiburg erreichte. Mehrere Vereine seien an ihm interessiert gewesen, "aber der SC Freiburg war dann die optimale Adresse für mich. So konnte ich gut durchstarten", sagt Schlotterbeck.

Im Badischen hat sich der Schwabe einen guten Ruf erarbeitet, Trainer Christian Streich bot ihn in der vergangenen Saison unter anderem gegen Bayerns Topstürmer Robert Lewandowski auf. "Ich war danach stehend K.o. Mein Kopf hat gepocht, alle Sicherungen sind durchgebrannt. Auf der einen Seite hat es Spaß gemacht. Aber auf der andere Seite war das harte Arbeit", erinnert sich Schlotterbeck. Die Mühen wurden belohnt, Freiburg schaffte ein 1:1.

Neunmal lief der Abwehrspezialist für Freiburg in der Bundesliga auf, sein 19-jähriger Bruder Nico Schlotterbeck steht im Breisgau noch unter Vertrag. Doch Keven Schlotterbeck will noch mehr Einsatzzeiten sammeln, nun also bei seinem Leihverein Union. "Man will nicht stagnieren, man will sich stetig weiterentwickeln", sagte Schlotterbeck vor Beginn dieser Saison. Gegen Leverkusens Offensivmaschine erhält er wohl die nächste Möglichkeit dazu.

Diesmal will er ohne Platzverweis auskommen, was ihm – statistisch betrachtet – auch gelingen könnte. Vor seiner Hinausstellung gegen Augsburg musste er letztmals vor drei Jahren vorzeitig vom Feld. "Undiszipliniert war ich da. Da habe ich mich in der Nachspielzeit über einen nicht gegebenen Eckball aufgeregt", erinnert sich Schlotterbeck. Sie sind eben noch gar nicht so lange her, die Backnanger Verbandsliga-Zeiten.

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