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Kostenlose Köperkultur. Robin Spaetling lädt mit dem Verein Stadtbewegung Menschen in Berlin dazu ein, mit ihm Sport zu treiben.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der Freizeitsport in öffentlichen Parks wächst: Sind Sportvereine noch zeitgemäß?

Immer mehr Menschen wollen lieber ungezwungen im Park trainieren als in Vereinen. Die Verbände stellt das vor große Probleme.

Der junge Mann mit den schwarzen Handschuhen und dem freien Oberkörper schwingt sich nach etlichen Klimmzügen von der Stange. Der Schweiß rinnt seine Muskeln hinunter. Sein suchender Blick lässt vermuten, dass er gerne wahrgenommen werden möchte. Viel Beachtung bekommt er aber nicht. Es ist nicht viel los an diesem Julimorgen im Kreuzberger Böcklerpark, wo am gegenüberliegenden Ufer des angrenzenden Landwehrkanals das Urbankrankenhaus in all seiner monumentalen Hässlichkeit steht. „Hey“, ruft der Mann, „this is training ground.“ Ein Besucher hatte es gewagt, ein Bein auf den Untergrund der öffentlichen Trainingsanlage zu stellen.

Es ist noch nicht lange her, da reduzierte sich der Freizeitsport in den öffentlichen Parks auf die Läufer. Gerade in größeren Städten wie in Berlin hat sich dieses Bild stark gewandelt. Wer in diesem Sommer nicht mit verschlossenen Augen durch die Hauptstadt geht, der sieht an fast jedem größeren grünen Fleck eine kleinere oder größere Menge von Menschen, die Sport treiben. Sie machen Workout wie im Böcklerpark oder Yoga; sie hüpfen zu bassgeschwängerter Musik oder lassen Hula-Hoop-Reifen um die Hüften kreisen.

Manche Gruppen spielen Spiele, von denen man gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. In der Hasenheide etwa ist immer wieder mal ein sonderbares Fußballspiel zu beobachten. Vom Hals abwärts bis zum Becken stecken die Spieler in einer Art Riesenluftballon. Wenn es zum Zusammenprall kommt, bouncen die Ballon-Kicker teilweise meterweit auseinander.

Das alles klingt nach großem Spaß und viel Gesundheit und passt wunderbar zu einem neuen Zeitgeist, der den Sport erfasst hat. Immer mehr Menschen scheinen sich vom herkömmlichen Vereinssport und damit vom klassischen Sportverständnis loszusagen, bei dem der Wettbewerb im Vordergrund steht. Stattdessen erobern sie die Parks der Stadt, allein oder in der frei organisierten Sportgruppe. Doch ganz konfliktfrei geht dieser Paradigmenwechsel nicht vonstatten. Er ist verbunden mit dem Streit um die staatlichen Fördergelder, dem Kampf um die wenigen vorhandenen Trainer – und um den öffentlichen Raum. Die Sportler brauchen ihren Platz und sie sind mehr denn je gewillt, ihn sich zu nehmen und ihn auch zu verteidigen. So wie im Böcklerpark.

Der Senat unterstützt "Sport im Park" mit 150.000 Euro

Der junge Mann mit den Muskeln und dem suchenden Blick schaut inzwischen grimmig drein. Sein Trainingsplatz, ein sogenanntes Outdoor Gym mit Klimmzug- und Reckstangen sowie Stepboxen, wird gerade in Beschlag genommen. Robin Spaetling markiert mit einem Helfer namens Martin gleich mal das Revier. Die beiden stellen ein Schild vor der Anlage auf. Darauf steht: „Mach die Biege!“ Das ist wortwörtlich zu verstehen. Es ist eine Aufforderung, hier Sport zu machen. Spaetling ist Trainer bei Stadtbewegung e.V., einem Verein, der den Sport im öffentlichen Raum fördert und kostenlose Angebote mit ausgebildeten Trainern wie ihm anbietet.

Turnschuhe vergessen ist nicht so schlimm. Für die Übungen im Park reichen auch normale Straßenschuhe.
Turnschuhe vergessen ist nicht so schlimm. Für die Übungen im Park reichen auch normale Straßenschuhe.

© Kitty Kleist-Heinrich

Möglich macht dies das vom Senat finanzierte Projekt „Sport im Park“, von dem auch die Trainer wie Spaetling finanziert werden. Er ist an diesem Morgen nach Kreuzberg gekommen, um eine Gruppe anzuleiten. „Wir hätten am liebsten asiatische Verhältnisse“, sagt der 43-Jährige. In Fernost gehört besonders am frühen Morgen der gemeinsame Sport in öffentlichen Parks zur Alltagskultur. Davon ist Spaetlings Gruppe an diesem Morgen aber noch weit entfernt. Immerhin haben sich neben Martin noch fünf Frauen im Alter zwischen 45 und 68 Jahren für die Einheit finden können. Spaetling läuft mit ihnen schnurstracks zur Trainingsanlage, auf der sich der Muskelmann sichtlich gestört fühlt. Jetzt wird es spannend. Die Gruppe steht nur wenige Meter neben ihm. Er lässt sich nichts anmerken. Nach wenigen Minuten packt er seine Sachen zusammen und verlässt die Anlage. Spaetling dagegen klatscht in die Hände und ruft der Runde zu: „Wenn ihr richtig schwitzen wollt, dann zieht ihr mit mir mit.“

Streit um den Raum erlebt Spaetling immer wieder. Erst tags zuvor hat er sich mit seiner Sportgruppe auf der Streuobstwiese in Neukölln den Ärger einer älteren Frau eingehandelt. „Ihr macht den Rasen kaputt, hat sie geschrien“, erzählt Spaetling. Konflikte wie diese sind jedoch das kleinste Problem. Dem ungebundenen Sport im öffentlichen Raum fehlt es an Trainern, an Infrastruktur und an langfristig geförderten Projekten, sprich: am Geld. Der mit Abstand größte Teil der Sportförderung bundesweit und in Berlin fließt in den vereinsorganisierten Spitzen- und Breitensport. Projekte wie „Sport im Park“, die mit 150.000 Euro vom Berliner Senat bezuschusst werden, sind im Vergleich dazu mickrig.

Die Vereine versuchen, auf den Trend zu reagieren

Dabei betreiben in der Hauptstadt der jüngsten „Sportstudie Berlin“ zufolge nur knapp über neun Prozent ihren Sport im Verein. Der große Rest bewegt sich außerhalb des Vereinssports. Knapp drei Viertel ihrer Sport- und Bewegungsaktivitäten organisieren die Berliner selbst, zehn Prozent nutzen gegen Bezahlung kommerzielle Einrichtungen. „Die einseitige Sportförderung der Vereine ist nicht mehr zeitgemäß und obendrein heuchlerisch“, sagt Spaetling. Er spielt auf das Sportförderungsgesetz des Landes Berlin an.

Danach ist es das Ziel, „langfristig niedrigschwellige, kostenlose Sport- und Bewegungsangebote durchzuführen“. Auch wird genannt, wer die Angebote durchführen soll: Der organisierte Sport, Vereine und Verbände. Der große Rest geht leer aus. Spaetling und seine Mitstreiter vom Verein Stadtbewegung haben sich deshalb mit anderen Vereinen und Organisationen im „Netzwerk Urbaner Sport Berlin“ zusammengeschlossen. Sie fordern, das Ungleichgewicht in der öffentlichen Sportbezuschussung zu ändern. Derzeit umfasst die kleine Bewegung 13 Initiativen, die nicht-kommerzielle, halborganisierte Bewegungsangebote im öffentlichen Raum anbieten. Aber sie wird wohl größer werden – genauso wie der Druck auf den organisierten Sport zunehmen dürfte.

Training für die Stimmbänder. Beim Sport im Park wird nicht nur geflüstert.
Training für die Stimmbänder. Beim Sport im Park wird nicht nur geflüstert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Das sieht auch Roman Eichler so. Der Wissenschaftler promovierte an der Universität in Oldenburg zum Thema Sport in urbanen Räumen. Eichler hat beobachtet, wie sich bei den Vereinen große Ratlosigkeit breitmachte, als der nicht-organisierte Sport aufkam. Vielen Vereinen brachen sukzessive die Mitglieder weg, noch frappierender war (und ist) der zunehmende Mangel an ehrenamtlichem Personal, an Abteilungsleitern, Trainern oder Kassenwarten – also an all den Menschen, die nötig sind, um einen Verein am Leben zu halten. Eichler hat aber auch gesehen, wie die Vereine Strategien entwickelt haben, um den Veränderungen zu begegnen. „Die Vereine haben Trends adaptiert“, erzählt er. „Plötzlich bieten sie vermehrt Sportarten wie Klettern, Bouldern, Yoga oder Skaten an, und auch die Mitgliedschaften sind flexibler, die Kündigungsfristen kürzer.“

Die Vereine versuchen gerade in den Großstädten, auf die Individualisierung und Diversifizierung zu reagieren. „Aber für viele Sporttreibende sind Angebote wie Skateboard im Sportverein nicht authentisch. Außerdem fehlt den Vereinen in diesen Sportarten oft das Know-how“, sagt Eichler. Trotzdem glaubt er nicht, dass der organisierte Sport in Deutschland am Ende ist. Dafür sprechen die öffentliche Förderung sowie der bloße Fakt, dass die Vereine Sportinfrastruktur nutzen können. Sportanlagen im Freien, Hallen, Bäder und so weiter.

Neue Investitionen in standardisierte Angebote in der Stadt sind geplant

„Der unorganisierte Sport wäre schon mit Beleuchtung, Toiletten oder Trinkbrunnen an den frequentierten öffentlichen Anlagen zufrieden“, sagt Verena Kupilas. Die Sportwissenschaftlerin setzt sich schon seit vielen Jahren für den kostenlosen Sport ein. Seit 2014 bildet sie sogenannte Kiez-Übungsleiter aus. Innerhalb weniger Wochen sollen diesen die Grundlagen für das Anleiten niedrigschwelliger Bewegungsangebote vermittelt werden. Rund 150 dieser Trainer gibt es bereits in Berlin. Tendenz steigend.

Doch der Zulauf zu den Sportangeboten in Parks und im öffentlichen Raum könnte mit besserer Infrastruktur noch größer sein. „Gerade Frauen ab 65 oder 70 kommen vielfach nicht zum Sport im Park, wenn es keine Toiletten gibt“, sagt Kupilas. Sie ist überzeugt: „Berlin ermöglicht einer großen Zahl potenziell Interessierten keinen Zugang zum Sport.“ Hürden wie Mitgliedschaften und Beiträge seien für bestimmte Zielgruppen oftmals zu hoch. „Leider gerade für die, die von mehr Bewegung gesundheitlich am meisten profitieren würden: Ältere Menschen und Menschen mit geringem Einkommen.“

Aber zumindest ein bisschen was tut sich in Berlin. Im nächsten Jahr soll das Landeskonzept „Berlin bewegt sich“ starten. Es sieht vor, in allen zwölf Bezirken standardisierte Angebote zur niedrigschwelligen Bewegungsförderung in öffentlich zugänglichen Parks einzurichten. So soll in Trimm-Dich-Pfade, Fitnessparcours oder Freiflächen für Kursangebote investiert werden. Wie viel das kosten soll, sagt der Senat bislang nicht. Doch es zeigt, dass es ein Umdenken auf politischer Ebene gibt. Das Thema Gesundheit drängt immer stärker auf die politische Agenda. Schließlich kann man damit auch Wähler gewinnen – das größte Potenzial hierfür gibt es bei den vielen unorganisierten Sportlern.

Tipps vom Trainer. Robin Spaetling gibt den Freizeitsportlern Ratschläge.
Tipps vom Trainer. Robin Spaetling gibt den Freizeitsportlern Ratschläge.

© Kitty Kleist-Heinrich

Für Verbände und Vereine sind das bedrohliche Entwicklungen. Die Anpassungen an die neuen Verhältnisse sind für sie nicht leicht zu meistern. Gerade in Berlin ist das gut zu beobachten. Dort nimmt die Einwohnerzahl stark zu und – trotz der zunehmenden Konkurrenz – auch die Zahl der Mitglieder im organisierten Sport. Doch es brechen die ehrenamtlichen Mitarbeiter weg, vor allem die Trainer. Beim Landessportbund Berlin sehen sie die neuen Kräfte im Freizeitsport daher als Gefahr. „Die Übungsleiter sind heiß begehrt“, sagt Anke Nöcker, Abteilungsleiterin für Sportentwicklung beim LSB. „Die kommerziellen Sportgruppen kommen an, bieten dem Trainer mehr Geld als im Verein und schwupps sind die Trainer weg. Das ist ein großes Problem für die Vereine.“ Man kann den Ärger darüber durchaus verstehen. Die Vereine geben Geld und Personal für die Trainerausbildung aus und verlieren diese dann an die Konkurrenz.

Niveau in vielen Sportarten sinkt

Der Verlust an Personal in den Vereinen ist auch mitursächlich für ein weiteres Problem: In vielen Sportarten sinkt das Niveau. Heiko Schilff ist Breitensportwart beim Berliner Leichtathletikverband und seit mehr als 30 Jahren Leichtathletiktrainer. „In der Leichtathletik ist seit 20 Jahren ein rapider Leistungsabfall zu beobachten“, sagt er. Die jüngere Generation lasse von Jahrgang zu Jahrgang stärker nach. „In einigen Disziplinen liegen bei den Vereins- oder gar Landesmeisterschaften die 40- bis 50-Jährigen gleichauf mit den 20- bis 30-Jährigen. In manchen sind die Älteren sogar besser“, erzählt er. „Vor zwanzig bis dreißig Jahren war das undenkbar.“ Als Beispiel nennt Schilff die Laufzeiten über zehn Kilometer bei den offenen Berlin-Brandenburgische Straßenlaufmeisterschaften im März dieses Jahres. Die Siegerin in der Klasse der 18- und 19-Jährigen kam in 43,34 Minuten ins Ziel – und war damit mehr als zwei Minuten langsamer als die Schnellste in der Klasse der 50- bis 55-Jährigen.

Schilff ist einer vom alten Schlag. Mit neuen Trends und Sportformen kann er nicht besonders viel anfangen. „Viele dieser neuen Gruppen wollen vor allem gesehen werden. Aber sie haben keinen Leistungsanspruch, sie kommen nicht aus der Komfortzone heraus“, sagt der 60-Jährige: „Sie wollen sich nicht mehr quälen.“

Vermutlich liegt genau darin der Ursprung der Revolution, die den Sport erfasst hat.

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