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Vom Botschafter zum Chef. Philipp Lahm wird die EM 2024 organisieren.

© Sören Stache/dpa

Der DFB und die EM 2024: Neues Spiel, neues Glück

Bis zuletzt haben sie gezittert. Um die EM, um noch viel mehr. Jetzt darf Deutschland die EM 2024 ausrichten. Und der DFB muss eine alte Liebe beleben.

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Die Erleichterung ist groß und schwer, sie misst knapp zwei Meter und wiegt gut zwei Zentner. Die Erleichterung trägt einen dunkelblauen Anzug und heißt Reinhard Grindel. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ballt die Faust, er fällt erst dem kleinen Philipp Lahm um den Hals und dann der zierlichen Celia Sasic. Vorn auf der Bühne haben Scheinwerfer gerade den Zettel mit der Aufschrift „Germany“ ausgeleuchtet. Die letzten Zweifel sind beseitigt: Deutschland darf im Jahr 2024 die Fußball-Europameisterschaft ausrichten.

2006 erlebte Deutschland ein Sommermärchen, auch das nächste Turnier auf deutschem Boden soll nach dem Willen des DFB ein großes Fest werden, so verspricht es Philipp Lahm, der frühere Nationalspieler und künftige Vorsitzende des Organisationskomitees. Und doch kann von Unbeschwertheit keine Rede sein: Präsident Grindel steht in der Kritik und mit ihm der ganze Verband. Fans laufen Sturm gegen Kommerzialisierung, die Liebe der Deutschen zu ihrem liebsten Spiel hat einen Knacks bekommen. In den sechs Jahren bis zum Eröffnungsspiel wird es für Grindel und Lahm auch darum gehen, diese Liebe wiederzubeleben.

Ein Anfang wird an diesem prächtigen Spätsommertag im schweizerischen Nyon gemacht. Auf den Tag genau drei Monate nach der 0:2-Niederlage gegen Südkorea und dem historischen Aus bei der WM in Russland feiert der deutsche Fußball mal wieder einen prestigeträchtigen Sieg, er fällt mit 12:4 Stimmen gegen die Türkei überraschend deutlich aus.

"Ich spüre Verantwortung"

Beinahe leichtfüßig springt der große, schwere Grindel auf die Bühne, er greift sich das Mikrofon und bittet erstmal um Verständnis dafür, „dass ich diese Rede auf Deutsch halte, aber es schauen gerade so viele Leute in Deutschland zu“. Dann verspricht er, dass „wir ab morgen alles dafür tun, den Erwartungen gerecht zu werden. Ich spüre Verantwortung. Wir wissen, was dieses Turnier bedeutet.“

Für den deutschen Fußball, vor allem aber für ihn persönlich. Ein Zuschlag an den Mitbewerber Türkei wäre peinlich gewesen für den DFB und existenzgefährdend für den Präsidenten. Vielleicht hätte er noch an Ort und Stelle, in der Zentrale des europäischen Fußballverbandes Uefa, seinen Rückzug erklärt.

Zur Mittagsstunde fährt die deutsche Delegation mit sechs schwarzen Kleinbussen vor. Die Uefa-Zentrale liegt pittoresk direkt am Genfer See. Und weil die Sonne scheint und das Wasser so schön glitzert, zieht es die Deutschen erst einmal auf die Dachterrasse. Auch Rudi Völler schlendert auf und ab, er wirkt ein wenig nervös vor der finalen Präsentation. Das Los hat ergeben, dass die Deutschen zuerst auf die Bühne müssen, um ihren Werbefilm zu zeigen. Zur anschließenden Fragerunde stellen sich Bewerbungschef Markus Stenger, EM-Botschafter Philipp Lahm, die frühere Nationalspielerin Celia Sasic, der DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius und Bundestrainer Joachim Löw.

Um kurz vor drei wird es ernst. Perfekt orchestriert schreitet die deutsche Delegation zur Verkündung der Entscheidung. In Zweiergruppen gehen sie die Treppe herunter, voran Lahm und Grindel. Lahm biegt als Erster in Richtung Auditorium ab, er ist der Anführer. Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, setzt sich hinter seinen früheren Spieler Lahm und flüstert ihm etwas ins Ohr. Alle wirken locker und gelassen.

Ein neues Gesicht, frisch und unverbraucht

Nur mit Reinhard Grindel mag keiner reden und scherzen. Der DFB-Präsident faltet die Hände vor seinem Kinn zusammen und starrt nach vorn auf die Bühne. Dort läuft ein Filmchen mit den Höhepunkten früherer Europameisterschaften. Rummenigge freut sich über den deutschen Sieg 1972, der Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff lächelt beim Finaltor von 1996, er hat es selbst erzielt. Als das verlorene Endspiel 2008 gegen Spanien eingespielt wird, mit Philipp Lahm, der das entscheidende Laufduell gegen Fernando Torres verliert, da kommt Leben in Reinhard Grindel. Er stupst den neben ihm sitzenden Lahm an, der nickt und lächelt kurz zurück.

Philipp Lahm ist das Gesicht der deutschen Bewerbung. Ein frisches und unverbrauchtes Gesicht, das fällt im Vergleich mit dem angespannten Grindel besonders auf. Lahm hat kein Abitur gemacht und auch nicht studiert. Aber er plant alles ganz genau. Seine gesamte Karriere verläuft wie am Reißbrett entworfen. Zunächst seinen Abstecher zum VfB Stuttgart, weil er mit 18 in München noch keinen Stammplatz beanspruchen kann. Dann zurück zum FC Bayern, mit dem er alles gewinnt, Meisterschaft, Pokal, Champions League.

Die Nationalmannschaft führt er 2014 in Brasilien zum Gewinn der Weltmeisterschaft. Der Fußballspieler Lahm flucht nicht auf dem Platz, er hat keine Tattoos und er kleidet sich abseits des Stadions nicht in Bling-Bling-Outfits. Im Frühling 2017 beendet er seine aktive Karriere und erfindet sich neu als Unternehmer. Lahm investiert in allerlei Firmen und Start-ups. Er tritt den Job als EM-Botschafter an und wird jetzt, mit gerade 34 Jahren, Chef des Organisationskomitees.

Ein Uefa-Mann sagt den Deutschen: „Lahm ist euer neuer Beckenbauer“, es ist als Kompliment gemeint.

Kapitäne. Philipp Lahm (r.) ist nun wichtigster Mitarbeiter von DFB-Chef Reinhard Grindel.
Kapitäne. Philipp Lahm (r.) ist nun wichtigster Mitarbeiter von DFB-Chef Reinhard Grindel.

© Harold Cunningham/Getty/dpa

Um kurz nach drei wird in Nyon der Umschlag auf die Bühne gebracht, und jetzt ist auch Philipp Lahm die Anspannung anzumerken. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und schaut nach vorn zu Aleksander Ceferin. Der Uefa-Präsident zerrt an dem großen Umschlag herum, und als er sich immer noch nicht öffnen lässt, zerreißt er ihn. Ceferin faltet ein weißes Blatt auseinander, schaut ins Auditorium und sagt: „The host oft the Euro 2024 is ... Germany!“

Grindel ballt die Faust und herzt die Kollegen neben sich, springt nach vorn und hält seine Rede. Danach spricht Philipp Lahm, lässig, die linke Hand in der Anzugtasche. Als er vor den Kameras auftaucht und beglückwünscht wird, entgegnet er: „Ebenso herzlichen Glückwunsch.“

Der Bundestrainer, abgewiesen wie ein Groupie

Ein paar Reihen weiter hinten steht Joachim Löw, der Bundestrainer. Für ihn ist es endlich mal wieder ein schöner Tag. Nach dem Desaster bei der EM im Sommer, der über Monate wabernden Debatte über seine Tauglichkeit als Bundestrainer und, ganz frisch, der Demütigung in London. Als Löw am Montag ein Gespräch mit dem früheren Nationalspieler Mesut Özil führen wollte und gar nicht erst auf das Trainingsgelände des FC Arsenal gelassen wurde, abgewiesen wie ein Groupie auf der Jagd nach einem Trikot oder Autogramm.

Die Causa Özil ist, nicht nur, in der Türkei von viel Häme begleitet worden, sie steht genauso für Löws fallenden Stern wie für das fehlende Geschick seines Vorgesetzten. DFB-Präsident Reinhard Grindel ist das Gesicht des deutschen Misserfolgs der jüngeren Vergangenheit. Er hat erst den noch bis 2020 laufenden Vertrag mit Löw vor der WM ohne Not um zwei weitere Jahre verlängert und dann in der Handhabung der Affäre um das gemeinsame Foto von Özil mit Erdogan so viele Fehler begangen, dass der DFB, ja halb Deutschland, eine Zeit lang als Ansammlung ewig gestriger Rassisten dastand.

Auch im Schlussspurt der Bewerbung hat Grindel Fehler gemacht, zum Beispiel mit seiner via E-Mails dokumentierten Anweisung, ein Länderspiel von Frankfurt nach Sinsheim zu verlegen, weil dort weniger kritische Fans zu erwarten seien, die der Uefa-Exekutive den Spaß an einer EM in Deutschland nehmen könnten.

Das abschreckende Beispiel Katar

All das hatte Zweifel genährt. Zweifel an der Qualität und an den Erfolgsaussichten der deutschen Bewerbung, beschädigt durch Grindels diplomatische Tollpatschigkeit, und dann war da ja noch der intransparente Vergabemodus. Großveranstaltungen werden im dritten Jahrtausend nicht allein nach sportlichen Kriterien vergeben.

Die Entscheider lassen zwar vor ihren Abstimmungen bunte und dicke Kataloge über die Tauglichkeit der jeweiligen Kandidaten anfertigen, aber darin blättern die meisten nur, wenn gerade eine Kamera in der Nähe ist, wenn überhaupt. Ein schönes Beispiel dafür ist das Emirat Katar, das trotz einer als mangelhaft eingestuften Bewerbung in vier Jahren die nächste Fußball-WM ausrichten darf. In der Wüste gibt es keine Fußball-Tradition, keine Fans. Es gibt nur Sand und Geld, beides reichlich, und man darf wohl davon ausgehen, dass der Sand die Fifa-Exekutive nicht besonders interessiert hat.

Auch das deutsche Sommermärchen von 2006 steht unter schwerem Bakschisch-Verdacht, was zum einen unangenehm für den Fußballkaiser a.D. Franz Beckenbauer ist und zum anderen wenig förderlich für die deutsche EM-Bewerbung war. Der unter erhöhtem Korruptionsverdacht stehende DFB musste sich penibel an die Spielregeln halten, durfte die ethischen Grenzen nicht einmal austesten. Dass es am Ende dennoch zu einem so deutlichen Sieg über die so demonstrativ optimistischen Türken reicht, kommt schon ein wenig überraschend.

Viermal EM, zweimal Olympia - alles vergebens

Es fügt sich in die Symbolik dieses Nachmittags, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Niederlage gegen die ungeliebten Deutschen vor einem Fernseher in Berlin miterleben muss. Für Erdogan ist die Abstimmungsniederlage von Nyon ein persönlicher Rückschlag. Erdogan hat früher selbst Fußball gespielt und das so gut, dass er auf dem Platz angeblich den Ehrennamen „Imam Beckenbauer“ trug. Im Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa ist ein Stadion nach ihm benannt. Seitdem er der Türkischen Republik vorsteht, arbeitet er daran, ihr Renommee durch die Ausrichtung einer Großveranstaltung aufzubessern. Zweimal hat er sich um Olympische Spiele bemüht und am Donnerstag nun zum vierten mal um eine Fußball-Europameisterschaft. Immer vergebens. Uefa-Insider äußerten im Hintergrund, die wirtschaftlichen Risiken in der Türkei seien den Wahlleuten einfach zu groß gewesen. Die abgestürzte Lira und die unsichere Situation rund um Erdogan ließen einige Wahlleute offenbar von der Türkei abrücken.

Im Vergleich dazu scheinen der DFB und die chaotischen Wochen seit der WM für die europäischen Fußballfunktionäre immer noch wie ein Ausbund an Stabilität zu wirken.

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