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Frank-Walter Steinmeier verabschiedete etwa 50 deutsche Paralympics-Teilnehmende am Flughafen in Frankfurt. Hier der Check mit der 17 Jahre alten Merle Menje.

© dpa

Der Bundespräsident schaut Paralympics: Frank-Walter Steinmeier: „Ich mag Goalball“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über seine Erfahrungen als Fußballer, die Bedeutung der Paralympics und eine Gesellschaft ohne Vorurteile.

Herr Bundespräsident, in den letzten Jahren sieht man Sie eher an Gipfelkreuzen als auf dem Fußballplatz. Gleichwohl: Ihre sportliche Vergangenheit ist der Fußball, und Ihrem Heimatverein TuS 08 Brakelsiek sind Sie bis heute treu geblieben. Auf welcher Position haben Sie damals gespielt?

Angefangen habe ich in der Verteidigung, Vorstopper nannte man das damals, später bin ich ins Mittelfeld gewechselt – der 6er mit der großen Lunge.

Was macht der Bundespräsident Steinmeier heute in seiner Amtsauslegung so, wie es der Fußballer Steinmeier damals auf dem Platz schon machte?

Die Aufgabe hat sich nicht verändert (lacht): das Spiel am Laufen halten, Verbindungen herstellen und langen Atem haben.

Sport gilt als verbindendes Element zwischen den Menschen, zwischen den Gesellschaftsschichten, zwischen den Völkern. Ist denn Sport oft Thema unter Politikern und Politikerinnen, wenn Sie zum Beispiel auf andere Staatsoberhäupter treffen?

Anfang Juli, also genau während der EM, hatte ich die deutschsprachigen Staatsoberhäupter in Potsdam zu Gast. Und an dem Abend, als die Schweiz gegen Frankreich so spektakulär nach Verlängerung und Elfmeterschießen gewonnen hat, da war mein Schweizer Kollege ganz aus dem Häuschen, und wir alle haben mit ihm gefiebert. Auch beim Besuch des niederländischen Königs Willem-Alexander war Sport Thema. Zu dem Zeitpunkt waren allerdings sowohl die Niederlande als auch Deutschland leider schon bei der EM ausgeschieden. Also haben wir uns über unsere Lieblingsvereine unterhalten. Dabei ist Ajax Amsterdam, der Verein von König Willem, gerade etwas erfolgreicher als „mein“ Verein, Schalke 04.

Wer ist der am meisten sportbegeisterte Politiker, den/die Sie kennen – und warum?

Jean Asselborn. Der luxemburgische Außenminister fährt jeden Sommer einige Alpen-Etappen der Tour de France nach – einschließlich Mont Ventoux. Beeindruckend.

Wie patriotisch und leidenschaftlich sind Sie, wenn Sie mit Politiker/innen aus dem Ausland gemeinsam bei einem Sportevent sind?

Selbst die größten Mutilateralisten feuern bei internationalen Wettbewerben die eigenen Sportlerinnen und Sportler an. Ich auch.

Gestern starteten die Paralympics. Wird man Sie in den kommenden zwei Wochen in Tokio sehen?

Nein, leider nicht. Ich wollte die Paralympischen Spiele gerne besuchen, aber die Pandemie hat es unmöglich gemacht. Die japanischen Organisatoren sind zu Recht sehr vorsichtig und halten den Kreis der Beteiligten klein. Ich hoffe sehr, dass die Maßnahmen greifen – vor allem im Sinne jener Länder, die Athletinnen und Athleten nach Japan entsandt haben und im eigenen Land noch nicht über ausreichende Impfmöglichkeiten verfügen. Ich habe mir aber fest vorgenommen, einige der Wettkämpfe im Fernsehen zu gucken.

Welche werden das sein?

Ich mag zum Beispiel Fechten und Goalball, aber in jeder Sportart kann es irgendwann so spannend werden, dass ich es verfolgen möchte.

Sie setzen sich in Ihrer Funktion als Bundespräsident auch für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen ein und haben oft mit dem Thema zu tun. Überwiegen dabei die beeindruckenden Begegnungen oder die bedrückenden?

Bei den Terminen, die ich mit Menschen mit Beeinträchtigungen habe, überwiegen die beeindruckenden Begegnungen. Ich treffe viele Menschen mit unglaublich viel positiver Kraft und Durchhaltevermögen. Aber natürlich spiegelt die Situation „Besuch beim Bundespräsidenten“ nicht die ganze Realität wider. Die langen Phasen der Verzweiflung, des Erlernens oder Wiedererlernens von Alltagsfähigkeiten, die Mutlosigkeit – all das sehe ich bei meinen Treffen eher selten. Dennoch habe ich den Eindruck, dass viele Menschen mit Beeinträchtigungen ihr Leben mit einer beeindruckend positiven Einstellung angehen.

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In einem Talk kürzlich bei Instagram sprachen Sie mit Raul Krauthausen über Solidarität und Hilfsbereitschaft zu Beginn der Corona-Pandemie und fragten den Inklusions-Aktivisten, ob es aus dieser Zeit „soziale Innovationen“ gebe, die wir uns als Gesellschaft bewahren müssten für die Zukunft. Wie beantworten Sie selbst diese Frage?

Ich habe die Hoffnung, dass wir aus den Erfahrungen der Pandemie lernen. Und soziale Innovationen insofern erreichen, als dass sich Haltungen verändern und wir in einigen Bereichen auch notwendige Kurskorrekturen vornehmen. Das betrifft zum Beispiel bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, die erfolgreiche Digitalisierung der Bildung und auch, mehr zu tun gegen die Folgen des Klimawandels. In der Pandemie haben wir festgestellt, wie dringend der Handlungsbedarf in diesen unterschiedlichen Bereichen ist. Diese Erfahrungen müssen unser künftiges Handeln leiten.

Welche Vision haben Sie, wie man als Gesellschaft Vorurteile, Diskriminierung und Ausgrenzung ganz abbauen – und Inklusion wirklich leben kann?

Das beste Mittel dazu ist meiner Meinung nach frühkindliche Bildung, die Wissen ebenso wie Einfühlungsvermögen vermittelt. Es hilft, wenn Kinder schon früh in Kita und Schule mit Gleichaltrigen lernen, die ein Handicap haben. So wird das Zusammenleben selbstverständlicher und das Auge wird geschult für die Lage des anderen. Der Weg in eine Gesellschaft ohne Vorurteile ist lang. Aber mit Wissen, Bildung, Kommunikation, sozialen Fähigkeiten und vor allem Einfühlungsvermögen können wir weit kommen.

Welchen Einfluss kann dabei der Sport haben – Veranstaltungen wie die Paralympics oder die Special Olympics, deren Veranstaltervertrag zu den Spielen 2023 in Berlin bei Ihnen im Schloss Bellevue unterzeichnet wurde?

Diese Spiele können – auf ganz unterschiedlichen Ebenen – Menschen in Kontakt bringen. Sportlerinnen und Sportler miteinander, dazu noch mit Zuschauerinnen und Zuschauern, aber natürlich auch die Zuschauer untereinander. Das macht die Spiele so wertvoll. Sich kennenzulernen ist einfach ein Gewinn. Gegenüber Menschen, die man kennt, braucht man keine Vorurteile zu haben, denn diese werden durch Wissen übereinander und Verständnis füreinander ersetzt.

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Sie gelten als großer Fan des Schulsport-Events „Jugend trainiert“. Beim Bundesfinale werden die olympischen und paralympischen Wettbewerbe seit einigen Jahren zur selben Zeit und am selben Ort ausgetragen. Welchen Effekt beobachten Sie dabei auf die Schülerinnen und Schüler? Was kann unsere Gesellschaft davon lernen?

In der Tat habe ich gern die Tradition meiner Amtsvorgänger übernommen und damit auch die Schirmherrschaft für diesen Wettbewerb. Ich war 2019 bei der Abschlussveranstaltung des Herbstfinales und erinnere mich an die vielen Schülerinnen und Schüler, die mit großer Begeisterung bei der Sache waren. Die beiden Bundesfinalwettbewerbe zusammenzulegen, finde ich eine gute Idee. Mir gefällt der Gedanke dahinter, dass Jugendliche mit und ohne Behinderungen dadurch unkomplizierte, unbelastete Begegnungsmöglichkeiten und Spaß miteinander haben. Wenn wir etwas für unsere Gesellschaft daraus lernen können, dann ist es vielleicht das: unkomplizierte Begegnungsmöglichkeiten für Menschen – jeder Altersstufe – schaffen, ohne die Begegnungen mit Erwartungen zu überlasten.

Herr Bundespräsident, welche Nachricht wäre Ihnen zum Abschluss der Paralympics lieber: „Alle Goldmedaillen an Deutschland“ oder „Kein Corona-Fall bei den Spielen“?

„Alle Goldmedaillen an Deutschland“ wäre ja langweilig. Ich drücke die Daumen für die Nachricht „Kein Corona-Fall bei den Spielen“. Allerdings gehe ich schon davon aus, dass es im Umfeld der Spiele doch einzelne Fälle geben wird. Ich wünsche mir realistischerweise, dass es keine Corona-Verbreitung durch die Spiele gibt, weder in die japanische Bevölkerung noch in andere Länder der Welt.

Dieses Interview ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier.

PZ-Redaktionsteam

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