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Sport: Der allerletzte Pass

Abschied und Trauer sind im Fußball ebenso bedeutsam wie Anpfiff und Jubel. Ein neues Buch versammelt Heldendenkmäler und -gräber / Ein Vorabdruck

Wenn eine Kultur in ihre besten Jahre gekommen ist, reklamiert sie ihr Recht auf ein öffentliches Nachleben, und es wird gastlich auf dem Friedhof. Dies ist die Zeit ihrer Hochreife: Der Betrieb läuft weiter, zukunftssicher und unter reger Anteilnahme des Publikums, aber auch Denk- und Grabmäler bringt sie schon hervor, die verflossene Vitalkraft bezeugen. Auf solchen Höhen spielt jetzt der Fußball.

Ja, der Friedhof ist im Kommen, und das ist schön für den Fußballfreund, denn „der Friedhof ist ein Vorspiel zum Paradies“, wie der Lyriker Tudor Arghezi sagt, der vielleicht ein wenig übertreibt, aber die Verlängerung der Offensive mit anderen Mitteln ist der Grabstein. Fritz Walter hat sein Ehrenspielführergrab und auch Helmut Rahn inzwischen sein Denkmal. Selbst die Jüngeren denken schon daran: „Wenn man auf meinen Grabstein eines Tages nur ,Hamburg 74’ schreibt, weiß jeder, wer drunter liegt“ (Jürgen Sparwasser natürlich), und die Fans haben sowieso keine Berührungsängste: „Begrabt uns neben Felix Magath“, forderten sie kürzlich auf den Rängen bei einem Höhenflug der ihren. Am liebsten wären sie mitsamt ihrem Trainer auf der Stelle gestorben, was nicht verwunderlich ist: Weil im Fußball alles noch viel weniger von Dauer ist, wächst Aktualitätstaumel sich rasch zum Ewigkeitsverlangen aus. Erfüllbar ist es in dieser Welt nicht – wo, wenn nicht im Fußball, würde man ständig neu darauf gestoßen?

Es ist darum auch schwer zu begreifen, wie manche Leute darauf kommen, die Fußballbegeisterung als Flucht vor dem Lebensernst zu werten. Nicht dass die Gemeinde nicht gern mal wegträte und vorbeischaute: „Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen“, heißt das sehr schöne Buch von Christoph Biermann über die Welt des Fußballfans, nur – wer um Himmels willen käme je auf die Schnapsidee, an so einem Tag in die Grube fahren zu wollen? Außerdem liegt Walter Benjamin ja durchaus richtig: „Produktion der Leiche ist, vom Tode her betrachtet, das Leben.“ Weil es aber keiner aushält, ständig auf diese eine Wahrheit zu starren, macht der Mensch in Kunst: „Schein dessen, woran der Tod nicht heranreicht“, nennt sie Adorno, der Philosoph. Oder er geht eben zum Fußball: „Manche tun so, als ginge es im Fußball um Leben oder Tod. Dabei geht es um viel mehr“, sagt Shankley, der Trainer.

Recht haben beide – der Mann aus Liverpool allerdings nur für die Spielidee, die zum Tod hin abgedichtet ist. Ansonsten aber ist Freund Hein höchst lebendig in der Fußballkultur, wovon Schweigeminute, Trauerkundgebungen, die großen Todesfälle samt Heiligenlegenden und Totenkult zeugen. Der Fan trägt gern zu Grabe, der sterbende Schwan weiß ein Lied von seinem Sprachschatz zu singen, und was Habitus, Gestik, Rhetorik angeht, nehmen wir ein Beispiel: „Als meine Eltern beerdigt wurden, da habe ich nicht geweint. Aber nach dem Spiel in Bern, da schon“, sagt Jenö Buzánszky, einer der ungarischen Verlierer, und wirklich: Abschied und Trauer sind im Fußball ebenso bedeutsam wie Anpfiff und Jubel, wenn auch dank des dynamischen Prinzips, das den Fußball beherrscht, kein Grund, Trübsal zu blasen. „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, der Fan weiß genau, was die Herberger-Formel bedeutet, nämlich dreierlei: Drohung, Trost und Verheißung.

Und dann erst der Friedhof: Wie allgemein bekannt ist, sterben von 1000 Fußballverrückten über kurz oder lang genau 1000, Trainer, Aktive, Fans, einer wie der andere. Doch manche der Gewesenen, die mit Heldengräbern geeehrt werden, zeigen nichtseiend mehr fußballerischen Einsatz als Hunderte der so genannten Aktiven, die uns allspieltäglich zugemutet werden, nehmen wir mal nur die Profis – mal ehrlich: ein gutes Viertel sind nach Happel’schen Maßstäben doch Ministranten! Der Fan, der es von jeher schwer hat, weiß das nur zu gut, und sinnt daher dauernd auf Linderungsmittel. Die einen machen sich ihre Vorstellung selbst auf den Tribünen, andere versüßen sich allfällige Bolzereien vorbeugend mit reichlich Bier, viele helfen sich aber auch mit einem Blick in die Fußball-Historie, aber eben auch diverse Grabmäler: genau das ist hier der Punkt: „Nur der Tod scheint Depressionen verjagen, Friedenssehnsüchte erfüllen zu können“, schreibt Toni Schumacher in einem Buch, das zeigt, wie das auch mit Fußball ganz gut geht. Zum Fußball gehört aber auch des Fußballers Grabmal – es ist sein allerletzter Pass, Zeugnis seiner Abschlussstärke! Fußballverrückte sind vielleicht noch mehr als andere Menschen empfänglich für die Aura der Farben, Embleme und Namen – daher auch der Grabmäler. Im Grunde ihres Herzens huldigen sie einer Ästhetik des Verschwindens. Täten sie es nicht, sie würden am Fußball nicht viel finden können.

Aus: „Der letzte Pass. Fußballzauber in Friedhofswelten – Zuschauer erwünscht“, erscheint im Verlag Die Werkstatt.

Peter Cardorff (Text), Conny Böttger (Foto

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