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Einseitige Beschallung. Nach der momentanen Bestimmung der DFL ist in der Alten Försterei nur die Haupttribüne mit den Sitzschalen für Zuschauer offen.

© Hannibal/dpa

Der 1. FC Union und die Zuschauerfrage: Kampf um jeden Fan

Dass der 1. FC Union das Zuschauerkonzept der DFL ablehnt, hat mehr als Imagegründe: Ohne die Heimkulisse wäre der Klub kaum erstklassig.

Wie es so ist, vor nur einigen Hundert Zuschauern zu spielen, durfte der 1. FC Union am Samstagnachmittag zum ersten Mal erfahren. Im Cottbuser Stadion der Freundschaft schauten 800 Fans zu, als Union gegen Energie (3:1) das erste Testspiel der Vorbereitung bestritt. In Brandenburg sind ja schon Großveranstaltungen von bis zu 1000 Menschen erlaubt.

An solch niedrige Zahlen von Zuschauern wird sich Union in den kommenden Monaten wohl gewöhnen müssen. Laut dem vergangene Woche von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) vereinbarten Konzept zur Teilzulassung von Zuschauern würden aufgrund des Stehplatzverbots wohl nur ein- bis zweitausend Zuschauer ins Stadion der Alten Försterei hineinpassen. Union selbst hatte vor einem Monat noch das volle Stadion als Ziel ausgesprochen.

Entsprechend genervt zeigte sich Unions Präsident Dirk Zingler. Union sei mit dem Vorgehen der DFL „grundsätzlich nicht einverstanden“, erklärte er in einem Schreiben an die Mitglieder am Dienstag. Im Vier-Säulen-Plan der DFL haben die Köpenicker auch gegen die Beschlüsse zu Alkohol und Gästefans gestimmt – gewurmt hat aber vor allem das Stehplatzverbot. „Das Stadionerlebnis in unserem Stadion An der Alten Försterei, für das Stehplätze unverzichtbar sind, betrachten wir als Kern unseres Daseins als Unioner“, schrieb Zingler.

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Viele werden dieses Aufbegehren als „typisch Union“ abgewunken haben. Als Ausdruck der Wagenburg-Mentalität, die auch der Selbstvermarktung als Verein, der immer „dagegen“ ist, dienen soll. Ähnliche Kritik gab es im Juli, als Union sein umstrittenes Vorhaben offiziell ankündigte. Dabei gibt es für Union nun triftige Gründe, den DFL-Plan schlecht zu finden. Während Vereine wie Borussia Dortmund nun auf bis zu 10 000 Fans hoffen können, muss Union sich fragen, ob es sich finanziell überhaupt lohnt, nur ein paar Tausend Zuschauer wieder hereinzulassen.

Auch sportlich sieht man ohne volle Ränge die in den vergangenen Saisons so wichtige Heimstärke in Gefahr. „Das trifft uns schon hart“, sagte Mittelfeldspieler Christian Gentner vergangenes Wochenende zum Stehplatzverbot. Er wisse aus eigener Erfahrung, wie schwer es sei, „als Gegenspieler in der vollen Alten Försterei zu spielen“.

Für die Spieler sollten aber auch die leeren Ränge ein Ansporn sein, den Klassenerhalt in der kommenden Saison erneut zu schaffen. „Wir wollen hier eine Saison haben, wo die Alte Försterei ein ganzes Jahr Bundesliga erlebt. Daran arbeiten wir gerade“, sagte Unions Geschäftsführer Sport Oliver Ruhnert am Freitag. An dem eigenen Konzept arbeitet Union also trotzdem weiter. Schon am ersten Spieltag vor vollen Rängen zu spielen, war ja ohnehin eher Wunschdenken; bereits Ende Juni sprach Vereinssprecher Christian Arbeit von „möglichen Kompromisslösungen“.

Dass man aber auch bei einem Kompromiss mit Gegenwind rechnet, war Zinglers Schreiben an die Mitglieder anzumerken. Man wolle Lösungen finden, „ohne notwendige Ressourcen, wie beispielsweise Testkapazitäten, anderen wichtigen Bereichen der Gesellschaft zu entziehen“, schrieb er. Eine Erklärung, wie man das vermeiden will, steht noch aus.

Da muss man vor allem noch die Politik überzeugen. Denn egal, wie das Konzept am Ende aussieht, wird alles vom grünen Licht der Behörden abhängen. Zumindest auf Bundesebene gibt es noch wenig Begeisterung für Unions Vorschlag. Gesundheitsminister Jens Spahn, der den Klub schon am Anfang der Pandemie kritisiert hatte, äußerte sich am Donnerstag erneut skeptisch. „Die Testkapazitäten seien nicht für „das Ermöglichen von Zuschauern bei Bundesliga-Spielen“ da, sagte er. „Wir brauchen sie für den Schutz des Gesundheitswesens und der Patienten.“

Ohne Stehplätze geht es für Union einfach nicht

Und jenseits der moralischen Frage stellt sich auch die finanzielle. Billig wird es nicht, im Zwei-Wochen-Takt 20 000 Corona-Tests zu organisieren. Ob diese Kosten nur durch die zurückgewonnenen Spieltagserlöse zu decken sind, bleibt fraglich. Angeblich soll Union in Gesprächen mit einem möglichen Sponsor sein, der die Differenz zahlen würde. Immerhin hat der Verein nach dem DFL-Beschluss noch zwei Monate, um solche Details zu klären und das Konzept zu raffinieren. Bis dahin bleibt der Traum vom vollen Stadion eher ein innenpolitisches Anliegen. Dass überhaupt daran gearbeitet wird, ist eine Botschaft an die eigenen Mitglieder. Sogar bei den Anhängern, die ohne Impfstoff nie ins Stadion gehen würden, kommt es gut an.

Auch in Sachen Selbstvermarktung war es für Union nie ein bloßer Zweck, einfach nur dagegen zu sein. Viel wichtiger für die Image-Pflege war es, dass man sich als Verein für die Interessen seiner Fans einsetzt. Jene Fannähe ist jedenfalls unter den neuen Mitgliedern – Symptom und Ursache zugleich von Unions rasantem Wachstum in den letzten Jahren – ein oft erwähnter Grund, warum sie sich dem Klub angeschlossen haben. Insofern macht es Sinn, sich über das Stehplatz- und Alkoholverbot aufzuregen.

Denn ohne Stehplätze, Alkohol und Fannähe wäre Union wohl nicht in der Bundesliga. Blöd ist nur, dass man gerade in der Bundesliga auf all das verzichten muss.

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