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Bedingungsloses Festhalten. Das deutsche Bild der WM zeigt Joachim Löw in Sotschi.

© dpa

Das Jahr der Nationalmannschaft: Joachim Löw und der schöne Schein

Joachim Löw und der DFB sind die Verlierer des Jahres. Trotzdem haben sie fast nichts an ihrer Arbeit verändert. Eine Analyse.

Die Fußballweltmeisterschaft in diesem Sommer in Russland war schön. Sie lieferte tolle Spiele, wunderbare Emotionen und selten schöne Bilder. Bilder, die mehr sagen als tausend Worte. Ein solches Bild gibt es auch von Bundestrainer Joachim Löw. Es ist nicht irgendein Bild. Es ist das deutsche WM-Bild. In die Geschichte des deutschen Fußballs ist es als sogenanntes Laternen-Bild eingegangen. Entstanden ist es nach der schockierenden Auftaktniederlage der Deutschen gegen Mexiko. In Sotschi – die Deutschen waren gerade angereist, um sich auf ihr möglicherweise schon entscheidendes zweites Spiel gegen Schweden vorzubereiten – blinzelte Löw mit Sonnenbrille, lässig an einer Laterne lehnend, übers Schwarze Meer.

Die deutsche Fußballseele war in Aufruhr. Alle hatten gesehen, wie tatenlos, ja wie hilflos der Bundestrainer am Spielfeldrand saß und stand, als seine Elf von den Mexikanern vorgeführt wurde. Und während die Spieler das versemmelte Spiel irgendwie zu erklären und die drohende Krise zu managen versuchten, ging Löw am Wasser spazieren und posierte auf der Promenade. Es gibt kein anderes Bild, das Löws Entrücktheit in diesem WM-Sommer hätte besser dokumentieren können. Es war, als lebte Löw in den Tag hinein. Als Weltmeistertrainer müsse er niemandem mehr etwas beweisen. Diesen Habitus trug er wie eine Monstranz vor sich her. Er mache nur noch, was er will und wann er will, war aus seinem Umfeld schon während der laschen Vorbereitung auf die WM zu hören gewesen. Vor allem aber machte Löw nicht mehr das, wofür er angestellt war. Löw hatte aufgehört, Trainer zu sein. Er wirkte selbstzufrieden und selbstgefällig. Und so spielte seine Mannschaft auch.

Kurz vor der WM verlängerte der DFB den Vertrag mit Löw bis 2022

Neulich kam Joachim Löw noch einmal auf die trüben WM-Tage zu sprechen. Neues oder gar Erhellendes wusste der Schwarzwälder im Aktuellen Sportstudio nicht zu erzählen. Dafür ließ der 58-Jährige wissen, dass er sich vorstellen könne, noch einmal als Vereinstrainer zu arbeiten. Große Güte, werden viele gedacht haben. Löw kokettierte mit Real Madrid. Eine Nummer kleiner geht es für Löw anscheinend nicht. Nicht mehr. Vor seiner Tätigkeit beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) hatte er mit seinen Klubs – sagen wir – recht wechselhaften Erfolg. Als Teamchef Jürgen Klinsmann ihn im Sommer 2004 zu seinem Assistenten berief, war Löw gerade beschäftigungslos. Nach einem Dutzend Jahren beim Verband können sich immer weniger Fußballfans Löw noch als Vereinstrainer vorstellen. Anders die DFB-Spitze um Reinhard Grindel.

Kurz vor der WM verlängerte der Verbandspräsident den ohnehin bis 2020 laufenden Vertrag mit dem Bundestrainer bis 2022. Aus angeblicher Angst, Löw womöglich nach einer erfolgreichen Titelverteidigung in Russland an einen Top- Klub verlieren zu können. Man muss sich so viel Naivität mal vorstellen, oder soll man Ahnungslosigkeit sagen? Vielleicht hat die Verbandsspitze sich Löw auch nur zum Vorbild genommen. Der Bundestrainer hatte in der WM-Vorbereitung das Leistungsprinzip im großen Stil außer Kraft gesetzt und beim Turnier letztlich nach Namen und Verdiensten (Neuer, Boateng, Hummels, Müller, Khedira) aufgestellt. Um die gezeigten Leistungen und abgelieferten Ergebnisse kann es dem DFB bei Löw nicht gegangen sein.

Gleich nach dem WM-Knockout, als es eigentlich an der Zeit war, Gespür zu beweisen und eine ernsthafte Analyse vorzunehmen, drängte Grindel seinen gescheiterten Bundestrainer förmlich zum Weitermachen. Aus weitgehend unerfindlichen Gründen konnte Löw so das Katastrophenjahr im Amt aussitzen. Als Letzter der WM-Vorrunde, als Absteiger der Nations League und als derjenige Bundestrainer mit den meisten Jahres-Niederlagen in der sehr langen Geschichte der Nationalmannschaft. Grindel hat Löw alles durchgehen lassen – selbst die Affäre um Mesut Özil. In dieser gaben viele ein schwaches Bild ab – allen voran Grindel und Löw. Ihnen gelang es nicht, die Diskussionen um das Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan und Özils spektakulären Rücktritt einzufangen. Vielleicht gab es auch deshalb keine echte Debatte über die Arbeit des Bundestrainers und der DFB-Spitze.

Für Grindel und seine Funktionäre soll dem Vernehmen nach der Confed-Cup 2017 den Ausschlag für das bedingungslose Festhalten an Löw gegeben haben. Löw habe mit einem jungen Team dieses Turnier gewonnen. Deshalb sei er für den anstehenden Umbruch der richtige Mann, lautet die Sprachregelung des DFB. Wen interessierte es noch, dass Grindel und Löw vor dem Confed-Cup die Bedeutung dieses Wettbewerbs bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit herunterspielten? Als es aber in diesem Sommer darauf ankam, aus dem Weltmeisterteam von 2014 und dem Confed- Cup-Siegerteam von 2017 eine Mannschaft zu formen, die diesen Namen verdient, versagte Löw.

Bis tief in den Herbst hinein machte Löw weiter wie immer

Im März beginnt das neue Länderspieljahr mit einem Spiel gegen Serbien in Wolfsburg. Der Volkswagen-Konzern wird über den Jahreswechsel Mercedes-Benz als Generalsponsor der Nationalmannschaft ablösen. Da liegt es nahe, mal in der Autostadt am Mittellandkanal vorbeizuschauen. Über viele Jahre gab es seitens des DFB für Austragungsorte von Fußballländerspielen die Auflage, eine Kapazität von mindestens 40.000 Stadionplätzen vorzuhalten. Der DFB ging mit seinem Flaggschiff nur in die ganz großen Arenen des Landes. Inzwischen ist die Nationalmannschaft nicht mehr so nachgefragt, was laut Umfragen weniger an überhöhten Ticketpreisen und späten Anstoßzeiten liegt als vielmehr an den enttäuschenden Auftritten in diesem Jahr. Es wurden viel Vertrauen, Kredit und Ansehen verspielt. Für viele zählen Löw und sein Team zu den großen Verlierern des Jahres.

Zwischen dem letzten Länderspiel in diesem November und dem ersten im neuen Jahr werden 122 Tage liegen, rund vier Monate also. Was er eigentlich bis dahin so mache, wurde Löw im Sportstudio gefragt. Er werde Spiele beobachten, Spieler kontaktieren, er gebe Weihnachtsfeiern, einige Sponsoren- und Medientermine, erzählte Löw: „Und dann habe ich mal Ruhe vom Fußball.“ Viele in diesem Land waren zu dem Eindruck gekommen, der Bundestrainer hätte in diesem Jahr bereits reichlich Ruhe vom Fußball gehabt. Acht Wochen brauchte Löw für die Analyse seiner drei vercoachten WM-Spiele – also eine ganze Sommerpause lang. Interessanterweise brauchte er nach eigener Aussage nur drei Tage, um nach dem WM- Aus in sich noch genügend Motivation und Energie zum Weitermachen zu finden. Doch was war mit seinem Willen und dem Mut für notwendige Veränderungen?

Bis tief in den Herbst hinein machte Löw weiter wie immer, er hielt stur an seinen geschlauchten Weltmeistern von 2014 fest. Auf „tiefgreifende“ und „klare“ Veränderungen, die Löw direkt nach dem WM-Aus noch angekündigt hatte, warten die Fußballfans bis heute. Spät, sehr spät, und letztlich auf Druck der Öffentlichkeit setzte Löw dann frische Spieler ein. Der Umbruch sei „jetzt im Gange“, sagte Löw Anfang Dezember. Tatsächlich sind in den Novemberspielen leichte Fortschritte erkennbar gewesen, als Löw vermehrt jüngeren Spielern vertraute, die er noch im Vor-WM-Sommer für nicht gut genug befunden oder sogar aussortiert hatte – wie Leroy Sané, Thilo Kehrer, Serge Gnabry und Kai Havertz.

Ziemlich zeitgleich zu Löw hat sich auch Oliver Bierhoff noch einmal geäußert. Als Manager der Nationalmannschaft war auch er böse in die Kritik geraten. In seiner Rückschau auf das schwache Abschneiden der deutschen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft kam der 50-Jährige in der britischen Zeitung „The Sun“ zum Fazit, man sei in einigen Dingen „faul und oberflächlich“ gewesen. Dazu fällt einem nicht mehr viel ein, vielleicht noch ein Bild.

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