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Dänische Spieler reagieren, als Christian Eriksen nach einem Zusammenbruch während des Spiels gegen Finnland medizinisch versorgt wird.

© Pool via REUTERS/Wolfgang Rattay/File Photo

Christian Eriksen bekommt Defibrillator implantiert: Diese Profis haben den Lebensretter in der Brust

Nach seinem Kollaps bekommt Christian Eriksen einen ICD-Defibrillator eingesetzt. Er ist nicht der erste Profi-Fußballer mit einem Herzstarter in der Brust.

Von Thomas Sabin

Es war die bisher dramatischste Momentaufnahme der laufenden Fußball-Europameisterschaft. Die Spieler der dänischen Nationalmannschaft stehen Schulter an Schulter, bilden einen Kreis in dessen Mitte ihr Teamkollege Christina Eriksen leblos am Boden liegt. Einige sind den Tränen nah, bei anderen laufen sie längst über die Gesichter.

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Der dänische Mannschaftskapitän Simon Kjaer hat die Hände fest ist die Hüften gelegt, Mitspieler haben sich bei ihm eingehackt. Er und Torhüter Kasper Schmeichel sind neben den Sanitäter und Teamärzten die einzigen beiden, die in die Mitte des Kreises schauen. Alle anderen wenden sich ab, als Eriksen auf dem Platz ins Leben zurückgeholt wird.

Eriksen, der beim italienischen Meister Inter Mailand unter Vertrag steht, geht es mittlerweile wieder etwas besser. Bereits drei Tage nach seinem Kollaps im EM-Spiel gegen Finnland schickt der 29-Jährige ein erstes Foto via Instagram aus der Klinik. Er lächelt und streckt den Daumen nach oben: „Vielen Dank für Ihre süßen und erstaunlichen Grüße und Nachrichten aus der ganzen Welt. Das bedeutet mir und meiner Familie sehr viel“, schrieb er.

Auf der Fußball-Nachrichtenseite „Transfermarkt.de“ steht hinter seinem Namen nun ein Symbol für verletzte Spieler: „Herzprobleme – Rückkehr unbekannt“. Wann und ob er je wieder auf dem Platz stehen wird, steht noch in den Sternen. Sicher ist: Eriksen hatte Glück gehabt. Ein am Herzen angebrachter Defibrillator hätte alles verhindern können.

Eriksen bekommt einen Herzstarter eingesetzt

Am Donnerstag, dem Tag, an dem die Dänen in der EM auf Belgien treffen, teilt der dänische Mannschaftarzt Morten Boesen mit, dass er mit Herzspezialisten und Christian Eriksen in Kontakt stehe. „Nachdem Christian verschiedene Herzuntersuchungen absolviert hat, stand fest, dass er einen Herzstarter haben sollte. Dieses Gerät ist nach einem Herzinfarkt aufgrund von Rhythmusstörungen notwendig“, so Boesen.

Ein Defibrillator am Herzen also. Eine Nachricht, die nicht nur für Profisportler schwer zu verdauen ist. Doch Eriksen ist nicht allein. Auch der niederländische Nationalspieler Daley Blind, Spieler beim holländischen Top-Klub Ajax Amsterdam, spielt bereits seit fast zwei Jahren mit einem solchen Herzstarter.

Niederlande-Trainer Frank de Boer umarmt seinen Spieler Daley Blind
Niederlande-Trainer Frank de Boer umarmt seinen Spieler Daley Blind

© imago images/Pro Shots

Als Blind beim 3:2-EM-Auftaktsieg der Niederländer gegen die Ukraine ausgewechselt wurde, wurde es emotional. Der Abwehrspieler umarmte seinen Trainer Frank de Boer intensiv, hatte Tränen in den Augen. Wie Blind später erklärte, sei der Grund dafür der Kollaps Eriksens gewesen. Denn der Niederländer hatte es am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn das Herz plötzlich nicht mehr richtig schlägt.

Daley Blind litt unter einer Herzmuskelentzündung

„Was am Samstag passiert ist, hatte einen großen Einfluss auf mich“, sagte er. Vor eineinhalb Jahren wurde ihm ein ICD-Defibrillator in die Brust implantiert, um ihn vor der Gefahr eines gefährlichen Zusammenbruchs auf dem Fußballplatz zu schützen – so wie bei Eriksen geschehen.

Erste Anzeichen, dass irgendetwas mit seinem Herz-Kreislauf-System nicht in Ordnung sei, bemerkte Blind während eines Champions-League-Spiels von Ajax Amsterdam beim FC Valencia 2019. Er ließ sich mit Schwindelgefühlen auswechseln. Später ergaben Untersuchungen, dass Blind unter einer Herzmuskelentzündung litt. Daley Blind hatte Glück im Unglück.

Der erste deutsche Fußballer mit Defibrillator am Herzen

Auch Daniel Engelbrecht, ehemaliger deutscher Profi-Fußballer beim Drittligisten Stuttgarter Kickers, fühlte sich beim Eriksen-Kollaps an den schlimmsten Tag seines Lebens zurückerinnert. Ein Tag, der sein Leben veränderte. Bei ihm passierte es im Juli 2013.

Engelbrecht brach nach einem Herzstillstand auf dem Platz zusammen und musste reanimiert werden. Diagnose: Herzmuskelentzündung und chronische Herzrhythmusstörungen. Es folgten vier Operationen. Auch ihm wurde ein Defibrillator im Brustkorb eingesetzt. Er war der erste deutsche Fußball-Profi der mit einem Defibrillator am Herzen spielte. Heute spielt er selber keinen Fußball mehr. Ärzte hatten ihm nach Folgeproblemen davon abgeraten. Heute ist er Co-Trainer der U19 des VfL Bochum.

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Damals sagte er im Interview mit dem Tagesspiegel, er habe sich vor Spielbeginn super gefühlt. „Ich war in der Form meines Lebens. Die Herzrhythmusstörungen kamen einfach aus dem Nichts.“ Er habe gemerkt, wie ihm schwindelig wurde, schwarz vor Augen. „Ich hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Ich habe nichts mehr gehört, nichts mehr gesehen.

Man müsse sich das so vorstellen: „Es ist, als wenn man sich die Haare föhnt. Der Föhn kann so schön aussehen und so neu und hochwertig sein, wie er will – wenn man den Stecker zieht, funktioniert der Föhn nicht mehr. Dann ist es vorbei.“

Nach dem jüngsten Schockmoment in Kopenhagen wurde Engelbrecht in die Talkshow von Markus Lanz eingeladen. Über die Szene beim EM-Spiel der Dänen sagte er: „Ich hatte am ganzen Körper Gänsehaut. Als mir das passiert ist, hatte ich später mit Panikattacken zu kämpfen. Und in dem Moment war das alles wieder da.“

Bei ihm sei es identisch abgelaufen, wie bei Eriksen, beschreibt er. „Es war das erste Saisonspiel mit den Stuttgarter Kickers gegen Rot Weiß Erfurt. Man sieht in den Videos, ich liege an der Außenlinie. Vorher bin ich noch zu meinem Mitspieler gelaufen. Wir hatten Einwurf und ich wollte den Ball haben. Dann sackte ich in mich zusammen.“ Nach dem ersten Schritt Eriksens, als er die Koordination verlor, kam ihm direkt in den Sinn: „Oh mein Gott, bitte nicht.“ Ihm sei schnell klar gewesen, was los war.

Casillas, Khedira, Astori – Herzprobleme bei Fußballern sind keine Seltenheit

Herzprobleme bei Fußballer sind längst keine Seltenheit mehr. 2019 erlitt die spanische Torwart-Legende Iker Casillas bei einer Trainingseinheit mit dem FC Porto einen Herzinfarkt. Im selben Jahr wurde bekannt, dass der ehemalige Nationalspieler Sami Khedira, der in der vergangenen Bundesligasaison noch für Hertha BSC auflief, an Herzproblemen leidet.

Schlimmer erwischte es Davide Astori, italienischer Nationalspieler und früherer Kapitän des AC Florenz, im Jahr 2018. Der Fußball-Profi wurde vor einem Auswärtsspiel tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Die Todesursache laut Obduktionsbericht: plötzlichem Herzversagen. Bekannte Fälle, auch wegen der großen Namen. Die Dunkelziffer, vor allem im Amateurbereich, dürfte höher liegen.

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Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Kölns, spricht von mindestens 70.000 Menschen, die jedes Jahr in Deutschland an plötzlichem Herzversagen sterben – vermutlich seien es aber noch deutlich mehr. Als Todesursache sei „der plötzliche Herz-Kreislaufstillstand fast so häufig wie alle Krebserkrankungen zusammen“, sagte Böttiger der Deutschen Presse-Agentur.

Mit Blick auf den erst 29 Jahre alten Eriksen sagte Böttiger: „Bei jüngeren, gesunden Menschen sind all diese Dinge sehr, sehr selten, aber nicht ausgeschlossen.“ Bei Sportlern, die einen Herz-Kreislaufstillstand erlitten, könnten Entzündungen ausschlaggebend sein. Möglicherweise könne eine Grippe oder ähnliche Erkrankung unbemerkt auf das Herz schlagen. Der Herzstillstand könne die Menschen dann aus heiterem Himmel treffen – „selbst wenn man noch so aktiv und gut in ärztlicher Behandlung ist“, mahnte er.

Vererbbare Erregungsstörungen der Muskulatur oder des Nervensystems

Philipp Sommer, Sprecher der Arbeitsgruppe Rhythmologie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), verwies darauf, dass besonders bei Leistungssportlern auch sogenannte Ionenkanalerkrankungen als Auslöser denkbar seien. Dadurch, dass Leistungssportler normalerweise regelmäßige medizinische Checks absolvierten und kontinuierlich sportliche Höchstleistungen erbrächten, sei ein dysfunktionales Herz bei ihnen unwahrscheinlich.

Bei den vererbbaren Ionenkanalerkrankungen sei das Herz „strukturell völlig in Ordnung“, erklärt Sommer. Es handele sich letztlich um vererbbare Erregungsstörungen der Muskulatur oder des Nervensystems, die in normalen medizinischen Checks nicht auffielen.

[Auch auf tagesspiegel.de: Das sind die Corona-Impfstrategien der EM-Teilnehmer]

Ein Defibrillator am Herzen ist ein Gerät, das Leben retten und somit die Ängste vor einem Zusammenbruch so weit wie möglich nehmen soll. Sobald sich die Herzfrequenz zu stark erhöht, sendet der ICD einen oder mehrere Stromstöße, um die Rhythmusstörung zu beheben.

Doch die Furcht bleibt dennoch, wie Daley Blind erzählte. Bei ihm sendete sein Defibrillator in einem Testspiel gegen Hertha BSC plötzlich Stromstöße. Das Gerät hatte einen fehlerhaften Herzschlag festgestellt, was dem Fußballer einen gehörigen Schreck einjagte, berichtet die „Neue Züricher Zeitung“. Blind sank damals zu Boden und ließ sich behandeln. „Der ICD ging los, und gleich danach ging es ihm wieder gut. Wir werden einige Tests durchführen, auf die Ergebnisse warten und dann Entscheidungen treffen“, sagte sein Klubtrainer Erik ten Hag danach.

[Mehr zum Thema: So blickt ein Herzspezialist auf den Fall Eriksen (T+)]

Wie es für Christian Eriksen weitergehen wird, ist noch offen. Der Inter-Profi habe die Lösung mit dem ICD jedenfalls akzeptiert und der Plan sei zudem von Spezialisten im In- und Ausland bestätigt worden, teilte Mannschaftsarzt Morten Boesen mit. Alle hätten die gleiche Behandlung empfohlen. „Wir ermutigen jeden dazu, Christian und seiner Familie in der folgenden Zeit Ruhe und Privatsphäre zu schenken.“ Und vielleicht läuft Eriksen ja schon bald wieder auf. Die Geschichte von Daley Blind macht jedenfalls Hoffnung.

Für das EM-Spiel der Dänen gegen Belgien am Donnerstagabend haben die Zuschauer in Kopenhagen sowie beide Nationalmannschaften eine besondere Aktion zu Ehren Eriksens geplant. „Wir werden den Ball ins Aus kicken, um das Spiel kurz zu unterbrechen“, kündigte der belgische Stürmer Romelu Lukaku am Vorabend an. In diesem Moment, der nach Medienangaben für die zehnte Spielminute geplant ist, sollen alle Fans und Spieler im Parken Stadion eine Minute für Eriksen applaudieren.

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