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Fast allein gegen Real. Borussias Torhüter Uli Sude zählte zu den wenigen seines Teams, die sich nach der 0:4-Niederlage nicht vorwerfen lassen mussten. Die meisten seiner Kollegen hatten einfach Angst.

© imago/Norbert Schmidt

Champions League gegen Real Madrid: Borussia Mönchengladbach spielt gegen das Trauma

Erstmals seit 1985 spielt Gladbach im Europapokal gegen Real. Das letzte Duell endete mit einer desaströsen Niederlage - ein 5:1 aus dem Hinspiel reichte nicht.

Marco Rose ist nicht der Typ, der – vor wem auch immer – in Ehrfurcht erstarrt. An diesem Dienstag (21 Uhr, live bei Sky) trifft der Trainer von Borussia Mönchengladbach mit seiner Mannschaft in der Champions League auf Real Madrid, und er sieht dieses Duell, bei allem Respekt, nicht von vornherein als aussichtsloses Unterfangen, sondern eher als schöne Herausforderung für sein Team. „Wenn wir in dem Wettbewerb dabei sind, wollen wir nicht nur staunen“, sagt Rose.

Personell sieht es für die Gladbacher ganz gut aus. Die zuletzt verletzten Laszlo Benes und Valentino Lazaro stehen wohl erstmals in dieser Saison im Kader. „Es gibt keine gravierenden Ausfälle“, sagt Rose. Das sah vor 35 Jahren, beim bisher letzten Aufeinandertreffen beider Klubs im Europapokal, ein bisschen anders aus.

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Als sich Borussia und Real im Herbst 1985 im Achtelfinale des Uefa-Cups gegenüberstehen, muss Trainer Jupp Heynckes im Rückspiel im Bernabeu-Stadion nicht nur den gelbgesperrten Libero Hans-Günther Bruns ersetzen; auch bei Wilfried Hannes sieht es nicht gut aus. Der Vorstopper hat am Wochenende verletzt ausgewechselt werden müssen. Hannes reist eigens nach Freiburg, um sich von Armin Klümper behandeln zu lassen (wie genau, will man mit den Erkenntnissen von heute vielleicht gar nicht so genau wissen) und fliegt schließlich von dort direkt weiter nach Madrid.

Es geht. Gegen Real steht Hannes in der Startelf, der Nationalspieler liefert auch an jenem 11. Dezember 1985 eine tadellose Leistung ab. Dummerweise – aus Gladbacher Sicht – ist er der einzige Feldspieler seiner Mannschaft, der das von sich behaupten kann. „Wir waren dem Spiel nervlich nicht gewachsen“, sagt Hannes.

"Ich bin noch zu jung zum Sterben"

Die Niederlage im Bernabeu ist eines der größten Traumata in der an Traumata nicht armen Vereinsgeschichte der Gladbacher. Im Hinspiel zwei Wochen zuvor haben sie den Titelverteidiger mit 5:1 deklassiert. Doch obwohl erst zweimal in der gesamten Geschichte des Europapokals ein solcher Vorsprung nicht zum Weiterkommen gereicht hat, gibt sich Real vor dem Rückspiel zuversichtlich.. „Die einzige Mannschaft der Welt, die eine solche Heldentat vollbringen kann, ist Real Madrid“, behauptet Libero Antonio Maceda, „keine andere Elf hat die Moral und den Kampfgeist, ein solches Ziel zu erreichen.“ Und er soll Recht behalten. 65 Sekunden vor Ablauf der regulären Spielzeit erzielt Reals Stürmer Santillana das Tor zum 4:0-Endstand.

Christian Hochstätter, damals erst 22 Jahre alt, ahnt schon in der Kabine, dass dieser Abend speziell werden würde. Ersatzspieler Kurt Pinkall stopft sich Schienbeinschoner hinter die Stutzen. „Was machst du?“, fragt Hochstätter. Pinkall trägt nie Schienbeinschoner. „Junge“, antwortet er, „ich bin noch zu jung zum Sterben.“

Auf dem Weg ins Stadion ist Borussias Bus mit Eiern und Tomaten beworfen worden. Bei der Ankunft am Bernabeu anderthalb Stunden vor dem Anpfiff sind die Ränge mit knapp 100.000 Zuschauern schon vollbesetzt, und später beim Warmmachen schlägt den Gladbachern ein Pfeifkonzert entgegen, auf dessen Wucht sie nicht vorbereitet sind.

Aber das ist erst der Anfang.

Reals Spieler brüllen und spucken

„Das Spiel haben wir im Kabinengang verloren“, sagt Hochstätter. Die Gladbacher warten dort auf ihren Gegner. Plötzlich fliegt eine Tür auf, Reals Spieler stürzen aus ihrer Kabine, hängen sich an den Maschendrahtzaun im Gang, brüllen und spucken. So berichten es Hochstätter und auch Torhüter Uli Sude.

Neben Hannes ist Sude der Einzige, der sich mit Macht gegen die Niederlage und das Aus wehrt. Gleich zu Beginn des Spiels rammt ihm Reals Stürmer Jorge Valdano den Ellbogen ins Auge. Sude macht weiter und hält, was zu halten ist. Der Rest der Mannschaft aber versteckt sich. „Da wollte keine Sau den Ball haben“, erinnert sich Sude. Thomas Krisp, der rechte Verteidiger, sei auf den Knien gelaufen, „weil ihm die Beine weggeknickt sind“.

Zur zweiten Halbzeit wird Krisp durch Christian Hochstätter ersetzt, der eigentlich offensiver Mittelfeldspieler ist. „Meinen Gegenspieler Juanito habe ich zweimal von vorne gesehen“, erinnert er sich. „Immer wenn wir nach den Toren Anstoß hatten.“

Real Madrid sichert sich erneut den Titel

Vor dem Spiel hat Trainer Heynckes Wilfried Hannes, seinen Kapitän und erfahrensten Abwehrspieler, gefragt, gegen wen er lieber spielen wolle: gegen Valdano oder Santillana? Hannes antwortet, das müsse Heynckes entscheiden. Der setzt ihn auf Santillana an – Valdano macht zwei Tore. In der Halbzeit stellt Heynckes um. Nach der Pause spielt Hannes gegen Valdano – Santillana erzielt zwei Tore. Nach dessen Treffer zum 4:0 hat Christian Hochstätter das Gefühl, „dass das Stadion zusammenbricht“.

Und noch heute glaubt er, dass diese Niederlage letztlich der Grund war, warum Jupp Heynckes anderthalb Jahre später das Angebot annehmen wird, den FC Bayern München zu trainieren. Das 0:4 im Bernabeu habe ihm gezeigt, dass es unmöglich sei, mit Borussia einen Titel zu gewinnen.

Real hingegen zieht in jener Saison ins Finale gegen den 1. FC Köln ein und sichert sich erneut den Uefa-Cup. Schon im Hinspiel im Bernabeu machen die Spanier so gut wie alles klar: Sie gewinnen 5:1. Jorge Valdano trifft zweimal, den letzten Treffer erzielt Santillana. Eine Minute vor Schluss.

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