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Die Wolfsburgerinnen beim Sieg im DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern München.

© Marcel Kusch/dpa

Champions League der Frauen: Der VfL Wolfsburg auf der Flucht nach vorne

Die Frauen des VfL Wolfsburg wollen im Finale der Champions League gegen Olympique Lyon zum zweiten Mal nach 2013 das Triple gewinnen.

Von Christian Otto

Mit einem kritischen Anruf aus dem Controlling muss jederzeit gerechnet werden. Was bitte schön macht Ralf Kellermann eigentlich ständig in Kopenhagen? Und warum bucht er auf Kosten des VfL Wolfsburg beziehungsweise von Volkswagen ständig nur Flüge, aber keine Unterkünfte? Die Antwort lautet: In seiner Funktion als Sportdirektor sorgt er dafür, dass Deutschlands derzeit erfolgreichste Fußballmannschaft Titel in Serie gewinnt.

Kellermann ist in Wolfsburg vor einem Jahr vom Cheftrainer zum Mann für das Große und Ganze aufgestiegen. Er agiert als eine Art Kaderplaner, Chefscout, Bindeglied zur Geschäftsführung und erster Repräsentant in Personalunion. Auf dem Flughafen in Kopenhagen trifft er sich gerne mit potenziellen Verstärkungen aus Skandinavien. Auf dem nationalen Markt gibt es zu wenig Spielerinnen, die zu den hohen Zielen des VfL passen.

Das jüngste Flugziel von Kellermann und Co. hießt Kiew. Nach dem Gewinn von deutscher Meisterschaft und DFB-Pokal wollen die Wolfsburger Fußballfrauen wie schon 2013 das Triple gewinnen. „Die Meisterschaft erarbeitet man sich ein ganzes Jahr über und man muss ständig seine Qualität beweisen. Aber natürlich wird ein Titel in der Champions League deutlich höher bewertet und mehr wahrgenommen“, sagt Kellermann als Vater des Erfolges. Seine Spielerinnen stehen zur Freude von Hauptsponsor VW wieder im Finale der Champions League. Sie treffen am Donnerstag (Anpfiff 18 Uhr, Live auf Sport 1) wie im Vorjahr auf das Vorzeigeteam von Olympique Lyon.

Für die Wolfsburger Mannschaft geht es auch darum, unter Beweis zu stellen, dass nach der Finalniederlage gegen Lyon im Vorjahr der nächste Schritt geklappt hat. Im Kampf um mehr Aufmerksamkeit müssen die Fußballerinnen des VfL zwangsläufig die Flucht nach vorne antreten. Weil ihre Triumphe in der Bundesliga fast schon Normalität sind, muss es etwas Größeres und Besonderes sein, um über die Stadtgrenzen von Wolfsburg hinaus zu glänzen.

Das Budget soll 3,5 Millionen Euro betragen

Natürlich hinkt der Vergleich. Aber die Auftritte des VfL Wolfsburg sind im Grunde der Beleg dafür, welche Form von Fußball authentischer ist. Selbst in den härtesten Momenten einer Partie wird beim Frauenfußball nur ganz wenig lamentiert, geschauspielert oder das Fairplay mit Füßen getreten. Nach dem Abpfiff suchen selbst gestandene Nationalspielerinnen wie Alexandra Popp die Nähe zu den wenigen Fans.

Sie machen beim VfL ein wirklich schönes und ganz eigenes Ding, das sich immer mehr vom maskulinen Pendant emanzipiert. Dass die Wolfsburg Männer gerade nach einer furchtbaren Saison wieder den Klassenerhalt geschafft und damit trotzdem allen Ruhm der Frauen überlagert haben, ist angeblich egal. „Also wir schauen da rüber. Aber mit uns hat das absolut gar nichts zu tun. Wir schauen voll auf uns“, versichert Torjägerin Alexandra Popp.

Im Vergleich zu fast allen anderen Frauenteams in der Bundesliga gibt es beim VfL Wolfsburg nahezu paradiesische Zustände. Die Gehälter und Budgets sind gemessen am Millionenspiel der Männer weiterhin ein Witz. Aber immerhin rund 3,5 Millionen Euro sollen pro Saison zur Verfügung stehen. Der feine Unterschied dürfte sein: Kellermann gibt für das Frauenteam derzeit einen Vordenker mit Kompetenz und Entscheidungsfreiheit. „Ich habe klare Vorgaben und eine Informationspflicht. Wir tauschen uns mit der Geschäftsführung eng aus. Aber innerhalb des Budgets, das der Verein zur Verfügung stellt, kann ich relativ frei entscheiden“, sagt der ehemalige Profitorhüter.

Er hatte vor sechs Jahren Popp von Duisburg nach Wolfsburg gelockt. Um sie, Nationalspielerin Lena Goeßling und die schwedische Abwehrchefin Nilla Fischer ist ein Team aufgebaut worden, das immer wieder gezielte Verstärkung erhält. Kopenhagen und andere Gesprächsorte lassen grüßen: Kellermann beweist ein feines Gespür dafür, wer mit wem wie gut zusammenspielen könnte. Die extrem schnelle Polin Ewa Pajor, die Dänin Pernille Harder oder die Isländerin Sara Björk Gunnarsdottir – all diese herausragenden Spielerinnen passen sportlich wie zwischenmenschlich bestens zusammen und sind gerne beim VfL.

Im Sturm wirbelt bereits die nächste Generation

Der übliche Reflex ist bekannt. Die Wolfsburger Frauen werden oft mit dem Männerbeispiel des FC Bayern München verglichen. Der tritt auch an, um das Triple zu gewinnen, scheitert daran aber häufig, weil der Wettbewerb nicht schläft. In Wolfsburg zeigt sich, wie es Schritt für Schritt vorangeht. Kellermann hat seinen Job als Cheftrainer schweren Herzens an seinen früheren Assistenten Stephan Lerch weitergereicht, um strategisch handeln zu können.

Im Team des VfL Wolfsburg hat es nicht nur mit dem Alter der beiden Frauen zu tun, dass aus der Stürmerin Popp und der Mittelfeldspielerin Goeßling mittlerweile eine Abräumerin und Ballverteilerin sowie eine Verteidigerin geworden sind. Sie bleiben zentrale Figuren, sind aber in der Offensive verzichtbar geworden. Für das Schnelle und Unberechenbare im Sturm ist bereits die nächste Spielergeneration zuständig. Sie dient als Beweis dafür, dass sich außerordentlich hohe Reisekosten am Ende durchaus bezahlt machen.

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