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Jadon Sancho ist im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League Dortmunds Hoffnungsträger.

© picture alliance/dpa

BVB in der Champions League: Jadon Sancho und der Instinkt der schmalen Straßen

Für einen Dortmunder ist das Champions-League-Spiel ganz besonders: Jadon Sancho kehrt gegen Tottenham Hotspur als Jungstar in seine Heimatstadt London zurück.

In all seiner Pracht ist er am vergangenen Samstag wieder zu sehen: der feine Instinkt von Jadon Sancho. Mit kleinen, schnellen Schritten läuft Borussia Dortmunds Flügelspieler quer durch den Hoffenheimer Strafraum. Er nimmt den Ball mit dem Außenrist mit, als wäre es ihm nur nachträglich eingefallen. Eigentlich läuft er fast zu weit. Der Winkel ist eigentlich zu spitz und der Raum zu eng. Doch er findet die Lücke trotzdem, und schiebt den Ball sanft ins lange Eck. Tor.

Jadon Sancho braucht nicht viel Raum. Es wäre zu klischeehaft, ihn als Straßenfußballer zu charakterisieren, aber Fakt ist: Jadon Sancho ist in den schmalen Straßen einer überfüllten Weltstadt namens London aufgewachsen. Wer hier groß wird, muss schnell sein. Er muss clever sein, sowohl auf als auch neben dem Platz. Denn London ist eine gnadenlose Stadt, und man kann schnell in schlechte Gesellschaft geraten. Sancho hat es selbst mehrmals betont: Er weiß nicht, was ohne Fußball aus ihm geworden wäre.

„Ich vergesse nie, woher ich komme“

„Ich vergesse nie, woher ich komme“, sagte der 18-Jährige bei einer Interview-Runde mit britischen Journalisten vergangene Woche. „Es ist nicht schön, in so einer Gegend aufzuwachsen, vor allem, wenn die Leute um dich herum schlechte Sachen machen.“

Nun kehrt er als kleiner Star zurück in die schmalen Straßen seiner Heimatstadt. An diesem Mittwoch trifft der BVB im Wembley-Stadion im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinals auf Tottenham Hotspur (21 Uhr/Dazn). Und dabei wird vor allem Dortmunds Sancho im Rampenlicht stehen. Zumal BVB-Kapitän Marco Reus wegen eines leichten Muskelfaserrisses im Oberschenkel fehlen wird – und auch Paco Alcacer, Lukasz Piszczek sowie Julian Weigl ausfallen.

Sanchos glorreiche Heimkehr war am Dienstagmittag allerdings beinahe an der Schengenraum-Grenze gescheitert. Das Flugzeug des BVB hob mit Verspätung von Dortmund ab, weil Sancho und sein französischer Teamkollege Abdou Diallo ihre Pässe vergessen hatten. Zum Glück für die Dortmunder schaffte es Sancho aber noch an Bord. Ohne ihn wäre die ohnehin schwierige Reise nach London nur noch schwieriger geworden.

Vor anderthalb Jahren kam Sancho nach Dortmund. Trotz seines Talents waren seine Aussichten bei seinem damaligen Arbeitgeber Manchester City düster. In Dortmund sah er bessere Chancen, Einsatzzeiten und Spielpraxis zu sammeln. Nach einem Jahr Akklimatisierung spielt Sancho in dieser Saison überragend. Wettbewerbsübergreifend hat der Engländer bisher acht Tore erzielt und 13 Vorlagen gegeben. Nicht nur gegen Hoffenheim, sondern auch in zahlreichen anderen Spielen hat er das Dortmunder Publikum mit seiner feinen Technik und seiner spielerischen Chuzpe verzaubert.

Aus Südlondon in die nördliche Vorstadt

Dass er nun im Wembley-Stadion aufläuft, ist für Sancho etwas wirklich Besonderes. Dort ist er damals immer wieder vorbeigefahren, als er als Jugendspieler des FC Watford den langen Weg aus Südlondon zum Trainingsplatz in der nördlichen Vorstadt fuhr. Bei Watford trug Sancho schon Schwarz-Gelb, und viele prophezeiten ihm eine große Karriere. Doch sehr wenige hätten geahnt, dass er seine ersten Schritte im Profifußball in Dortmund gehen würde.

Vor fünf oder sechs Jahren gab es schließlich immer noch sehr wenige britische Spieler im Ausland. Doch heute ist Sancho der Fackelträger einer jungen englischen Generation, die vor allem in Deutschland nach Spielpraxis sucht. Sein langjähriger Freund Reiss Nelson blüht derzeit in Hoffenheim auf. Im vergangenen Transferfenster kamen mit Rabbi Matondo (Schalke), Emile Smith-Rowe (Leipzig) und Reece Oxford (Augsburg) gleich drei junge Briten in die Bundesliga. Auch der FC Bayern will unbedingt den 18 Jahre alten Callum Hudson-Odoi von Chelsea verpflichten. Sancho war zwar nicht der erste Spieler, der diesem Trend folgte – Oxford oder Oliver Burke waren schon vor ihm bei deutschen Klubs. Aber er ist mit Abstand der erfolgreichste.

„Ich glaube, dass junge britische Spieler jetzt ins Ausland gehen, weil sie meinen Erfolg sehen, aber es ist nicht einfach“, erzählte Sancho. „Jeder hat seinen eigenen Weg. Ich kann nicht für andere Spieler sprechen.“

Tatsächlich war es für andere schwieriger. Burke verließ Leipzig nach einem Jahr wieder. Und Kaylen Hinds ging es in Wolfsburg so schlecht, dass er sich im vergangenen Sommer einfach nicht mehr zum Training zurückmeldete. Auch Nelson, der sechs Tore für Hoffenheim geschossen hat, kommt bisher nicht über die Jokerrolle hinaus. Sancho hingegen hat es geschafft, Stammspieler zu werden.

Lernbereit und anpassungsfähig

Das hat auch mit seiner erstaunlichen Lernbereitschaft und Anpassungsfähigkeit zu tun. Zum Rückrundenauftakt in Leipzig zeigte Sancho zuletzt, dass er nicht nur in der Offensive glänzen, sondern auch selbstlos im Mittelfeld ackern kann. Sein Stellungsspiel hat er dem deutschen Fußball ebenfalls besser angepasst als viele seiner jungen Landsmänner.

In Dortmund wird Sancho langsam aber sicher zu einem immer kompletteren Fußballspieler. Auch das zeugt von seinen grundsätzlichen Qualitäten, seinem feinen Instinkt. Seine Karriere hat er bisher sehr clever gestaltet, sein Aufstieg war entsprechend schnell. So ist Jadon Sancho eben: ein Kind der schmalen Straßen einer gnadenlosen Stadt.

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