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Posieren am Wasser: Bundestrainer Joachim Löw während der Vorrunde in Sotschi.

© Christian Charisius/dpa

Bundestrainer und WM-Aus: Wie das System Joachim Löw zerfiel

Einst war Joachim Löw der geniale Fixstern der Nationalmannschaft. Zuletzt bestand er mehr aus Fassade als aus Substanz: Über die Inszenierungen des Bundestrainers bei der Fußball-WM.

Als in den Schlussminuten des Spiels die Südkoreaner das verzweifelte Anrennen der deutschen Mannschaft mit zwei Toren beantwortet hatten, war das Kreischen der Schiedsrichterpfeife eine Erlösung. Joachim Löw gratulierte an der Seitenlinie seinem südkoreanischen Kollegen. Taeyong Shin, der im Vorfeld die Siegchancen seiner Mannschaft bei einem Prozent gesehen hatte, streichelte den Rücken des Bundestrainers. Dann ging Löw auf den Rasen der Kasan-Arena. Zwei, drei Spielern reichte er die Hand. Dann stand Löw irgendwo im Feld zwischen Mittellinie und Strafraum. Als wäre ihm die Orientierung abhanden gekommen. Aber hatte er sie nicht schon viel früher verloren?

Mit seiner Linken schüttelte Löw seinen Pony durch, er blickte einmal in den Himmel, dann senkte er seinen Kopf. Er ging auf keinen weiteren seiner Spieler mehr zu. Und auch kein Spieler auf ihn. Als der Moment des Untergangs Wirklichkeit geworden war, standen Mannschaft und Trainer allein für sich.

Etwas später, als sich das Dunkel der hereinbrechenden Nacht langsam über die Arena legte, konnte man in viele leere Gesichter blicken. „Ich brauche ein paar Stunden“, sagte Löw hinterher auf die Frage, ob er aus dem Scheitern persönliche Konsequenzen ziehe. Er sei geschockt, sagte Löw nur, „wie es weitergeht – ich muss mich erst einmal sammeln.“ Dann verschwand er in die Nacht.

Über eine stolze Mannschaft scheint die Zeit hinweggefegt

Wenn sich das versemmelte Mexikospiel vor zehn Tagen wie der Anfang vom Ende anfühlte, so war das Spiel gegen Südkorea der Schlussakt. Über eine einst große und stolze deutsche Mannschaft scheint die Zeit hinweggefegt. Und über ihren Trainer gleich mit. Während das Ende für die Generation um Neuer, Boateng, Hummels, Müller, Khedira, Kroos und Özil naht, die sich bei der WM 2010 auf den Weg gemacht hatte, die Fußballwelt aus den Angeln zu heben und die sich vor vier Jahren mit dem WM-Titel in Rio krönte, ist das Ende der Ära Löw erreicht.

Die Bilder und die Signale, die der Bundestrainer allein in den zurückliegenden fünf Wochen seit Beginn der Turniervorbereitung gab, gehen in diese Richtung. Selbst nach dem Mexikospiel, als es schien, als hätte Löw mal kurz in den Wettkampfmodus gefunden und von Hingabe und Leidenschaft sprach, hat er die Zeichen der Zeit verkannt. Auf die Frage eines ausländischen Kollegen, warum Deutschland als Weltmeister nicht das gleiche Schicksal der zurückliegenden drei World-Champions ereilen werde, die im jeweils darauffolgenden Turnier in der Vorrunde gescheitert waren, antwortete Löw: „Das wird uns nicht passieren.“

Gleich am ersten Morgen nach der Ankunft in Sotschi, wo die Deutschen schon vor ihrem ersten Schicksalsspiel gegen Schweden standen, blinzelte Löw lieber übers Schwarze Meer. Die deutsche Fußballseele war längst in Aufruhr geraten. Alle hatten gesehen, wie tatenlos, ja wie hilflos Löw an der Seitenlinie Zeuge wurde, wie seine Mannschaft vorgeführt wurde. Und während die Spieler in den Tagen danach das vermurkste Spiele irgendwie zu erklären und die handfeste Krise zu managen versuchten, ging Löw am Wasser spazieren und posierte.

Die deutsche Öffentlichkeit hat noch die Bilder von vor vier Jahren vor Augen, wie Löw vor dem Campo Bahia durch den Strandsand stapfte. Das Wellenrauschen des südlichen Atlantiks umspülte seine Ohren, der lauwarme Wind zerzauste ihm das Haar. Die Botschaft, die von diesen Bildern ausging: Möge der Kampf um den WM-Titel toben, dem coolen Jogi kann das nichts anhaben. So lässig, wie er an der Wasserlinie entlangschlendert, so wird er auch die deutsche Mannschaft durchs Turnier coachen. Der Titelgewinn hat dann offenbar Löws Coolness in Trägheit kippen lassen.

Einmal hat man Löw sogar beim Hütchenaufstellen gesehen

In den letzten Tagen mochte niemand reden aus dem 70-köpfigen Tross des Weltmeisters. Das könnte den Job kosten, bedeutete ein Mitarbeiter. Löw von allen guten Geistern verlassen, sagten seine Augen. Es sind die Bilder, die Löws Veränderung dokumentierten. Oft kam er mit seinen Händen in den Hosentaschen vergraben zu den Pressekonferenzen geschlendert. Er ließ sich einen Espresso kredenzen, an dem er fotogen nippte. Und da sind die Bilder vom Trainingsplatz, wie er im Irgendwo steht. Das Leiten hatte er längst seinen Assistenten überlassen, deren Zahl ständig gestiegen ist. Und weil er dann gerade nichts Besseres zu tun hatte, schnappten sich seine Füße einen Ball. Mal jonglierte er ihn, mal schoss er ihn in ein leeres Tor.

Einmal hat man den Bundestrainer sogar beim Hütchenaufstellen gesehen. Soll bloß keiner auf die Idee kommen, er würde nicht mit anpacken. Und wieder ein Tässchen Espresso, wo mitunter nicht mal mehr etwas drin ist, wie Kameras einfingen. Vieles an Löw wirkte in diesen Tagen inszeniert.

Wie der WM-Titel den Bundestrainer verändert hat

Nichts ist mehr so, wie es mal war. Als Löw noch Assistent von Jürgen Klinsmann war und mit der Mannschaft auf dem Platz einstudierte, wie eine Viererkette funktioniert. Damals, 2004, als alles begann.

Nach der WM 2006, die als Erweckungsereignis des späteren Weltmeisters gilt, hat Löw das Amt von Klinsmann übernommen. Von da an landete die Mannschaft bei allen großen Turnieren jeweils unter den besten Vieren. Ein toller Erfolg. Löw war der Macher. Doch mit jedem Turnier zwischendrin, in dem es nicht zum Titel reichte, wurden die Stimmen laut, ob Löw überhaupt noch der Richtige sei. Vor allem nach dem vercoachten EM-Halbfinale von 2012 gegen Italien. Das muss man wissen, um verstehen zu können, was der Gewinn des WM-Titels vor vier Jahren mit ihm gemacht hat.

Seit er Weltmeistertrainer ist, müsse er niemanden mehr etwas beweisen. So ist es immer wieder aus seinem Umfeld bei der Nationalmannschaft zu hören gewesen. Er mache nur noch, was er will und wann er will. Gefürchtet war zuletzt vor allem Löws Spontanität. Zur endgültigen Kadernominierung etwa ließ er ausrichten, dass er keine Fragen beantworten möchte. Über 100 Journalisten waren nach Südtirol gekommen. Viele von ihnen empfanden es als ungezogen. Kaum hatte Löw das Pressezelt verlassen, beantwortete er Fragen, die ihm hinterhergelaufene Journalisten stellten.

Die Debatte um Özil und Gündogan hat er unterschätzt

Für die Auftaktpressekonferenz nach Ankunft im WM-Gastgeberland hatte sich DFB-Präsident Reinhard Grindel im deutschen Quartier angekündigt. Als dieser sich aber wegen eines Fifa-Kongresses um einiges verspätete, soll Löw stocksauer gewesen sein. Als Grindel schließlich das Pressezentrum im Wald von Watutinki erreicht hatte, soll Löw noch einmal ein halbes Stündchen draufgelegt haben. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, Löw lebe in seinem eigenen Sonnensystem.

Vielleicht ist so zu erklären, warum er die lodernde Debatte um das Treffen von seinen Spieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von seinem Podium herab einfach mal für beendet erklären wollte. Auch der Bundestrainer hatte die Wucht dieser Debatte unterschätzt, die Mannschaft wurde sie nie los.

Dabei wäre er vermutlich der einzige gewesen, der diesem Thema einen anderen Dreh hätte verleihen können. Er hätte von Özil noch vor der WM ein klares öffentliches Statement einfordern müssen, andernfalls hätte er ihn aussortieren können. Die Mannschaft, so war zu hören, belastete das Thema, sie war in dieser Angelegenheit bis zuletzt gespalten.

Die Verbandsspitze sonnte sich lange im Glanz des WM-Titels und scheute nun Konsequenzen. Es hieß, Löw halte seine Hand über Özil. Kurz vor der WM hatte sie den Vertrag mit Löw bis 2022 verlängert. Frei nach dem Motto, wonach alles passieren könne, nur dürfe Löw nicht von der Fahne gehen. Warum eigentlich? Weil es keinen anderen Kandidaten gibt?

Als unlängst der Franzose Zinedine Zidane nach drei gewonnenen Champions-League-Titeln überraschend sein Traineramt bei Real Madrid zur Verfügung stellte und Löw dafür ins Gespräch gebracht wurde, lehnte dieser ab. „Für mich ist das kein Thema, ich bin jetzt bei der WM“, sagte Löw. Geschmeichelt hatte ihn die Frage aber sichtlich.

Als Vereinstrainer können sich Löw immer weniger Beobachter der Nationalmannschaft vorstellen. Diese tägliche, kleinteilige Arbeit auf dem Rasen, Woche für Woche der Druck, Ergebnisse zu liefern. Eine ganze Saison lang. Nein, Löw hatte es sich als Bundestrainer eingerichtet. Bis ihm das Ich-bin-Weltmeister-ich-muss-keinem-etwas-beweisen in die Quere gekommen ist. Und so entstand der Eindruck, dass die alltägliche Arbeit sich aus Löws Alltag geschlichen hatte. Löw wirkte selbstzufriedener, ja selbstgefälliger. Und so spielte seine Mannschaft dann auch.

Unbequeme Fragen ließ er lapidar ins Abseits laufen

„Wir werden bereit sein“ - mit diesem Mantra hatte Löw die schwachen Spielleistungen während der Turniervorbereitung beiseitegeschoben. Unbequeme Fragen nach Fitness und Form, nach Frische und Formation, ließ er lapidar ins Abseits laufen. Bereits seine erste öffentliche Ansprache zu Beginn des Trainingslagers in Südtirol hatte nichts Inspirierendes. Hunger und Gier seien in der Mannschaft ausreichend vorhanden, gerade auch bei seinen erfahrenen Spielern.

Vor dem Schwedenspiel wollte ein Reporter von Löw wissen, ob sein Vertrauen in die Helden der Vergangenheit nicht erschüttert sei nach den müden und trägen Auftritt zum Auftakt. Löw lächelte milde zurück: „Ich bitte Sie“, sagte er, „warum sollte das so sein?“

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In einem seiner wenigen Interviews vor der WM hat er gesagt, dass er sich jetzt mehr als „Entwickler“ sehe. Als einen, der um die Welt reist, der die Einflüsse aller Fußballstile in sich aufsaugt und daraus die Schlüsse über den künftigen Fußball zieht. Mag sein, dass er dadurch die Gegenwart aus den Augen verloren hat, hier in Russland wirkte er von ihr jedenfalls überfordert.

Kann Löw einfach so weitermachen?

Und so liegt eine gewisse Tragik darin, dass es ihm nicht gelungen ist, aus dem Weltmeisterteam von 2014 und dem Confed-Cup-Siegerteam von 2017 eine Mannschaft zu formen, die diesen Namen verdient. Was wird nun der Verband tun? Nach dem blamablen Vorrundenaus ist die einst heile Fußballwelt des DFB ins Wanken geraten. Kann Löw einfach so weitermachen als wäre nichts geschehen? „Jetzt brauchen wir Zeit und ein paar Gespräche, dann werden wir klare Antworten geben“, sagte Löw am Donnerstag nach der Landung der Mannschaft auf dem Flughafen in Frankfurt zu der Frage, ober einen Rücktritt erwäge.

Der deutsche Fußball hat ihm viel zu verdanken. Wenn er Trainer war, war er gut, und wäre es vermutlich immer noch. Doch irgendwann muss er aufgehört haben, Trainer zu sein. Wie dem auch sei, Joachim Löw wird bestimmt einen schönen und einen prominenten Platz in der deutschen Fußballgeschichte bekommen. Er sollte ihn jetzt annehmen.

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