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Zwei Ämter für einen. Ralf Rangnick ist jetzt Trainer und Sportdirektor in Leipzig.

© Jan Woitas/d

Bundesliga-Saisonvorschau (13): RB Leipzig fürchtet den Stillstand

Nach einer durchwachsenen Saison müssen Ralf Rangnick und RB Leipzig beweisen, dass ihre radikale Philosophie noch funktioniert.

Am 24. August startet die Fußball-Bundesliga in die neue Saison. In unserer Serie testen wir die Vereine. Heute Teil 13: RB Leipzig.

Was hat sich verbessert?

Vor allem das Verhältnis zwischen Trainer und Sportdirektor. Das ist traditionell ein schwieriges Thema in Leipzig, denn der Sportdirektor Ralf Rangnick stellt nicht nur die Mannschaft zusammen. Er gibt seinem Trainer auch vor, wie er zu spielen hat, nämlich mit extrem hohem Pressing und Tempo in der Vorwärtsbewegung. Das gefällt nicht jedem. Ralph Hasenhüttl etwa hat im vergangenen Jahr sanft aufbegehrt gegen Rangnicks Dogma und versucht, den Leipziger Fußball etwas variabler zu gestalten.

Das war nicht unbedingt eine Erfolgsgeschichte und endete auf Platz sechs, der gerade noch so die Qualifikation für die Europa League bedeutete. Also hat der Sportdirektor seinem Trainer das Vertrauen entzogen und wieder dem Mann die Verantwortung übertragen, der Rangnick-Fußball immer noch am besten kann, nämlich sich selbst. Ein Übergangsjahr lang wird Ralf Rangnick sich noch einmal auf die Trainerbank setzen. Dann übernimmt das Hoffenheimer Wunderkind Julian Nagelsmann und es könnte wieder knistern zwischen Trainer und Sportdirektor.

Wer sind die Neuen?

Typische Rangnick-Spieler: jung, schnell, physisch stark. Der Franzose Nordi Mukiele hat sich mit 20 Jahren beim HSC Montpellier etabliert und soll in Leipzig die Innenverteidigung verstärken. Kostenpunkt: 14 Millionen Euro. Auch der Uruguayer Marcelo Saracchi, ebenfalls 20 Jahre jung, hat seine Qualitäten in der Defensive, allerdings nicht im Zentrum, sondern auf der linken Seite. Saracchi kam für 4,5 Millionen Euro von River Plate aus Buenos Aires.

Weiter vorn tummelt sich Matheus Cunha, der schon als 18-Jähriger nach Europa wechselte und in seiner Premierensaison beim FC Sion immerhin zehn Tore in der ersten Schweizer Liga schoss. 15 Millionen Euro investierte Rasenballsport in den schlaksigen Brasilianer. Sein erstes Tor für RB beim 4:0 in der Europa-League-Qualifikation gegen BK Häcken brachte ihm gleich eine Nominierung für die Wahl zum „Tor des Monats“ ein.

Wer hat das Sagen?

Ralf Rangnick geht in sein siebtes Leipziger Jahr und genießt immer noch das volle Vertrauen des in Österreich residierenden Brause-Milliardärs Dietrich Mateschitz. Er steht für den Aufstieg aus der viertklassigen Regionalliga bis in die Champions League, der mit viel Geld, aber auch reichlich Sachverstand möglich wurde. Rangnick hat dem künstlichen Gebilde eine eigene Identität gegeben, eben jenen Rangnick-Fußball, für den er einst zu Hoffenheimer Zeiten das Attribut „gegen den Ball“ in die Umgangssprache einführte. Den Erfolgsknick im vergangenen Jahr hat er auf den ehemaligen Trainer Ralph Hasenhüttl abwälzen können – und steht jetzt unter dem Erfolgsdruck, es besser zu machen. Rangnick weiß, dass Stillstand im Mateschitz-Imperium als Rückschritt empfunden wird.

Die Mannschaft ist nach dem Weggang von Naby Keita zum FC Liverpool eher schwächer geworden. Der Mittelfeldantreiber aus Guinea stand mit seiner Dynamik und seinem aggressiven Zweikampfverhalten idealtypisch für den Leipziger Stil. Rangnick wird nachweisen müssen, dass seine ausschließlich auf die Rekrutierung junger und noch entwicklungsfähiger Spieler ausgerichtete Philosophie im Alltag der Bundesliga weiterhin funktioniert. Mal sehen, wie lange Mateschitz’ Leipziger Mann für das strategische Geschäft, der Vorstandsvorsitzende Oliver Mintzlaff, den Trainer-Sportdirektor im Falle sportlichen Misserfolges gewähren lässt.

Was erwarten die Fans?

Der Kredit in Leipzig ist nach den Jahrzehnten der sportlichen Bedeutungslosigkeit immer noch groß. Und doch gab es in der vergangenen Saison auch schon mal Pfiffe, das Stadion ist keineswegs immer ausverkauft. Der frühe Erfolg in der Bundesliga hat auch dort Erwartungen geweckt, wo er so lange nie zu Hause war. Nach Platz zwei im ersten Bundesligajahr war Platz sechs ein Rückschritt. Ohne Erfolg schwindet auch der Rückhalt an der Basis, die nicht organisch gewachsen ist und deshalb nur bedingt Loyalität empfindet. Dazu kommt der würdelose Umgang mit dem einstigen Erfolgstrainer Ralph Hasenhüttl, der bei den Fans wegen seiner Volkstümlichkeit sehr beliebt war und dem Projekt Leipzig so etwas wie eine Erdung ermöglichte. Die Mannschaft hat in den kommenden Monaten beim Publikum schon etwas gutzumachen.

Was ist in dieser Saison möglich?

Zum zweiten Mal in Folge steht Rasenballsport vor der Mehrfachbelastung im nationalen und internationalen Geschäft, sie fällt diesmal noch ein bisschen heftiger aus. Die Leipziger spielen zwar nicht mehr in der Champions League, aber sie mussten wegen der Qualifikationsspiele zur Europa League so früh in den Wettkampfmodus schalten wie kein anderer Bundesligist. Rangnick hat versucht, die Belastung zu dosieren – zum Spiel am vergangenen Donnerstag im rumänischen Craiova etwa nahm er nur 14 Feldspieler mit und gönnte auch Torjäger Timo Werner eine Pause. Und doch genügt der Kader zurzeit weder qualitativ noch quantitativ den bevorstehenden Herausforderungen. Leipzig will seine Weltstars selbst produzieren.

Das mag im Einzelfall des Nationalstürmers Werner gelungen sein, ist aber in der Breite nicht möglich. Eine nur mit Nachwuchs verstärkte Mannschaft kann mal ein großartiges Jahr haben wie Rasenballsport nach dem Aufstieg, als Begeisterung und Angriffslust einen sensationellen zweiten Platz zeitigten. Bei der Mehrfachbelastung im nationalen und internationalen Geschäft aber sind Rückschläge nicht zu vermeiden, erst recht angesichts des kraftraubenden Stils, für den der Rangnick-Fußball steht.

Wenn die Leipziger in der Bundesliga und in Europa vorne mitspielen wollen, muss noch etwas passieren. Rangnick spricht von Verstärkungen für das Mittelfeld und den Angriff, er hätte wohl ganz gern Sebastian Rudy vom FC Bayern und Ademola Lookman, der nach seiner Ausleihe in der vergangenen Saison wieder zum FC Everton zurückgekehrt ist. Ein bisschen Geld steht nach dem 60 Millionen Euro schweren Transfer von Keita nach Liverpool ja noch zur Verfügung.

Und sonst?

Plant Rasenballsport schon mal für eine größere Zukunft. Von November an wird die Arena in den Mauern des alten Zentralstadions umgebaut. In mehreren Bauabschnitten soll die Kapazität von jetzt 43 000 auf 52 000 Zuschauer erhöht werden. Alles schön und gut, aber doch noch weit weg von den Massen, die der Leipziger Fußball vor einem halben Jahrhundert anlockte. Am 9. September 1956 kamen 100 000 zum Ortsderby zwischen Rotation und Lok.

Bisher erschienen: 1. FC NürnbergFortuna Düsseldorf, VfL Wolfsburg, SC Freiburg, FSV Mainz 05, Hannover 96FC Augsburg, Werder BremenHertha BSCBorussia Mönchengladbach, Eintracht Frankfurt, VfB Stuttgart. Nächste Folge: Bayer Leverkusen.

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