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Lucien Favre arbeitet immer noch so akribisch wie bei Hertha BSC und in Mönchengladbach.

© imago/Horstmüller

Bundesliga-Rückkehr: Lucien Favres Neustart bei Borussia Dortmund

Mit Borussia Dortmund kehrt der Schweizer Trainer nach drei Jahren in die Bundesliga zurück. Seitdem hat sich viel verändert.

Am Montagabend hatte Lucien Favre ein kleines Rendezvous mit der Vergangenheit. Auf dem Rasen des Fürther Ronhofs, als er gerade seinen Spielern bei Pass- und Dehnübungen zuschaute. Eine halbe Stunde noch bis zum Pokalspiel bei der SpVgg Greuther Fürth, Favres erster offizieller Mission als Cheftrainer von Borussia Dortmund. Er war doch ein wenig überrascht, als ihm Christian Fiedler auf die Schulter klopfte. „Christian, was machen Sie denn hier?“ – „Ich bin Torwarttrainer in Fürth!“ – „Schön Sie zu sehen! Wissen Sie, ich verbinde sehr angenehme Erinnerungen mit Ihnen“, und ohnehin sei das damals in Berlin eine großartige Zeit gewesen, „ich denke immer noch gern an Hertha BSC.“

Fiedler war Herthas Torhüter, als Favre dort im Sommer 2007 seinen ersten Job in der Bundesliga antrat. Zwei Jahre später hätten sie in Berlin beinahe die deutsche Meisterschaft gewonnen, aber da hatte Fiedler nach einem Kreuzbandriss schon seine Karriere beendet. Auch für Favre ging es nicht so gut aus, wie die sehr angenehmen Erinnerungen an die großartige Zeit in Berlin suggerieren. Hertha trudelte in den letzten zwei Saisonspielen noch auf Platz vier und in der folgenden Spielzeit sogar bis ans Tabellenende, worauf Favres Zeit in Westend beendet war. Den Kontakt nach Berlin aber hatte er immer gehalten, daheim in der Schweiz genauso wie bei seinen Gastspielen in Mönchengladbach und zuletzt in Nizza. Jetzt ist er wieder da.

Am Sonntag gibt Lucien Favre sein Comeback in der Bundesliga. Sieben Wochen lang hat er auf diesen ersten Spieltag hingearbeitet, auf das Duell mit der neureiche Konkurrenz von RB Leipzig im selbstverständlich ausverkauften Westfalenstadion. Sieben Wochen, in denen Favre seinem Stab einen einzigen freien Tag gegönnt hat. „Es gibt immer noch wahnsinnig viel zu tun“, sagt der Fußballlehrer aus der Schweiz, und niemand möge bitte erwarten, dass seine Mannschaft sofort auf höchstem Niveau spielen werde.

Ein paar Spieler sind nach der Weltmeisterschaft in Russland erst spät ins Training eingestiegen. Zum Beispiel Marco Reus, Favres Lieblingsspieler aus alten Gladbacher Zeiten. Oder der frisch eingekaufte Axel Witsel, er soll fortan die Defensivarbeit im Dortmunder Mittelfeld organisieren. „Ein sehr intelligenter Spieler“, sagt Favre, „er kann den Ball im richtigen Moment halten und das Tempo variieren.“ Am Montag, beim Pokalspiel in Fürth, hatte er den Belgier eine Viertelstunde vor dem Ende auf den Platz geschickt. Witsel übernahm sofort die Gestaltung und schoss tief in der Nachspielzeit auch noch das Tor zum 1:1. Favre nahm es äußerlich so gelassen hin wie das Siegtor von Marco Reus kurz vor Schluss der Verlängerung. „Wichtig ist, dass wir durch sind“, sprach er, alles andere werde sich finden.

Dortmund wird einen anderen Lucien Favre kennenlernen. Einen, der immer noch hochkonzentriert an jedem Detail arbeitet. Aber er ruht tiefer in sich, als das bei seinen vorherigen Bundesliga-Engagements der Fall zu sein schien. Favre hüpft nicht mehr wie ein Beelzebub durch seine Coaching Zone. Die beiden Jahre im hektischen Nizza haben ihn Zurückhaltung gelehrt. „Das hat mich schon überrascht, wie ruhig er geworden ist“, sagt sein einstiger Schützling Christian Fiedler. „Damals in Berlin wirkte er beim Coaching doch sehr viel angespannter.“

Der Schweizer verehrt die Brasilianer

Favres Haar ist grauer geworden und sticht in Richtung Weiß, er ist im vergangenen November 60 geworden und mittlerweile zweifacher Großvater. Aber sein Gesichtsausdruck ist immer noch der eines kleinen Jungen. Erst recht, wenn er über Fußball spricht: „Ich liebe dieses Spiel und werde es immer lieben.“ Er weiß noch ganz genau, wann er sich in den Fußball verliebt hat. Im Sommer 1970, bei der WM in Mexiko, als die Brasilianer über die Welt kamen mit einer Schönheit, wie sie der Fußball noch nie erlebt hatte. Favre war zwölf Jahre alt und verbrachte ganze Nächte vor dem Fernseher. Das war sein Fußball, genau so wollte er ihn auch spielen, „noch heute können Sie mich mitten in der Nacht wecken und die Mannschaftsaufstellung abfragen: Felix im Tor, die Abwehr mit Carlos Alberto, Brito, Piazza und Everaldo, davor Clodoaldo, Gerson, Rivelino, der Angriff mit Jairzinho und Tostao und natürlich Pelé“, Favre verdreht verzückt die Augen. Die Brasilianer von 1970, sie spielten Fußball um des Fußballs willen und nicht, um eine Show daraus zu machen.

Dafür verehrt Favre bis heute selbst den späten Pelé und kann nicht so viel anfangen mit dem jungen Neymar, der ihm im vergangenen Jahr in der Ligue 1 über den Weg gelaufen ist. So hat er es mit der gesamten Weltmeisterschaft in Russland gehalten. Wer sich im mexikanischen Sommer von 1970 in den Fußball verliebt hat, kann schwerlich am stromlinienförmigen Spiel der WM 2018 Gefallen finden. „Das war kein Turnier auf höchstem Niveau“, sagt Favre, aber das Finale hat er sich dann doch angeschaut. Ja, Frankreich sei ein würdiger Weltmeister, „alles sehr gute Einzelspieler mit einem grandiosen Kylian Mbappé. Aber das Wichtigste war, dass sie als Einheit funktioniert haben. Das war eine Mannschaft, jeder hat für jeden gearbeitet“, und genauso schwebe ihm das auch für den BVB vor.

Nach seinen ersten sieben Wochen ist er immer noch am Ordnen und Sortieren. Er würde wohl ganz gern ein paar überzählige Spieler loswerden und dazu noch einen neuen Stürmer bekommen. Einen wie Pierre-Emerick Aubameyang, der in seiner besten Saison 45 Tore für den BVB geschossen hat und noch mal 23 in dem halben Jahr danach, bis er im Dezember 2017 seinen Wechsel zum FC Arsenal erzwang. „45 Tore – das ist schon eine Menge“, sagt Favre und weist doch gleich darauf hin, dass er nichts, aber auch überhaupt nichts fordere vom Verein, „ich bin zufrieden, wie es ist“. Soll bloß keiner auf die Idee kommen, er sei ein Querulant und Zauderer, der die Vorgesetzten mit seinen personellen Vorstellungen in den Wahnsinn treibe. Diesen Ruf hatte er ja mal, in Berlin unter dem allmächtigen Dieter Hoeneß und in Gladbach an der Seite von Max Eberl.

Reus ist Favre dankbar

Favre fordert viel, bis ins letzte Detail, aber er weiß auch, dass irgendwann mal Schluss sein muss. „Er gibt uns klar zu verstehen, dass er uns nur Lösungsvorschläge macht“, hat Marco Reus dem „Kicker“ erzählt. Reus erinnert sich bis heute daran, was er in seiner früheren Mönchengladbacher Zeit neben dem taktischen Blick auf das Spiel ganz persönlich so alles von dem detailversessenen Trainer gelernt hat. Zum Beispiel, dass er beim Dribbling auf die Füße des Gegners zu achten habe, um auf der richtigen Seite vorbeizukommen.

Der Kontakt zwischen beiden riss auch nach dem Wechsel des Nationalspielers zum BVB nicht ab. Als Jürgen Klopp im Frühjahr 2015 seinen Abschied aus Dortmund verkündete, hätte Marco Reus gern Lucien Favre als dessen Nachfolger gesehen, aber der stand damals noch in Mönchengladbach unter Vertrag. Im vergangenen Jahr, als der BVB einen Nachfolger für Thomas Tuchel suchte, wurde es schon sehr viel konkreter. Dortmund wollte, Favre hätte schon ganz gern gewollt, aber Nizza mochte ihn nicht freigeben.

Jetzt ist er bereit für eine neue Herausforderung. Dortmund und die Champions League, das ist bei aller Wertschätzung für Nizza und das obere Tabellendrittel der Ligue 1 eine andere Größenordnung. Lucien Favre freut sich auf die Bundesliga, auf die Südtribüne und die Gastspiele in den anderen großen Stadien. Auch auf Mönchengladbach und Berlin, Favre hat längst Frieden geschlossen und die alten Geschichten sind passé.

Sein erster Besuch in Dortmund liegt gut zehn Jahre zurück. Hertha BSC erkämpfte ein 1:1 und Favre war von der Naturgewalt der Südtribüne so elektrisiert, dass er an der Seitenlinie mit dem Schiedsrichterassistenten aneinandergeriet , worauf er sich die letzte halbe Stunde des Spiels von der Tribüne anschauen musste. Ein Anflug dieser ganz besonderen Atmosphäre herrschte auch am Montag in Fürth, wo 2000 Dortmunder Fans den späten und dramatischen Sieg so laut und ausgelassen feierten, wie sie das sonst auf der Südtribüne machen. Dortmund eben. „Willkommen beim BVB!“ hat ihm ein Klub-Mitarbeiter nach dem Spiel zugerufen. „Wir können nicht normal, wir können nur Drama.“ Lucien Favre hat sein charmantes Nerd-Lächeln gelächelt und geantwortet: „Ach, ich würde auch gern mal ganz normal gewinnen!"

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