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Wegschauen hilft auch nicht. Peter Bosz muss den BVB irgendwie zurück auf Kurs bekommen.

© AFP

Borussia Dortmund in der Krise: Wenn das Leichte schwer wird

Borussia Dortmund hat Kreativität und Selbstwertgefühl verloren. Nur ein Sieg im Derby gegen Schalke am Samstag kann jetzt noch helfen.

Am Ende hätte Peter Bosz am liebsten den Ball gefragt. Nach einem konstruktiven Lösungsvorschlag, was seine Spieler denn machen sollten. Auf dass der Abend nicht in Depressionen enden würde, wie das zuletzt so oft der Fall war bei Fußballspielen von Borussia Dortmund. Das Bemühen war den Herrschaften in Schwarz-Gelb nicht abzusprechen beim wiederholten Versuch, einen Weg aus der Krise zu finden. Allein: Es fiel ihnen nichts ein. Nicht auf dem Platz und auch nicht später am Abend bei der Analyse, als der Dortmunder Trainer Bosz alle Hoffnung auf einen Sieg im Revierderby am Samstag gegen Schalke 04 setzte. Und seine Ratlosigkeit in den unfreiwillig lustigen Satz goss: „Wir haben den Ball nicht mehr gefragt.“

Was hätte ihnen der Ball schon sagen können? Dass ein Spiel im eigentlichen Sinne mehr ist als die Aneinanderreihung von Pässen, Schüssen und Grätschen? Fußball lebt von Fantasie und dem Willen zur Gestaltung, vom innerlichen Verlangen, das Unmögliche möglich zu machen. Die 1:2-Niederlage am Dienstag in der Vorrunde der Champions League gegen Tottenham Hotspur war ja so dramatisch nicht. Tottenham verfügt über eine sehr gute Mannschaft, die vor ein paar Wochen Real Madrid an die Betonwände des Wembley-Stadions gespielt hat. An guten Tagen können Harry Kane, Dele Alli und Christian Eriksen jeden Gegner besiegen. Die unangenehmste Dortmunder Erkenntnis an diesem nasskalten Dienstag war: Tottenham brauchte gar keinen besonders guten Tag.

Wahrscheinlich wäre so ziemliche jede andere Mannschaft in Deutschland nach einem derart uninspirierten Auftritt mit Pfiffen in die Nacht verabschiedet worden. In Dortmund herrschte Freude, genau genommen Vorfreude, denn nach der Champions League ist vor dem Derby, bei eindeutig gesetzten Prioritäten. Schon in den finalen Minuten wurden auf der Südtribüne „Scheiß 04“-Chöre angestimmt. Im Schicksal ergebenen Vorwissen auf einen erfolglosen Abend hatten die Dortmunder Fans ein Transparent angefertigt, das sie erst ganz zum Schluss ausrollten: „Egal, was gestern war. Egal, was heute geschieht. Am Samstag zählt es.“

Gegen Tottenham spielte Dortmund keineswegs bedingungslosen Offensivfußball

In diesem Sinne formulierte Peter Bosz seine gegen alle Fakten vorgetragene Zuversicht: „Etwas Besseres als das Spiel gegen Schalke kann uns jetzt gar nicht passieren.“ Der Mann ist smart genug für die Erkenntnis, dass seine Beziehung zum BVB nach zuletzt fünf sieglosen Spielen in der Bundesliga im diametralen Gegensatz zu einem Beamtenverhältnis steht. „Ich würde nicht sagen, dass es ein Endspiel für mich ist. Aber als BVB-Trainer muss man natürlich gewinnen, sonst ist der Druck da.“

Wie aber soll das möglich werden gegen eine ausgeruhte Schalker Mannschaft, die der juvenile Feingeist Domenico Tedesco mit in Gelsenkirchen unbekannter Seriosität auf Platz zwei der Bundesligatabelle geführt hat? Der BVB im Herbst 2017 hat nichts mehr von der Mannschaft, die vor einem Jahr die Champions-League-Vorrunde als Gruppensieger beendete. Noch vor der milliardenschweren Abordnung von Real Madrid, die später im Finale von Cardiff den Wettbewerb gewinnen sollte, aber in zwei Spielen gegen Borussia Dortmund keinen Sieg zustande brachte. Diese Mannschaft war ein Versprechen für die Zukunft, die damals niemand so grau ausgemalt hätte, wie sie sich ein Jahr später darstellt. Es ist eine leichte Übung, diesen Rückfall ins Mittelmaß an Peter Bosz festzumachen. An der von ihm verantworteten taktischen Monotonie, der Unfähigkeit, vom in seiner niederländischen Heimat geheiligten 4-3-3-System abzuweichen.

Doch so stur ist Bosz gar nicht. Am Dienstag spielte Dortmund keineswegs bedingungslosen Offensivfußball. Im Ergebnis stand eine Lose-Lose-Situation in Gestalt einer Mannschaft, die sich kaum zu stürmen traute und hinten doch anfällig war wie zu vogelwildesten Zeiten.

Wie schwer diese Kombination von mangelhafter Angriffs- und Abwehrbereitschaft das Selbstwertgefühl belastet, lässt sich schön im fünfminütigen Lehrfilm der Nachspielzeit veranschaulichen. Als der BVB ohne jeden Plan und jede Überzeugung so etwas wie ein Offensivspiel aufziehen wollte, aber nie auch nur in den vagen Verdacht geriet, noch den Ausgleich zu erzielen. Stattdessen offenbarte sich den Spurs eine Konterchance zum dritten Tor. Weil sich der eingewechselte Fernando Llorente den Ball fahrlässig weit vorlegte, hätte Roman Bürki die Situation leicht klären können. Doch er bremste ab, zögerte und trat wieder an, was in einem fatalen Zusammenstoß mit dem Spanier mündete, in dessen Folge der benommene Dortmunder Torhüter ausgewechselt werden musste.

Wo ist das Selbstbewusstsein, mit dem der BVB im vergangenen Jahr die Champions League gerockt hat, ja noch zu Beginn dieser Saison an der Tabellenspitze der Bundesliga thronte? „Wenn wir das wüssten, hätten wir es schon vor ein paar Wochen repariert“, sagte Mittelfeldspieler Gonzalo Castro, und seinem Nebenmann Mario Götze fiel auch nur ein, „dass wir es besser machen müssen“. Spätestens im Derby am Samstag, so lange reicht die Toleranz der Südtribüne noch.

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