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Hauptsache Titel? Mario Götze (links) und Mats Hummels zu erfolgreichen Zeiten in Dortmund.

© Imago

Borussia Dortmund: Das endgültige Ende einer romantischen Ära

Der eine ging, der andere geht – aber warum ist Mario Götze ein Verräter und Mats Hummels ein verdienter Held? Eine Polemik aus BVB-Fansicht.

Eigentlich ist das skandalös: dass beim letzten BVB-Heimspiel der Bundesligasaison am vergangenen Sonnabend die Unmutsbekundungen fast ausblieben; dass der zwei Wochen zuvor noch hinreichend beschimpfte Kapitän, der von Bord gehen wollte und das laut Unterrang Südtribüne auch „am besten sofort“ tun sollte, nicht nochmals geschmäht wurde.

Es ist auch bedenklich: dass sich alle so gut im Griff hatten. Die Sitzplatzfans mit ihrer Dankbarkeit für soundsoviele Jahre „Knochenhinhalten“; die Stehplatzfans mit ihrem „Der Verein ist größer als alles andere“, dessen Konsequenz die manische Daueranfeuerungskultur der letzten zwei Jahrzehnte ist. Das Profi-Publikum einer Profi-Mannschaft verhielt sich professionell. Das ist vielleicht sogar traurig.

Es ist schon enorm viel gesagt zum Wechsel von Mats Hummels, derzeit noch Kapitän der Profis von Borussia Dortmund, zum FC Bayern München. Dem teilnehmenden Beobachter bleibt aber bis hierhin unklar, warum die Empörung über den Weggang Mario Götzes, der im heutigen Pokalfinale wegen einer gebrochen Rippe nicht mitspielen kann, zum nämlichen Verein anno 2013 bis heute fortdauert, während Mats Hummels bereits jetzt, noch in Schwarz-Gelb, auf seltsame Art geduldet wird.

Ein Beispiel: Im Netz findet sich ein Zitat von Hans Leyendecker, Investigativ-Reporter der „Süddeutschen Zeitung“ und prominenter BVB-Fan. Im Sommer 2013 sagte der in einem Gespräch mit dem BVB-freundlichen Web-Magazin „Gib mich die Kirsche“: „Man darf auch als Fan kein totaler Romantiker sein, aber der Weggang von Götze war Verrat.

Dass ein 20-Jähriger so was macht, wirft Fragen nach seinem Charakter und vielleicht auch Fragen nach seiner privaten Umgebung auf.“ Derselbe Leyendecker befand jüngst zu den Pfiffen im Stadion gegen Mats Hummels: „Hummels hat dem BVB manches zu verdanken, der Verein aber auch ganz viel Hummels. Da kotzt man nicht ins eigene Wohnzimmer, wenn einer sich mal überlegt, noch was anderes zu machen.“

Als würde Jan Ullrich bei Armstrong auf dem Gepäckträger sitzen

Was nun interessant ist, abgesehen von der Information, dass Hans Leyendecker es unangemessen findet, ins eigene Wohnzimmer zu kotzen, wenn ein geliebter Mensch „noch was anderes“ machen will: dass das Alter, die Verweildauer in der Mannschaft, hier als Faktor pro Hummels und kontra Götze gewertet wird. Dabei ist doch der moralische Irrtum eines 20-Jährigen viel verzeihlicher als der Hummels-Wechsel! Nicht zuletzt, weil sich Letzterer, ein kluger Kopf mit Gespür für Pathos, bewusst gewesen sein muss, wie viel Rest-Glauben an den Fußball er auch über Dortmund hinaus zerstören würde.

Mats Hummels’ Wechsel markiert die endgültige Abkehr auch integer scheinender Traditionsvereins-Führungsspieler vom Seinsziel „große Lebenserzählung“, und die Hinwendung zum Streber-Lebenslauf als Maxime. Dass dabei die eigene Geschichte verkleinert wird, stört verstörenderweise nicht entscheidend. Hummels zu den Bayern – das ist, als hätte Jan Ullrich irgendwann Lance Armstrong gefragt, ob er beim nächsten Rennen auf seinem Gepäckträger mitfahren darf. Aber egal, Hauptsache Titel!

Für die Fans von Borussia Dortmund bedeutet der Wechsel darüber hinaus das endgültige Ende einer romantischen Ära. Was den Verein, faktisch ein Fußball-Unternehmen wie viele andere, auratisch lange heraushob, war seine Geschichte biblischen Ausmaßes. Vor gut zehn Jahren aus dem Paradies vertrieben, von Jürgen Klopp ins gelobte Land geführt, dort bedeutsame Gleichnisse: der Verrat des Judas Götze; die Rückkehr der verlorenen Söhne Sahin und Kagawa; zuletzt die Ablösung von der Vaterfigur Klopp, das Buch Tuchel gerade aufgeschlagen.

Wo sind die gebrochenen Herzen und der heilige Zorn

Das ist nun vorbei. Von der Fallhöhe ist es derzeit ein bisschen so, als nähme sich jemand Thomas Manns „Zauberberg“ und schriebe ihn ab Seite 700, genervt von den zähen Naphta-Settembrini-Dialogen, als billigen Arztroman weiter – ohne aber ein plausibles Happy End finden zu können. Stattdessen strotzt der Autor vor lächerlichen Ideen, darunter die mögliche Rückkehr Götzes zum BVB oder die Paarung des DFB-Pokalfinales am heutigen Sonnabend, das BVB-Fans sehr leicht sehr trügerische Freude bringen kann.

Denn, um mal boulevardesk zu fragen: Was wäre das für eine Geschichte, wenn nun Hummels den BVB zum Sieg gegen die Bayern… Eine Drecksgeschichte wäre das! Es wäre, jenseits der hierzulande gern überhöhten Tugend Pflichterfüllung, nur eine Farce der Beliebigkeit. Es wäre die Rechtfertigung für das Ende der jüngeren BVB-Geschichte an sich. Ihr folgt ein neues Zeitalter mit herbeigekauften französischen Supertalenten, die dann mit 25 weiterziehen, um noch mehr zu verdienen und Titel zu gewinnen, die keiner mit ihnen verbindet.

Mats Hummels ist, das muss man ihm zugute halten, bereits 27. Er hat, wie die Leyendeckers dieser Welt nicht müde werden zu betonen, diverse Jahre seine Knochen hingehalten. Die, die das nicht gelten lassen, werden ihrerseits nicht müde zu betonen, dass es hinreichend vergoldete Knochen sind, die da hingehalten wurden. Und dass sie diesem Kapitän schon immer misstrauten, dessen Treuebekundungen ihnen zu kalkuliert waren und dessen Frau ihnen zu tussig erschien. Irgendwie scheint es derzeit niemanden zu geben, der mit gebrochenem Herzen und heiligem Zorn zurückbleibt. Das lässt Zweifel daran aufkommen, ob die kaputte Geschichte wirklich so gut war, wie sie mal schien; ob der Glaube, dem sie Nahrung gab, nicht irgendwo in ihrer Mitte gestorben ist. Und das ist wirklich sehr traurig.

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