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Mäßig gespannt. Chang Hye Jin ging den Weltcup in Berlin ruhig an.

© Suki/dpa

Bogenschießen in Südkorea: Eine Illusion von Mühelosigkeit

In Südkorea sind Bogenschützinnen wie Olympiasiegerin Chang Hye Jin Superstars – auch dank des Fördersystems in ihrer Heimat.

Von Markus Lücker

Normalerweise könnte sich Chang Hye Jin entspannen. Vielleicht ein bisschen Urlaub machen. Die Qualifikation für das Weltcup-Finale im September im türkischen Samsun hat die Bogenschützin eigentlich schon sicher – dank ihres Vorrundensieges bei der Station in Schanghai und dem zweiten Platz in Ankara. Der letzte Weltcup-Zwischenhalt, der noch bis Sonntag in Berlin auf dem Maifeld und am Anhalter Bahnhof ausgetragen wird, ist da eigentlich nur noch ein ausgedehntes Übungsschießen vor den Asienspielen im August.

Wenn da nicht die Erwartungen aus dem eigenen Land wären. Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio gewann die Südkoreanerin mit ihrem Recurvebogen Gold, zudem ist sie die aktuelle Weltranglistenerste. In ihrer Heimat ist sie ein Star. Selbst für die koreanische Ausgabe der Vogue wurde Chang bereits abgelichtet, mit golden spiegelnden Fingernägeln, schwarzem Schleier und in Kleidern von Prada und Dior. Die Südkoreaner sind erfolgsverwöhnt von ihr, ein Scheitern Changs scheint ausgeschlossen.

Also steht sie trotzdem auf dem Maifeld vor dem Olympiastadion. Bei anderen Schützinnen lassen sich die Anstrengungen von den Gesichtern ablesen. Es ist immer wieder derselbe Anblick: von der Sonne braungebrannte Stirn, Wangen und Nase. Nur die Augenpartie ist unter den Schutzbrillen blass geblieben. Manche schießen gerade noch ihre letzten Runden, in langer Reihe nebeneinander aufgestellt. Chang strahlt derweil zumindest eine Illusion von Mühelosigkeit aus. Ihr Gesicht ist so dick mit Sonnencreme eingeschmiert, dass sich ein blasser Film auf ihrer Haut abgelagert hat. Ein weißes Schlabberhütchen schützt die 31-Jährige vor der Sonne.

Die finanzielle Absicherung ist der große Unterschied zwischen dem deutschen und dem koreanischen Sportsystem

In ihrer Heimat ist Bogenschießen ein Massenphänomen – eine der wenigen Sportarten, die überhaupt vom Staat gefördert werden. Viele Kinder kommen bereits während ihrer Schulzeit mit dem Bogen in Kontakt. Woher kommt also die Begeisterung Südkoreas für den Sport? „Wichtig ist natürlich die Spannung“, sagt Chang. Zwei Schützen sind im direkten Duell. Jeder Pfeil kann entscheidend sein. Minimale Fehler wachsen auf den in ihrer Disziplin 70 Metern bis zum Ziel zu riesigen Patzern heran. Dazu kommt der Wind, der immer wieder eingreift und auch gute Schüsse plötzlich ruinieren kann. Aber da ist auch noch ein Aspekt, der eher mit den spezifischen Förderstrukturen in Südkorea als mit dem Bogenschießen selbst zu tun hat. „Junge Leute sehen mich und denken sich: Da könnte ich auch irgendwann stehen!“ Deshalb gäbe es in ihrer Heimat auch kein Problem mit dem Nachwuchs.

„Außerdem haben die Koreaner im Alter einen Posten als Trainer sicher“, betont Lisa Unruh. In Rio landete die Berlinerin direkt hinter Chang. Die finanzielle Absicherung, das sei für sie der große Unterschied zwischen dem deutschen und dem koreanischen Sportsystem, sagt die 30 Jahre alte Unruh. „Wir haben bei unseren Schützen die glückliche Situation, dass zumindest die Frauen alle in den Förderprogrammen der Bundeswehr oder der Bundespolizei stecken“. Außerhalb der deutschen Kernsportarten – Fußball, Tennis, Formel 1 – sei das oft die Grundvoraussetzung, um überhaupt mit der Weltspitze mithalten zu können. Einem regulären Beruf nachgehen und parallel Bestleistungen bringen, ist schwer vereinbar. Unruhs Teamkollegin Michelle Kroppen wird erst seit knapp zwei Jahren von der Bundespolizei gefördert. Bei internationalen Turnieren war sie zuvor eher unscheinbar, kürzlich wurde sie nun bei der Weltcup-Station in den USA Zweite.

Und am Donnerstag passiert es dann doch: Favoritin Chang scheidet im Duell mit der Slowakin Alexandra Longova aus, ehe sie überhaupt in die Nähe der Topplatzierungen kommen konnte. Stattdessen wird nun Lisa Unruh am Sonntag im Finale am Anhalter Bahnhof antreten – gegen die 21 Jahre alte Lee Eun Gyeong, natürlich aus Südkorea.

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