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Boateng

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Boateng: "Hertha fehlen die Typen, höre ich"

Ex-Hertha-Spieler Kevin-Prince Boateng über den englischen Fußball, seine Zeit auf der Tottenham-Bank und den Londoner Stil.

Sie sind im Sommer von Hertha BSC zu Tottenham Hotspur gewechselt, wurden aber erst jetzt, am zwölften Spieltag, zum ersten Mal in der Premier League aufgestellt. Haben Sie schon an sich gezweifelt?

Ich habe mit der Mannschaft trainiert, aber nur im Reserveteam gespielt. Ich hatte das Gefühl, nicht richtig integriert zu sein. Manchmal war ich im Kader und wurde vor dem Spiel dann doch wieder gestrichen. Das war schwierig, da stellt man sich Fragen. Ist doch ganz normal. Ich habe mir Gedanken gemacht: London ist eine schöne Stadt, mit meiner Familie ist alles wunderbar. Es ist alles gut, aber es fehlt etwas: das erste Spiel.

Haben Sie sich gefreut, dass Juande Ramos als Trainer für Martin Jol zu Tottenham Hotspur kam? Immerhin wollte er Sie vor der Saison zum FC Sevilla holen.

Ich dachte nur, dass nun jeder seine Chance bekommt, wie immer, wenn ein neuer Trainer kommt. Aber ich hatte Angst, dass Ramos vielleicht sauer auf mich ist, weil ich damals nicht zu ihm gewechselt bin. Das hätte also auch nach hinten losgehen können.

Was ist der Unterschied zwischen Jol und Ramos?

Ramos ist ein Typ, der alle integrieren will, die ganze Mannschaft. Das ist sehr wichtig für uns.

Wann haben Sie erfahren, dass Sie gegen Middlesbrough endlich zum Einsatz kommen?

Wir gingen vor dem Spiel spazieren. Ramos kam zu mir. Sein erster Satz war: Du spielst heute. Der zweite war: Wenn du nicht gut spielst, bringe ich wieder einen anderen. Das hier ist Profi-Fußball.

Er hat gleich einen ganz schönen Druck aufgebaut.

Das war ein ganz schöner Druck. Aber so ist es gut. Ich finde es gut, dass er gleich ehrlich mit mir war.

Waren Sie mit dem Spiel zufrieden?

Für das erste Spiel war es okay. Ich war auf dem Platz, habe geredet, war integriert. Als ich heimkam zu meiner Frau, war ich immer noch voll mit Adrenalin.

Rechnen Sie damit, jetzt auch am Donnerstag im Uefa-Cup in Tel Aviv zu spielen?

Ich bin im Kader. Ich hoffe, dass ich meine nächste Chance bekomme.

Was ist anders am englischen Fußball? Warum tun sich viele frühere Bundesligaspieler hier so schwer?

Das Tempo. Es ist viel schneller als in Deutschland, es geht immer nur geradeaus nach vorn. In Deutschland hat man manchmal die Möglichkeit, sich etwas zurückfallen zu lassen.

Warum kam dann Ihr Ex-Hertha Kollege Christopher Samba bei Blackburn gleich so gut klar?

Das ist sein Talent. Das britische Spiel ist perfekt für Samba: Er ist kräftig, er kann tackeln, er ist schnell, er kann hoch springen.

Haben Sie Kontakt?

Wir haben kurz gesprochen nach dem Spiel gegen Blackburn.

Auch über Ihre gemeinsame Zeit in Berlin?

Nein. Wir blicken nur nach vorn.

In Ihrem Fall auf London. Haben Sie sich schon an den Stress in dieser riesigen Metropole gewöhnt?

Manchmal werde ich wütend über den Verkehr und die Leute auf den Straßen, die einen einfach umrennen. Das ist schon alles sehr hektisch. Aber man gewöhnt sich daran.

Sie gehen oft zu Fuß durch die Stadt?

Ja, auf jeden Fall.

Werden Sie schon auf der Straße erkannt?

Manchmal. Aber nicht angesprochen. Die Leute flüstern nur: Guck mal, der spielt für Tottenham. Es ist nicht so, dass die Leute durchdrehen oder so.

Was sind Ihre Lieblingsorte in London?

New Bond Street. Da kann man wunderbar einkaufen. Und die tollen chinesischen Restaurants. Ich mag asiatische Küche.

Sie haben vor Ihrem Wechsel nach London geheiratet. Gefällt es Ihrer Frau hier auch?

Der Anfang war etwas schwierig, weil wir hier kaum Freunde hatten. Aber es wird.

Verfolgen Sie die Bundesliga noch?

Jedes Spiel.

Glauben Sie, dass man Sie in Berlin vermisst?

(lacht) Ja, das habe ich gehört. Freunde rufen mich an und sagen, dass Hertha die Typen fehlen. Manager Hoeneß hat alles dafür getan, dass die Spieler jetzt alle gleich sind. Alle Typen sind weg, Ashkan Dejagah, Zecke Neuendorf. Jetzt rufen mich Freunde an und sagen: Hertha braucht einen Typen. Ich sage dann: Das ist nicht mehr mein Problem. Ich spiele jetzt für Tottenham.

Haben Sie auch noch direkten Kontakt zu den alten Kollegen?

Klar. Zecke hat mich gerade gestern angerufen. Er ist verletzt, wurde operiert.

Und vom aktuellen Team?

Ich telefoniere mit Patrick Ebert.

Verfolgen Sie den Weg Ihres Bruders in Hamburg?

Klar. Ich glaube nicht, dass man es mit 19 Jahren besser machen kann. Er ist immer in der Startelf, spielt wirklich gut.

Sind Sie noch oft in Berlin?

Ich war zuletzt da, als wir wegen der Länderspielpause zwei Tage frei hatten. Dann fliege ich immer rüber. Ich bin jedes Mal glücklich, kenne die Straßen, die Leute. Das ist dann schon einfacher als hier. Ich sage nicht, dass London nicht schön ist. Aber Berlin ist meine Heimat. Nach meiner Karriere will ich auf jeden Fall zurückgehen und dort leben.

Fehlt Ihnen etwas ganz speziell an Berlin – außer Freunden und Familie?

Currywurst.

Waren Sie schon ausgiebig feiern in London?

Ich hatte noch nicht wirklich Gelegenheit, weil meine Frau schwanger ist.

Wann ist es denn so weit mit der Geburt?

Ende April.

Wissen Sie schon, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?

Nein, das erfahren wir erst in zwei Wochen.

Und was wünschen Sie sich?

Einen Jungen. Ich will einen Fußballer aus ihm machen.

Jetzt sind Sie erstmal ein echter Hausmann geworden?

Muss ich ja. Wir haben ja hier keine Familie.

Und Freunde? Haben Sie im Team schon Freunde gefunden?

Jermain Defoe. Wir telefonieren ständig. Und Darren Bent. Ich sage immer, wir sind wie die „Drei von der Tankstelle“. Ich habe versucht, ihnen das auf Englisch zu erklären, das mit dem Film, „the three from the petrol station“. Sie haben nicht gelacht und das nicht verstanden.

Wie passt das Hausmann-Dasein zu Ihrem Image als hartes Weddinger Ghetto Kid?

(lacht) Das ist vorbei, sobald ich den Schlüssel in die Haustür stecke. Dann bin ich der brave Ehemann.

Ein Hausmann mit Irokesen-Schnitt. Was hat es mit der neuen Frisur auf sich?

Ich mache ja immer was mit meinen Haaren. Ganz schwarz, das wurde einfach langweilig. Ich habe eine Wette laufen, mit meinem Mannschaftskameraden Aaron Lennon. Fünf Riesen, dass ich mir nicht mehr die Haare schneide, bis mein Baby da ist. Sechs Monate noch.

Das wird ja ein ernsthafter Afro. Wie Michael Jackson zur Zeit der Jackson 5.

Genau.

Der Jubel nach Toren ist für Fußballer auch ein wichtiges Stilelement. Haben Sie sich für Ihren Jubel nach Ihrem ersten Tor für die Spurs schon was einfallen lassen?

Ich habe schon was im Kopf, aber das kann ich noch nicht verraten. Es hat nichts mit meinem Baby zu tun, sondern mit den Tottenham-Fans. Ich will sie überraschen.

Stört es Sie nicht, wenn Sie mehr über Ihren Stil als über Ihr Spiel wahrgenommen werden? Der „Observer“ schrieb nach dem Middlesbrough-Spiel, sie hätten mit Ihrer Frisur überzeugt, aber seien spielerisch anonym geblieben.

Die Leute werden sehen, wie gut ich Fußball spielen kann. Mein Spiel und mein Image gehören zusammen. Ich spiele mal rau und hart, aber ich kann auch technisch spielen, mit Ballgefühl. Ich liebe es, einen guten Pass zu geben. Und so bin ich auch im Leben: rau, aber ich kann auch meine Gefühle zeigen. Ich zeige sie natürlich nicht jedem.

Sie als Stilexperte: Wie gefällt Ihnen der Stil der Londoner?

Hier zieht sich jeder gut an. Hier geht niemand mit dem Jogginganzug auf die Straße, wie das manche Deutsche machen.

Man sieht in London manchmal sehr stilvolle Jogginganzüge.

Die sind dann aber auch richtig teuer.

Was sind denn ihre weiteren sportlichen Ambitionen. Wie steht es um Ihre Ansprüche bei der U21 – und darüber hinaus?

Ich bin die letzten paar Spiele nicht berücksichtigt worden, ich weiß nicht warum. Nach meinem letzten Spiel in Frankreich rief Trainer Eilts mich an und sagte, dass ich nicht gut gespielt hätte und deshalb beim nächsten Spiel nicht dabei sei. Ich habe das nicht so gesehen. Jeder andere hat gesagt, dass ich gut gespielt hätte. Mein Ehrgeiz ist: Wieder U21 spielen, Premier League spielen, und eines Tages schaffe ich den Sprung in die A-Mannschaft.

Sie haben hier noch viele Möglichkeiten, sich zu empfehlen. Es gibt in England keine Winterpause. Ist es für Sie eine Umstellung, dass Sie durcharbeiten müssen?

Nicht für mich. Nur für meine Frau. Sie liebt Weihnachten, und ich muss am 22. und am 26. spielen. Aber die Familie kommt rüber, und wir machen eine kleine Party.

Die nächste WM findet in Südafrika statt. Eine WM in Afrika - ist das ein besonderer Ansporn für Sie? Schließlich kommt Ihr Vater aus Ghana.

Auf jeden Fall. Ich will in Südafrika spielen. Die Menschen in Ghana kennen mich. Ich will aber auch, dass mich die Menschen in Togo, in Kamerun, in Nigeria kennen. Wie Didier Drogba. Er ist ein Gott in Afrika.

Sind Sie stolz, Afrikaner zu sein?

Ja, ich bin stolz, Afrikaner zu sein. Ich bin aber auch stolz, Deutscher zu sein. Meine Mutter ist Deutsche. Ich habe alles in mir: den deutschen Fußballstil und den afrikanischen Fußballstil. Die Härte und die Technik. Das ist ein guter Mix.

Das Interview führte Markus Hesselmann

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