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Voll, voller, Olympiastadion am 26. September 1969.

©  Bildarchiv Heinrich von der Becke im Sportmuseum Berlin

Bis zu 120.000 Zuschauer: Als Hertha BSC und der 1. FC Köln Bundesliga-Geschichte schrieben

Am 26. September 1969 waren 88.075 Zuschauer im Olympiastadion. So die offizielle Zahl. Es dürften aber sogar noch viel mehr gewesen sein.

Wolfgang Gayer und seine Teamkollegen von Hertha BSC kommen zum Aufwärmen auf den Rasen des Olympiastadions. Normalerweise sind sie dabei ziemlich allein. Diesmal nicht. Mittelfeldspieler Gayer erinnert sich, wie er in die verschiedenen Ecken des Stadions blickte: „Da war es schon voll. Da auch. Und da auch. Das war unglaublich.“

60 Minuten vor dem Anpfiff des Fußball-Bundesligaspiels gegen den 1. FC Köln sind schon 50.000 Zuschauer da.

Beim Spiel sind es dann je nach Quelle fast 90.000 („Fußball-Woche“), genau 90.000 (Tagesspiegel) oder über 90.000 („Kicker“). An anderer Stelle schreibt der „Kicker“ sogar von „geschätzten 120.000 im weiten Rund“. Eine offizielle Zahl gibt es erst später: 88.075! Bundesliga-Zuschauerrekord am 26. September 1969, an diesem Donnerstag vor 50 Jahren.

Der Rekord steht bis heute und schon aufgrund des aktuellen Fassungsvermögens der deutschen Stadien auch noch auf nicht absehbare Zeit. Die schönste Einschätzung lieferte Jahrzehnte nach dem Spiel Mittelstürmer Hans-Joachim Altendorff im Gespräch mit der Webseite „dfb.de“: „Janz Berlin war da.“

Zumindest waren es weit mehr als die erwarteten gut 80.000 Zuschauer, manche stellen ihr Auto mitten auf den verstopften Zufahrtsstraßen ab. Weil viele Vorverkaufskassen Karten zunächst in Kommission genommen und erst nach deren Verkauf abgerechnet haben, fehlt ein Überblick über die Gesamtzahl der abgesetzten Tickets. „Dadurch kann es passieren, dass bei solch einem Massenandrang mehr Eintrittskarten verkauft werden, als Plätze vorhanden sind“, schrieb der Tagesspiegel.

Zudem seien etwa 5000 Personen über Zäune geklettert und hätten Ordnersperren durchbrochen. Schatzmeister Jürgen Mühle spricht vom „Zusammenbruch der Organisation“. Einige Zuschauer bekommen ihr Eintrittsgeld zurück. Das Chaos draußen setzt sich auf den Zuschauerrängen fort, die seinerzeit aus langen Sitzbänken bestanden. Viele Besucher kommen nicht zu ihren Plätzen durch.

Der 1. FC Köln kam mit Manglitz, Overath, Weber und Rühl

Die Misstöne bleiben eine Randnotiz. „Überall waren Leute, auch auf den Zugängen und Stiegen. Die Atmosphäre war großartig“, erzählt der damalige Torwart Gernot Fraydl. „Köln hatte viele prominente Namen“, sagt der 79 Jahre alte Österreicher und zählt direkt auf: Manfred Manglitz, Wolfgang Overath, Wolfgang Weber, Carl-Heinz Rühl. In der Vorsaison hatte die Mannschaft das Halbfinale im Europapokal der Pokalsieger erreicht.

Ein sehr interessanter Gegner, dazu Herthas gute Ergebnisse der Vorwochen, das summiert sich zum nie dagewesenen Besucherandrang am ungewöhnlichen Freitagabend-Termin. „Wir haben in der Saison zu Hause kaum Gegentore bekommen“, sagt Torwart Fraydl.

Gernot Fraydl (hier im Jahr 2015) übernahm 1973 die Leitung des Heilmoorbades Schwanberg von seinem Vater. Heute führt er sein Sohn.
Gernot Fraydl (hier im Jahr 2015) übernahm 1973 die Leitung des Heilmoorbades Schwanberg von seinem Vater. Heute führt er sein Sohn.

© imago/GEPA pictures

Auch gegen Köln spielt vor allem Hertha. Doch Torwart Manglitz hält zunächst alles. Stürmer Lorenz Horr muss früh verletzt raus. Für ihn kommt Franz Brungs. Zusammen erzielen sie in der Saison 28 Tore.

Gegen den 1. FC Köln – bei dem Hertha an diesem Sonntag in der Bundesliga antritt – trifft allerdings Wolfgang Gayer. Der Mittelfeldspieler hat schon beim Wiener Sport-Club und Borussia Neunkirchen als Torjäger geglänzt und macht bei Hertha in dieser Spielzeit 13 Treffer. „Irgendwie hatte ich einen Torriecher. Ich bin immer nach vorn gegangen und habe den Abschluss gesucht.“

63. Minute, Ecke für Hertha. Während Manglitz noch lamentiert, führt Arno Steffenhagen den Eckball aus. Keiner achtet auf Gayer, der mit dem Kopf erfolgreich ist. 1:0, gleichzeitig der Endstand für die Mannschaft von Trainer Helmut Kronsbein. „Ich bin glücklich wie ein Schuljunge“, sagt Manager Wolfgang Holst mit Blick auf Ergebnis und Zuschauerzahl.

Herthas Wolfgang Holst sucht seinen Autoschlüssel

Dann verabschiedet er sich – um seinen Autoschlüssel zu suchen. Auch diese Sache nimmt ein gutes Ende: Der Schlüssel findet sich an.

Kölns Verteidiger Peter Blusch glaubt, dass Hertha aufgrund der gewaltigen Zuschauerzahlen, die in der frühen Bundesliga-Zeit eine noch sehr viel wichtigere Einnahmequelle darstellen, bald im Geld schwimmen und sich ein Top-Team zusammenkaufe werde.

Wolfgang Gayer spielte von 1969 bis 1972 bei Hertha BSC.
Wolfgang Gayer spielte von 1969 bis 1972 bei Hertha BSC.

© imago/WEREK

Die Lust auf Hertha ist in der Stadt auch so schon groß. Am Saisonende steht Platz drei und der Zuschauerschnitt liegt bei 43.000 – eine für die Zeit gigantische Zahl. Selbst der Meistertitel scheint in der Zukunft möglich.

Stattdessen folgt bald der Absturz. 1971 spielen Hertha und ein Geldkoffer von Arminia Bielefeld eine der Hauptrollen im Bundesligaskandal. 15 Hertha-Profis werden gesperrt. Darunter auch Wolfgang Gayer, der anschließend zunächst in Südafrika und dann bei 1860 München sowie dem Linzer ASK spielt. Heute wohnt Gayer wieder in seiner Heimatstadt Mannheim. Der 76-Jährige sagt: „Ich mache mir immer noch Vorwürfe. Wir hätten das Geld ablehnen müssen.“

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