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Spitzenreiter, Außenseiter. Unions Fans bejubelten 1993 den Aufstieg zu früh. Foto:Imago

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Berliner Derbys: Die gefälschte Bürgschaft

Bis zum Duell Union gegen Hertha am Freitag erinnern wir jeden Tag an ein historisches Berliner Derby. Heute: Tennis Borussia gegen den 1. FC Union am 2. Juni 1993. Die Union-Fans feiern ihren Aufstieg, der dann wegen gefälschten Bürgschaften Rivale TeBe zugesprochen wird.

Eigentlich kann Tennis Borussia nichts mehr passieren. Ohne Niederlage ist der ehemalige Bundesligist durch die Nordstaffel der Oberliga marschiert, und weil auch die ersten beiden Spiele gegen den Bischofswerdaer FC und den 1. FC Union in der Dreier-Aufstiegsrunde siegreich gestaltet werden, ist im Mommsenstadion zum letzten Heimspiel alles für die große Party hergerichtet. Fehlt nur noch ein Sieg gegen die lokale Konkurrenz vom 1. FC Union, dabei reicht nach dem 3:1-Erfolg im Hinspiel eigentlich schon ein Unentschieden.

15 000 Zuschauer sind nach Charlottenburg gekommen, unter ihnen auch ein paar Tausend aus Köpenick, die schnell die akustische Hoheit erobern. Auf dem Rasen aber geht zunächst alles den erwarteten Gang. Schon nach neun Minuten grätscht Unions Libero Thoralf Bennert den Borussen Brent Goulet um, den fälligen Elfmeter verwandelt Klaus Theiss zum 1:0. Als Matthias Zimmerling in der 65. Minute die Rote Karte sieht, steht Union vor dem Zusammenbruch.

Die Fans aus dem Osten fühlen sich betrogen, wie zu alten DDR-Zeiten, und entsprechend lautstark peitschen sie ihre Mannschaft nach vorn. Ausgerechnet Tennis Borussias Torhüter Bodo Rudwaleit, früher in Diensten des Köpenicker Intimfeindes BFC Dynamo, gibt dem Spiel eine kaum mehr erwartete Wende. Nur eine Minute nach dem Platzverweis für Zimmerling zögert Rudwaleit beim Herauslaufen so lange, dass ihn Unions Stürmer Jens Henschel mühelos umspielen kann. Mit letzter Kraft verhindert der Torhüter den Ausgleich, aber nur auf Kosten eines Foulspiels, für das Schiedsrichter Manfred Harder einen Elfmeter und, äußerst gnädig, eine Zeitstrafe gegen Rudwaleit verhängt.

Hektik bricht aus auf der Bank von TeBe. Trainer Willibert Kremer nimmt den erst eine Minute zuvor eingewechselten früheren Unioner René Unglaube aus dem Spiel und bringt dafür Ersatztorhüter Nico Thomaschewski. Dessen erste Amtshandlung besteht darin, den von Mario Maek geschossenen Elfmeter aus dem Netz zu holen. Union setzt nach. Nur fünf Minuten später stochert der gerade erst eingewechselte Goran Markov den Ball zur 2:1-Führung über die Linie. Weitere fünf Minuten kehrt Rudwaleit nach Ablauf seiner Zeitstrafe zurück ins Tor, und weil das Wechselkontingent erschöpft ist, muss sich Thomaschewski als Feldspieler probieren. Alles Anrennen nutzt nichts. Union rettet die Führung über die Zeit. Drei Tage später verlieren die entnervten Borussen auch noch 1:2 in Bischofswerda. Union gewinnt das letzte Spiel gegen Bischofswerda 1:0 und feiert den Aufstieg in die Zweite Bundesliga.

Es gibt dann aber noch ein Nachspiel, und es gestaltet sich noch aufregender als der Showdown im Mommsenstadion. Union plant schon für die Zukunft im Profifußball, da steckt ein Mitarbeiter von Unions Hauptsponsor dem TeBe-Präsidenten Jack White, dass der 1. FC Union im Lizenzantrag beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) eine gefälschte Bankbürgschaft vorgelegt hat. White leitet die Information an den DFB weiter, die Aufregung ist groß, und am Ende wird Union der Aufstieg verweigert. Union modelt den Betrug um die gefälschte Bürgschaft um zu einer Westberliner Intrige, doch der DFB bleibt hart. Tennis Borussia nimmt Unions Platz ein und wirbt dem Rivalen auch noch die Spieler Pieckenhagen und Henschel ab.

Zum ersten Punktspiel gegen Mainz 05 erscheint auch eine Fan-Abordnung aus Köpenick im Mommsenstadion und bejubelt eine 0:1-Niederlage der Borussen, die sofort wieder absteigen. Der Urheber der gefälschten Bankbürgschaft ist bis heute nicht ermittelt.

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