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Andere Zeiten. Kristina Vogel vor dem Halbfinale der Bahnrad-Weltmeisterschaft im April 2017 in Hongkong.

© Kin Cheung/dpa

Bahnrad-Olympiasiegerin: Kristina Vogels Leben mit der Querschnittslähmung

Im Juni stürzte die Erfurter Bahnradsprinterin Kristina Vogel beim Training schwer. Nun ist sie querschnittsgelähmt – und muss sich völlig neu orientieren.

Von David Joram

Der Januar klirrte wie üblich kalt, doch im Berliner Velodrom herrschte Wärme. Kristina Vogel wuchtete ihre voluminösen Oberschenkel auf und ab, auf und wieder ab. Kraft, Lust und Wucht ergaben Energie, und dann, binnen Sekunden, eine so hohe Geschwindigkeit, dass Vogels Rad schier unaufhaltsam davongetragen wurde, weg von ihren Konkurrentinnen, hin zu einem weiteren Sieg. Es war ein Spektakel, damals beim Sechstagerennen; eines, das die Massen verzückte – aber auch Vogel selbst. Vor ihren Rennen winkte sie ins Publikum, verteilte Küsschen, später, nach ihrem Gesamtsieg, lachte sie herzlich, schrieb Autogramme, posierte für Fotos. „Ich will einfach Spaß haben, mich von den Menschen tragen lassen und die Atmosphäre genießen“, sagte sie.

Kein Jahr ist seither vergangenen – und doch eine halbe Ewigkeit.

Seit diesem Freitag ist bekannt: Kristina Vogel, Deutschlands beste Bahnradsprinterin, wird ihre Oberschenkel nicht mehr auf und ab bewegen können. Sie ist querschnittsgelähmt. In einem Interview sagte sie dem „Spiegel“: „Es ist scheiße, das kann man nicht anders sagen. Egal wie man es verpackt, ich kann nicht mehr laufen. Und das lässt sich nicht mehr ändern.“

Vogels Rückenmark ist am siebten Brustwirbel durchtrennt, ungefähr ab der Brust abwärts, wie die Erfurterin sagt: „Dann verläuft die Grenze zwischen Gefühl und Taubheit etwas, auf der linken Seite geht es etwas tiefer als auf der rechten Seite.“

Ein Trainingsunfall hat ihre Radsport-Karriere jäh beendet. Es war der 26. Juni, an dem Vogel ähnlich wuchtig in die Pedale trat wie auch sonst immer. In der Nähe von Cottbus hatte sie ihr Rad auf etwa 60 Stundenkilometer beschleunigt, unter ihr der Asphalt, purer Beton. Sie stieß mit einem niederländischen Nachwuchsfahrer zusammen, wurde sofort ins Unfall-Krankenhaus Berlin-Marzahn eingeliefert und dort mehrmals operiert.

"Wenn ich nicht weiß, was ich kann, wie kann ich da wissen, wofür ich brenne?"

Wie es jetzt weitergeht? Dem „Spiegel“ sagte Vogel: „Aber was soll ich machen? Ich bin immer der Meinung, je schneller man eine neue Situation akzeptiert, desto besser kommt man damit klar.“ Es ist ein Satz, der Stärke demonstrieren soll, der aber auch zur Sportlerin Kristina Vogel passt.

Wenn es zum Sprint kam, fuhr Vogel stets vorneweg. Den von ihren Konkurrentinnen geliebten Windschatten brauchte sie nicht, die eigens produzierte Power reichte ihr aus. Diesen Stil immer wieder zu bestätigen, treibe sie an, sagte Vogel im Januar im Tagesspiegel-Interview. Gewonnen hatte sie da bereits alles. Elfmal wurde sie Weltmeisterin, zweimal Olympiasiegerin, einmal davon, 2012 in London, im Teamsprint mit Teamkollegin Miriam Welte. Vor allem aber der Triumph 2016 bei den Spielen in Rio de Janiero veranschaulichte, wie Kristina Vogel tickte. Im Finale gegen die Britin Rebecca James brach der Sattel beim Zielsprint, trotzdem fuhr sie zu Gold.

Ob nach ihrer Olympia-Karriere noch eine paralympische hinzu kommt, lässt Vogel erstmal offen, sie sagt: „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in den Leistungssport will und, wenn ja, in welche Disziplin. Diese Frage stellt sich mir aktuell nicht. Wenn ich nicht weiß, was ich kann, wie kann ich da wissen, wofür ich brenne? Ich vergleiche mich gerade tatsächlich mit einem Baby, das lernen muss, sich selber zu drehen und aufzusetzen.“ Es sind Worte einer Sportlerin, der das Risiko ihrer Sportart bewusst war: „Wer Leistungssport betreibt, muss immer ein bisschen verrückt sein. Und wer mit 60, 70, 80 Sachen um die Kurven donnert, sowieso“; auch das sagte sie im Januar, nachdem sie sich in Südafrika auf die neue Saison vorbereitet hatte, 20 Tage lang mit nur einem Ruhetag dazwischen.

Kristina Vogel hat immer ein bisschen wie eine Maschine gewirkt, perfekt und gnadenlos. Nun ist ihr zu wünschen, dass sie in ihrem neuen Leben genauso viel Kraft entwickelt wie auf dem Rad.

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