zum Hauptinhalt
Perfekte Linie gesucht. Alex Zanardi und Jimmy Spithill.

© Jaavier Salinasvier Salinas

America's Cup: Segler sind schneller als der Wind

Der America’s Cup, die Formel 1 des Segelsports, startet im Mai auf den Bermudas: Die fliegenden Rennmaschinen sind bis zu 100 Stundenkilometer schnell.

Ballett in höchster Präzision. So geht es zu auf der „USA 17“. Jedes Crewmitglied hat seine Aufgabe, jeder Handgriff muss sitzen: In der letzten Phase vor dem Start geht es um seglerische Perfektion. Nur so wird es reichen für die Cup-Verteidigung, für einen erneuten Triumph. Die Choreografie des Teams ist beeindruckend: Während Steuermann Jimmy Spithill noch um die Wendemarke zirkelt, spurten schon zwei Crewmitglieder auf die andere Seite des Katamarans, um sich dort an den Winschen die Kraft aus den Muskeln zu quetschen.

Früher waren die starken Männer an den Winschen dafür da, die Taue für die Segel festzuzurren. Aber das war vor der Segel-Revolution. Heute erzeugen sie einen Hydraulikdruck, damit der Steuermann per Knopfdruck am Steuerrad das Boot höher aus dem Wasser heben oder absenken kann. Heute flattern auch keine Segel mehr am Mast, jetzt ragt ein 24 Meter hoher fester Flugzeugflügel in die Höhe, bei dem nur die hintere Flügelklappe verstellbar ist. Und gesegelt wird auch nicht mehr, sondern geflogen. Für Auftrieb sorgen die Foils genannten Schwerter des Zweirumpfboots; sie heben mit ihrem aerodynamisch ausgefeilten Profil das Boot aus dem Wasser.

„Wer als Erster fliegt, der hat gewonnen“, sagt Thomas Hahn, der nicht zufällig Luftfahrt studiert hat. Der 45-jährige Ingenieur mit den strubbligen braunen Haaren und der runden Brille hat die Revolution von Anfang an begleitet und vorangetrieben. Der Bayer, der für den Autobauer BMW arbeitet, den Technologiepartner des US-Teams, ist einer der Masterminds für das Spektakel, das alsbald weltweit Menschen faszinieren soll. Eine Demonstration des technisch Machbaren war der America’s Cup schon immer. Riesige, übertakelte Jachten kämpften seit 1851 um die hässliche Silberkanne, die als wertvollste Segel-Trophäe der Welt gilt.

Technischer Fortschritt und neue Materialien

Jeder technische Fortschritt bei gewichtsparenden Materialien oder neue Segelschnitte wurden genutzt, um schneller zu werden. Mit bescheidenem Erfolg. „In hundert Jahren haben alle Innovationen die Jachten beim America' Cup nur um vier Knoten schneller gemacht“, sagt Hahn, doch in den vergangenen sechs Jahren „sind die Boote 40 Knoten (60 km/h) schneller geworden“.

Was das bedeutet, kann man auf dem Great Sound auf den Bermudas erleben. Das Wasser hämmert gegen den Rumpf des 500 PS starken Begleitboots, das mit vollem Speed neben der „USA 17“ herfährt – und trotzdem abgehängt wird. Mit einem eigentümlichen Sirren jagt das 15 Meter lange Boot am Beobachter vorbei – ein fremdartiges, stakelig ausschauendes Dreibein, das zwei Meter über den Wellen schwebt. Den Rumpf leicht nach vorne geneigt, um die beste Aerodynamik zu erlangen, halten die „Foils“ genannten Schwerter unter der schlanken Hülle das Boot in der Luft.

Befreit vom Wasserdruck erreicht der Katamaran bis zu 100 Stundenkilometer – knapp dreimal so schnell wie das Geschwindigkeitslimit von 35 km/h auf den geruhsamen Bermudas. Wenn bald der Kampf um den America’s Cup beginnt, wird es freilich auch an Land mit der beschaulichen Gelassenheit der 65 000 Inselbewohner dahin sein. Dann ist die britische Kronkolonie, die zwei Flugstunden von New York entfernt mitten im Atlantik liegt, für etliche Wochen das Zentrum der Segelwelt.

Fast wie fliegen.
Fast wie fliegen.

© Sam Greenfield

Schon jetzt steht auf der Insel alles im Zeichen des seglerischen Gipfeltreffens; vom winzigen Flughafen bis zu den Läden in der Hauptstadt Hamilton wird für das Ereignis geworben. Für die Entscheidung des Oracle-Chefs Larry Ellison, den Cup nicht im heimatlichen San Francisco, sondern auf den Bermudas zu verteidigen, waren die Investitionen in die Infrastruktur und die Steuerfreiheit zentral. Außerdem können im Hafen alle Teams nebeneinander ihre Basis aufbauen – wie in der Formel 1. Direkt davor liegt die Regattastrecke im Great Sound, eine perfekt gegen die heftigen Atlantikwellen geschützte Bucht. Vor allem ist die Lage der Bermudas ideal für die TV-Vermarktung: Durch die moderate Zeitverschiebung können die Rennen sowohl in den USA als auch in Europa in den zuschauerstarken Sendezeiten empfangen werden.

Ort der Superreichen

Die Lebenshaltungskosten auf der palmengrünen Insel mit subtropischem Klima, türkisfarbenem Wasser und feinsandigen Stränden sind extrem hoch, weil nahezu alles importiert wird. Das stört kaum die vielen Superreichen, die hier riesige Villen haben, vom exzentrischen US-Milliardär Ross Perot bis zum italienischen Ex-Premier Silvio Berlusconi. Wer sich ansiedeln möchte, muss mindestens drei Millionen Euro Vermögen mitbringen. Auch wenn es keine Arbeitslosigkeit gibt, bleibt den normalen Menschen angesichts der hohen Lebenshaltungskosten häufig nur, mit mehreren Jobs die Familie zu ernähren.

Im Hafen unterhalb der mächtigen Befestigungsanlage, 200 Jahre lang eine wichtige Flottenbasis der Briten, ist die Spannung schon spürbar. Nicht nur das Oracle-Team residiert in den Royal Naval Dockyards. Auch vier der fünf Herausforderer sind schon länger da. Die mitfavorisierten Neuseeländer kamen dagegen erst dieser Tage an; sie zogen das Training in der Heimat vor. Auch der Geheimhaltung wegen. Denn bei dem Spektakel, in das allein das Oracle-Team rund 100 Millionen Dollar investiert, wird nichts dem Zufall überlassen. Nach jedem Training wird deshalb das US-Boot aus dem Wasser gehoben und verschwindet hinter großen Hallentoren.

Das Oracle-Team, das 2013 in der Bucht von San Francisco die mit 8:1 Siegen führenden Neuseeländer mit einem sensationellen Finish noch mit 9:8 Siegen abfing, trainiert schon seit einem Jahr auf den Bermudas. The Winner takes it all, heißt es beim America's Cup – der Sieger darf den Ort der Verteidigung bestimmen und die Regeln. Deswegen müssen alle Herausforderer in der streng reglementierten Bootsklasse mit insgesamt sechs Crewmitgliedern antreten.

Rennen dauern 20 Minuten

Es ist ein beeindruckendes Bild: Bei etwa 15 Knoten Fahrt hebt sich das Boot aus dem Wasser und beschleunigt dann abrupt, in der Luft gehalten nur vor den L-förmig gebogenen Foils. Das Ziel für Steuermann Jimmy Spithill wie für seine Konkurrenten ist klar: möglichst nie aus der Flugphase fallen, weil sonst der Wasserwiderstand den Rumpf brutal bremst und schwere Schäden verursachen kann. Das ist ein Job, der höchste Konzentration vom Steuermann fordert.

Jimmy Spithill, der schon 2010 und 2013 den Cup holte für Larry Ellison, den Gründer des Software-Konzerns Oracle, gilt als einer der genialsten Steuerleute weltweit. Das Fingerspitzengefühl des 37-Jährigen ist entscheidend. Die richtige Belastungsgrenze zu finden, ist die große Aufgabe. „Wer zu vorsichtig ist, verliert“, sagt Thomas Hahn, „wer zu aggressiv fährt, verliert auch.“ Die Designer von BMW haben deswegen mit ihrer Erfahrung aus dem Automobilsport ein Multifunktions-Steuerrad entwickelt. Damit kann präzise Kurs gehalten werden und gleichzeitig mit diversen Knöpfen die Foils und Ruderblätter justiert werden. Mitgeholfen bei der Entwicklung der Steuerräder hat der ehemalige Formel-1-Fahrer Alex Zanardi. Der Italiener, der 2001 bei einem schweren Unfall auf dem Lausitzring beide Beine verlor, bringt als Berater von Oracle und BMW seine Erfahrung aus dem Rennsport ein, um an der Strömungsdynamik zu tüfteln.

Oracle Team bei der Arbeit.
Oracle Team bei der Arbeit.

© Sam Greenfield

Kurz vor Beginn der Wettfahrten steigt die Nervosität. Jede Aktion wird von der Konkurrenz beobachtet. Vor wenigen Tagen kenterte die „USA 17“ spektakulär. Offenbar gab es Probleme mit dem Trimm der Auftriebs-Foils. Auch wenn die Schäden angeblich gering waren – der psychologische Faktor spielt eine wichtige Rolle. So schnell kann die Überlegenheit eines Jimmy Spithill dahin sein, signalisiert der Unfall der Konkurrenz.

Die Herausforderer werden zuerst in Ausscheidungsrennen den Gegner des Titelverteidigers ermitteln. Dafür sind in jeder Runde jeweils sieben Siege nötig – es kann also bis zu 13 Rennen pro Runde geben. Erst im Finale ist dann das Oracle-Team dabei. Dabei sind die Rennen jeweils nur 20 Minuten lang, auch das in Hinblick auf die bessere Vermarktung im Fernsehen. Außerdem, so heißt es, könnten selbst die topfitten Crewmitglieder wegen der extremen körperlichen Belastung keine längeren Rennen durchhalten.

Obwohl enorme Kräfte auf den Rumpf, die „Wings“ und die Foils einwirken, darf das gesamte Boot mit der sechsköpfigen Besatzung nur drei Tonnen wiegen. Das ist ein Zehntel der noch beim Cup 2007 vor Valencia genutzten Einrumpfboote. Eine technische Gratwanderung, die extremen Leichtbau verlangt. Nicht immer geht es gut aus. Vor wenigen Tagen stürzte auf der „Artemis“, dem Boot der schwedischen Herausforderer, der gesamte Flügel um. Eine entscheidende Rolle kommt deshalb Tüftlern wie Thomas Hahn zu. Der bringt die ganze Erfahrung des Autobauers BMW bei der Verarbeitung von Carbonfasern ein, aus dem die fliegenden Rennmaschinen gefertigt sind.

Wer gewinnt, ist offen

Es überrascht nicht, dass in den Teams Luftfahrt-Techniker und Aerodynamiker eine große Rolle spielen. Es geht um minimale Vorteile, die Reibungskräfte und Wasserwiderstand reduzieren. Vor allem die Formgebung der Foils ist eine Geheimwissenschaft. Bei dem hohen Tempo, erklärt Thomas Hahn, bestehe die Gefahr, dass sich bei einem falschen Anstellwinkel Luftblasen an den Foils bilden, die das Boot plötzlich absacken lassen.

Keine Fotos und ein sorgfältig überwachter Abstand zum Boot – die Security-Leute des Oracle-Teams sind unerbittlich. Nichts soll nach außen dringen. „Wir lernen jeden Tag Neues hinzu“, sagt Hal Youngren, der als Aerodynamiker einen legendären Ruf hat und beim letzten Cup für die Neuseeländer arbeitete. Noch vor zwei Jahren, sagt Youngren, scheiterten die Crews daran, eine Wende in der Flugphase zu meistern – jetzt gelingt Spithill und Co auch das. Mitgeholfen hat dabei auch das Wissen, das BMW in seinem Windkanal zusammengetragen hat, erworben in Jahrzehnten des Automobilbaus. „Die Luft ist der Schlüssel zum Sieg“, betont Alex Zanardi.

Wer gewinnt, ist durchaus offen. Die Neuseeländer, die noch eine Rechnung mit dem USA-Team offen haben, gehen neue Wege. Sie haben Radsportler engagiert, um an den Winschen die größere Kraft der Oberschenkel zu nutzen. Die Briten sind mit dem Landrover-Team dabei. Der vierfache Goldmedaillengewinner Ben Ainslie, 2013 noch bei Oracle, sitzt nun bei den Engländern am Steuer. Den Job des Teamchefs hat dort ein Nicht-Segler übernommen: Martin Whitmarsh war jahrelang Teamchef des McLaren-Mercedes-Formel-1-Teams. Seglerisch noch höher eingeschätzt wird aber das schwedische „Artemis“-Team. Auf dem Great Sound liefern sich die Schweden schon jetzt regelmäßig im Training packende Kämpfe mit dem Oracle-Team.

Der letzte America’s Cup vor San Francisco war wegen des dramatischen Finales ein Quotenhit für die TV-Sender. Das erhofft sich der Veranstalter auch jetzt, wenn die Boote ihre extreme Performance zeigen. Dann wird sicher auch eine Frage diskutiert werden: Ist das noch Segeln? Deutschlands Vorzeige-Segler Jochen Schümann, dreifacher Goldmedaillengewinner und zweifacher America’s Cup-Sieger, hält das jetzige Reglement jedenfalls für eine Fehlentwicklung. Bryan Baker, der bei Oracle zum Designteam gehört, ist da ganz pragmatisch. Er schließt nicht aus, dass ein Gewinner den Cup auch wieder in herkömmlichen Booten auskämpfen lassen wird. Irgendwann. Erst einmal aber soll die „USA 17“ erneut die hässliche Silberkanne holen.

Alex Zanardi vor dem Schiff.
Alex Zanardi vor dem Schiff.

© Javier Salinas

Der Bericht wurde teilweise ermöglicht durch die Unterstützung von BMW.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false