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Langsam geht ein Licht auf. Beim American Football droht regelmäßig die Gefahr einer Gehirnerschütterung. Seit eine Gruppe Spieler die Liga verklagt hat, wird das in den USA zunehmend diskutiert.

© Mauritius Images

American Football: Erschütterndes Risiko in der NFL

Verletzungen prägen die aktuelle NFL-Saison. Das schadet dem Image des American Football und schreckt Kinder ab.

Zuerst schmerzte der Nacken. Es wird schon gehen, dachte Matt Hasselbeck. Oft genug hatte er während seiner Karriere harte Attacken der Gegenspieler überstanden. Dann machten der Rücken und die Rippen Probleme, wieder war ihm einer in die Seite gekracht. Es muss gehen, dachte Hasselbeck. Schließlich befand er sich mit seiner Mannschaft, den Indianapolis Colts, mitten im Kampf um die Teilnahme an den Play-offs in der National Football League (NFL). Dass es nicht mehr ging, realisierte Hasselbeck erst, als er nur noch Flüssignahrung und Haferflocken zu sich nehmen konnte. Ein Gegner hatte ihn am Kiefer verletzt.

Der 40 Jahre alte Quarterback wird am heutigen Sonntag nur zusehen können (19 Uhr, kostenpflichtig bei Sport1 US). Zusehen, wie seine Colts, zu denen auch der Berliner Björn Werner gehört, gegen die Tennessee Titans gewinnen müssen und gleichzeitig auf Ausrutscher der Konkurrenten hoffen, um weiterhin im Rennen zu bleiben um den Super Bowl am 7. Februar. Kurios: Den Colts fehlen mit Hasselbeck, Andrew Luck und Charly Whitehurst alle drei Quarterbacks.

So extremes Verletzungspech ist selten, selbst in einer Vollkontaktsportart wie American Football. Trotzdem wird die Saison 2015 als eine in Erinnerung bleiben, in der viele Teams auf ihre besten Spieler verzichten mussten. Dieses Mal traf es auch die ganz großen dieses Sports: Tony Romo (Dallas), Joe Flacco (Baltimore), Jamaal Charles (Kansas City), Marshawn Lynch (Seattle), Peyton Manning (Denver) oder jetzt Andy Dalton (Cincinnati) fielen entweder das ganze Jahr oder einen beträchtlichen Teil der Saison aus. Dallas, als Mitfavorit auf den Super Bowl gestartet, gewann ohne Romo nur noch ein Spiel. Baltimore, der Champion von 2012, war ohne Flacco chancenlos. Titelverteidiger New England startete mit zehn Siegen, ehe Leistungsträger wie Julian Edelman, Danny Amendola, Rob Gronkowski oder Sebastian Vollmer ausfielen. Von den letzten fünf Spielen konnten die Patriots nur noch zwei gewinnen.

Die vielen Ausfälle der Stars haben nicht nur das sportliche Kräfteverhältnis stark beeinflusst, sondern auch eine Debatte wieder in den Vordergrund gerückt, welche die NFL unbedingt vermeiden wollte. Die Frage lautet: Ist American Football inzwischen zu hart, zu gefährlich geworden?

Ist American Football inzwischen zu gefährlich geworden?

Die Liga floriert weiterhin, Erlöse aus Fernsehrechten, Merchandising und Zuschauereinnahmen befinden sich auf Rekordniveau. An den Spieltagen hängt halb Amerika vor den Fernsehern. Expansionspläne sind längst öffentlich gemacht, weitere Spiele in Europa, speziell in Deutschland, und Südamerika sollen stattfinden. Außerhalb der USA will die NFL neue Fans gewinnen, die ein bestimmtes Klientel daheim ersetzen könnten. Vor allem in der weißen Mittel- und Oberschicht schwindet die Bereitschaft vieler Eltern, die eigenen Kinder Football spielen zu lassen. Eine Umfrage im Auftrag des Medienunternehmens Bloomberg ergab, dass etwas mehr als die Hälfte aller Befragten die Sportart als ungeeignet für ihren Nachwuchs einstufte. Zu hart, zu gefährlich, lautete das Urteil. In Haushalten, deren Einkommen über 80 000 Dollar lag, war die Ablehnung noch höher. Fußball wird als Alternative immer populärer.

Verletzungen, vor allem Gehirnerschütterungen, sind in der amerikanischen Öffentlichkeit gegenwärtig, seit eine größere Gruppe ehemaliger Spieler die Liga verklagte. Ihr Vorwurf: Die NFL hätte sich nicht ausreichend um die Gesundheit der Aktiven gekümmert. Viele Athleten spielten nur mit Schmerzmitteln, die Folgeerscheinungen sind verheerend: Nieren- und Leberschäden, Persönlichkeitsveränderungen und sogar Selbstmord. Die NFL zahlte einen Milliardenbetrag, um die Angelegenheit möglichst schnell aus der Welt zu schaffen. Das gelang nicht, auch Hollywood nahm sich nun des Themas an. Am ersten Weihnachtsfeiertag startete in den US-Kinos der Film „Concussion“ (Gehirnerschütterung) mit Will Smith, der ab Februar auch in Deutschland zu sehen ist. In dem Sportdrama geht es um einen Arzt, der durch Football entstandene Gehirnverletzungen erforscht und bald mundtot gemacht werden soll. Seattles Verteidiger Richard Sherman will keine Vorstellung besuchen: „Ich werde ihn mir nicht anschauen, ich sehe jeden Sonntag einen Gehirnerschütterungs- Film umsonst.“

Die Wucht der Zusammenstöße ist enorm

Die Wucht der Zusammenstöße, der Sherman und seine Kollegen jede Woche auf dem Feld ausgesetzt sind, ist enorm.

In der NFL werden die Athleten immer größer und schwerer, aber auch schneller – ein Resultat der ständig professioneller werdenden College-Ausbildung. Vic Beasley, einer der talentiertesten Verteidiger des vergangenen Jahres, ist 1,90 Meter groß, wiegt 110 Kilogramm und läuft die 40 Yards (ca. 36 Meter) in 4,53 Sekunden. „Physis spielt in der NFL eine immer größere Rolle“, sagt Roman Motzkus, ehemaliger Spieler der Berlin Adler und heute Experte bei Pro Sieben Maxx, dem Sender, der die NFL gemeinsam mit Sat 1 in Deutschland überträgt. Motzkus glaubt jedoch nicht, dass das Spiel härter geworden ist, nur schneller. Die vielen Verletzungen resultieren seiner Meinung nach aus den gestiegenen Einsatzzeiten der Stars, die immer länger auf dem Feld stehen. Dazu kommt der harte Untergrund, oft wird auf Kunstrasen gespielt.

Der zunehmend negativen Darstellung begegnet die NFL mit intensiverer medizinischer Betreuung. Unabhängige Ärzte untersuchen die Spieler sofort am Spielfeldrand auf Gehirnerschütterungen, beim geringsten Verdacht wird dem Betroffenen das Weiterspielen untersagt. Negative Schlagzeilen oder gar weitere Klagen sollen um jeden Preis vermieden werden. „Viele Sachen werden heute eher erkannt, früher wurde das einfach ignoriert“, sagt Motzkus.

Die Belastung beim American Football bleibt trotzdem maximal. Auf sein Gefühl nach den Spielen angesprochen, sagte Björn Werner einmal: „Das ist, wie jede Woche einen Autounfall zu haben.“

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