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Sowohl bei den Fußballvereinen als auch auf den Bolzplätzen bot sich das gleiche Bild.

© imago images/kolbert-press

Amateurfußball während des Lockdowns: Lauter Frust und leise Hoffnung

In der Corona-Zeit liegt nicht nur das soziale Leben still, auch der Fußball in Berlin wirkt wie ausgestorben. Ein Erfahrungsbericht eines Landesliga-Kickers.

Zumindest im Fernsehen kann man sich versichern, dass es die Sportart noch gibt. Als die Bundesliga am 16. Mai vergangenen Jahres nach gut zweimonatiger Pause aufgrund der Corona-Pandemie den Spielbetrieb wieder aufnimmt, hat das Wochenende wieder eine kleine Bedeutung. Von Fußball-Genuss kann jedoch nicht wirklich die Rede sein, zu schwer wiegt die Geisterkulisse in den Stadien – und die im eigenen Wohnzimmer. Außerdem: Wer schaut schon gerne anderen Menschen dabei zu, wie sie Dinge tun, die einem selbst verboten sind?

Für alle Fußball-Amateure in Deutschland gilt zu diesem Zeitpunkt im Grunde genommen genau das: Ein Fußball-Verbot. Das schönste Spiel der Welt ist plötzlich nur noch denen vorbehalten, die es am besten beherrschen. Der Großteil der Fußballspieler:innen muss sich mit Anwohner:innen herumschlagen, die der Polizei etwas Arbeit abnehmen wollen. Und die 110 rufen, wenn sie Kinder, Jugendliche oder Erwachsene zusammenspielen sehen. Wenig später sind alle Bolzplätze gesperrt. Betreten verboten. Fußballer:innen und Anwohner:innen ohne Beschäftigung.

Viele Corona-Einschränkungen sind zu dieser Zeit wichtig und berechtigt. Besonders im ersten Lockdown ist die Vorsicht verständlicherweise das oberste Gebot. Dass zwei Menschen beim Seitenschießen eine Strafe befürchten müssen, erscheint dann allerdings doch etwas absurd. Gerade in einer Zeit, in der Bewegung und Sport viel zu kurz kommen. Das ist nicht nur der Situation, sondern auch der Politik geschuldet. In den ersten Ministerpräsidentenkonferenzen wird sich mit Perspektiven für den Amateursport schlichtweg nicht beschäftigt.

Umso größer ist auch bei mir die Freude, als sich die Corona-Lage im Sommer 2020 entspannt und endlich wieder Mannschaftstraining mit der Landesliga-Truppe erlaubt ist. Die zahlreichen Auflagen zur Durchführung nehmen die Vereine bereitwillig hin. Rauf auf den Sportplatz, Taschen abstellen und loskicken, nicht mehr als acht Spieler:innen pro Halbfeld, keine Zweikämpfe. Aber Hauptsache Fußball.

Wenig später sind sogar Testspiele wieder erlaubt. Zunächst allerdings nur in Brandenburg. Bei einigen Vereinen entscheiden ein paar Meter, ob gespielt werden darf. Wenn der Platz innerhalb der Berliner Stadtgrenzen liegt, hat man Pech gehabt. Viele Teams aus der Hauptstadt sind in diesen Tagen auf Auswärtsfahrt. Manche von ihnen haben während der Partien bei den Brandenburger Nachbar:innen einen perfekten Blick auf die eigene Anlage, die ob der geltenden Regelungen leergefegt ist.

Die Auferstehung Fußball-Berlins

Glücklicherweise zieht Berlin kurze Zeit später nach. Die Stadt erhält ihre Fußball-Seele zurück. Ob groß oder klein, jung oder alt, im Verein oder auf dem Bolzplatz: Läuft man durch die Straßen, sieht man wieder die Faszination, die von einem Ball ausgehen kann. Sonntagmorgens hört man wieder Schiedsrichter-Pfiffe statt Kirchenglocken. Nein, dieses Spiel lässt sich nicht vertreiben. Auch nicht von Corona.

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Dann startet auch die Pflichtspiel-Saison. Wir spielen genau vier Mal. Dann ist sie Anfang November wegen der steigenden Infektionszahlen wieder unterbrochen, wird später vorzeitig für beendet erklärt. Aufgrund der brenzligen Lage herrscht für diese Entscheidung Verständnis. Vor den Kopf gestoßen fühlt man sich allerdings, als im gleichen Zug auch das Training verboten wird. Warum das erfolgreiche Konzept aus dem Sommer nicht beibehalten werden kann, bleibt ein Rätsel. Immerhin dürfen in Berlin Kinder in Kleingruppen trainieren, nachdem Sportwissenschaftler und Kinderärzte ob des Bewegungsmangels Alarm schlagen.

Es beginnt die nächste Phase, die von grauem Alltag geprägt ist. In der einem bewusst wird, wie viel Zeit man für diesen Sport normalerweise aufwendet. In der einem aber auch bewusst wird, wie gerne man doch so viel Zeit in den Fußball investiert. Mit Training, Spiel und Stadiongang ist der Wochenfahrplan sonst genauestens vorgegeben. Eine Struktur, die auch nach etlichen Jahren nicht langweilig wird. Deren Fehlen die Frage aufwirft, was man denn nun anfangen soll mit so einem Tag.

Das geht offenbar nicht nur mir so. Knapp 100 000 Menschen unterzeichnen die von DFB und DOSB gestartete Petition „Draußen muss drin sein“, in der die Wiederzulassung des Amateursports gefordert wird. Lange Zeit hört man jedoch nichts über etwaige Lockerungen für den Breitenfußball. Die sogenannten Individualsportarten rücken in den Vordergrund. Laufen, Radfahren, Online-Workout. Und doch lässt sich dieses Was-wäre-wenn-Gefühl nicht ausschalten. Das geht sieben lange Monate so.

Erst im Mai kommt die erlösende Nachricht, dass der Trainingsbetrieb wieder freigegeben ist. Einige Mannschaftskameraden sehe ich das erste Mal seit mehr als einem halben Jahr. Nach so langer Zeit in den eigenen vier Wänden eint uns das Heimweh. Denn spätestens beim Betreten des grünen Rasens wird uns klar: Hier sind wir zu Hause.

Julian Baumeister

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