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Wenn Blicke fesseln können. Dimitrij Ovtcharov hat eine ganz besondere Beziehung zum Tischtennisball.

© Imago/Christian Schroedter

Als zweiter Deutscher nach Timo Boll: Dimitrij Ovtcharov erklimmt Gipfel der Tischtennis-Welt

Im besten Jahr seiner Karriere gelingt Dimitrij Ovtcharov sein bisher größter Erfolg - mit einem ganz anderen Stil als sein Freund und Kollege Boll.

Um die Nummer eins der Tischtenniswelt zu werden, darf man auch ein Grübler sein. „Seit drei Wochen, weiß ich, dass mir nur ein Spiel fehlt. Das hat mich in dieser Zeit viel beschäftigt und manchmal auch etwas belastet, so nah dran zu sein und doch noch so weit weg“, sagte Dimitrij Ovtcharov. Aber er hat es geschafft, mit einem hart umkämpften 4:3-Sieg gegen den Japaner Koki Niwa bei den Grand Finals am Freitag in Astana, dem Jahresabschluss der Weltserie.

Platz eins der Weltrangliste – das heißt auch, alle Spieler der Tischtennis-Weltmacht China hinter sich zu lassen. Und wohl auch deshalb sagte Ovtcharov: „Die Nummer eins fühlt sich an wie ein Welttitel. Ich habe 20 Jahre darauf hingearbeitet und das beste Jahr meiner Karriere gespielt.“ Fast alle Turniere hatte der 29-Jährige zuletzt gewonnen, auch den World Cup, das drittwichtigste Turnier nach Olympia und WM. Nur die WM in Düsseldorf war in diesem Jahr eine Enttäuschung für ihn, als er schon im Achtelfinale ausschied– gegen jenen Koki Niwa, den er nun besiegte.

Vater als Lehrmeister und Spielpartner

Von Januar an steht Ovtcharov also ganz oben in der Liste, das war aus Deutschland vor ihm bisher nur Timo Boll gelungen. Der Vergleich mit Boll, mit dem er eng befreundet ist, kann viel aussagen über Ovtcharov. Beide sind in einem ähnlichen Trainingsmodell groß geworden, als Typen könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Wie Boll trainierte Ovtcharov nicht in den herkömmlichen Strukturen, also als einer unter vielen in einem Leistungszentrum, sondern ganz individuell. Sein Vater, ein früherer sowjetischer Nationalspieler, war Lehrmeister und Spielpartner in einem für ihn. Geboren wurde Ovtcharov in Kiew, als er vier Jahre alt war zog seine Familie nach Niedersachsen. Mit Unterstützung seines Vaters arbeitete er sich dort an das internationale Niveau heran.

Allerdings mit einer ganz anderen Mentalität als Boll. Ovtcharov will das Tischtennisspiel bis auf den Grund durchdringen, alle Zufälle beseitigen, indem er einfach lange genug nachdenkt. Er nimmt das Spiel unglaublich ernst. Boll dagegen lässt das Spiel nach dem Ballwechsel schnell wieder los. Ein Bewegungstalent ist Ovtcharov nicht unbedingt, aber das gleicht er durch andere Eigenschaften aus. Wenn er den Ball fixiert, scheint er ihn mit den Augen in einen Klammergriff zu nehmen und erst dann wieder loszulassen, wenn er ihn mit einem seiner krachenden Schläge auf die Reise übers Netz geschickt hat. Sein Spiel ist härter als Bolls, dadurch auch oft effizienter. Den Ball beherrscht er mit einer ungeheuren Dynamik, sein Spiel hat er beständig weiterentwickelt.

Kein Tischtennis von der Stange

Ovtcharov hat nicht einfach Tischtennis perfektioniert, er spielt eben kein Tischtennis von der Stange. Seine Aufschläge, bei denen er fast so tief in die Knie geht, dass er sich auf den Boden setzt, seine wuchtige, den ganzen Tisch abdeckende Rückhand, seine Laustärke, in der er nach gewonnen Punkten seine Anspannung herausschreit – das sind schon mal drei Markenzeichen, die seinen Auftritt am Tisch unverwechselbar machen.

Damit hat er schon etwas erreicht, was Boll verwehrt geblieben ist: eine Einzelmedaille bei Olympischen Spielen, in London gewann Ovtcharov 2012 Bronze. Bei den Grand Finals steht er jetzt im Viertelfinale, das Turnier will er natürlich gewinnen. Auf den ersten Chinesen könnte er im Halbfinale treffen. Vielleicht mit noch mehr Selbstbewusstsein, auf jeden Fall aber mit großer Erleichterung darüber, es bis auf den Gipfel geschafft zu haben.

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